Eins, zwei, drei - zählt Lisa Lange auf Russisch und schwingt zusammen mit der achtjährigen Sama ein Springseil. Zwischen ihnen steht die neunjährige Jakomut.
Unter großem Gelächter schafft Jakomut es einmal über das Seil zu hüpfen, dann landet sie genau drauf.
Die drei stehen auf einem Spielplatz einer Kita in Essen-Kettwig. Um sie herum spielen rund zehn andere Kinder mit Bällen, im Sand und auf einem Klettergerüst.
Sportlotsen-Programm von Krupp-Stiftung und Essener Sportbund
Die Kinder sind aus der Ukraine geflüchtet und wohnen zurzeit in einem Übergangsheim gleich neben dem Spielplatz. Sie sind zwischen fünf und zehn Jahre alt und nehmen an dem Sportlotsen-Programm der Krupp-Stiftung und dem Essener Sportbund teil.
"Als der Krieg in der Ukraine begann, haben wir überlegt: Was können wir tun, vor allem für die ankommenden Frauen und Kinder", erzählt Heike Catharina Mertens vom Vorstand der Krupp-Stiftung. "Und haben dann mit dem Essener Sportbund Kontakt aufgenommen, um ein Programm zu überlegen, das man leicht und niedrigschwellig umsetzen kann."
Zwei Stunden Sport pro Woche - zwei Stunden Entlastung
Dieses Programm sieht so aus: Einmal in der Woche kommen sogenannte Sportlotsen zu vier verschiedenen Flüchtlingsunterkünften in Essen und machen dort jeweils zwei Stunden Sport mit den Kindern. Die Sportlotsen sprechen selbst russisch. Angeleitet werden sie bei ihrer Arbeit von ausgebildeten Sportlehrern und -lehrerinnen des Essener Sportbundes.
Einer dieser Sportlotsen ist Alex Kühltau, er ist selbst vor einigen Jahren aus Belarus nach Deutschland gekommen. Seit Mai macht er bei dem Programm mit.
"Ich habe es erstmal nicht geglaubt, dass das Sinn ergibt, das Sportlosenprogramm. Aber ich dachte, ich versuch es mal. Wieso nicht. Aber dann nach ein paar Wochen, wenn wir gekommen sind, dann kamen die Kinder zu uns - endlich jetzt wird gespielt."
Alex erzählt, dass die Kinder nun ganz genau wüssten, wann die Sportlotsen kommen und auf sie warteten. Manchmal wollen sie nicht gehen, wenn das Spielen vorbei ist.
Sport als Anschubhilfe für Integration
Auch die 26-Jährige Lisa Lange spricht russisch. Während sie mit dem Deutschlandfunk spricht, hängen jeweils mindestens zwei bis drei kleine Mädchen an ihren Armen und Beinen und zerren an ihr.
"Ich kenne diese Migrationsgeschichte. Ich weiß auch, dass es nicht einfach sein kann mit der Sprachbarriere und vor allem der Sport, der macht sehr, sehr viel aus. Der hilft bei der Integration besonders. Ich kenn das bei mir. Ich bin als 11-Jährige aus Kasachstan gekommen und da hat mir dann Synchronschwimmen geholfen, ich habe superschnell die Sprache gelernt."
Sportlotsen weisen Weg in die Vereine
Eines der Ziele des Sportlotsen-Programms ist es, den Kindern und Jugendlichen das deutsche Sportvereins-Wesen zu zeigen. Einige von ihnen seien inzwischen Mitglied eines Sportvereins, zum Beispiel in einem Ruderclub, erzählen die Verantwortlichen. Ein weiterer Effekt sei außerdem, dass die Mütter für ein paar Stunden zu entlastet werden, während die Kinder draußen spielen. Und nicht zuletzt geht es um den Sport an sich:
"Zum einen fühlst du dich ja mehr ausgelastet. Diese Alltagsprobleme, die vergisst du beim Sport. Zum anderen auch physisch bist Du einfach ausgepowert, auch als Kind bist Du nicht mehr unter Stress, oder unter Spannung."
Bewegungsspiele für die Kleinen, Fußball für die Großen
Mit den kleinen Kindern machen Kühltau und Lange einfache Bewegungsspiele. Springseil springen, Fangen oder mit einem Schwungtuch spielen. Wenn die Kinder älter sind, dann spielen sie Völkerball, oder beispielsweise Fußball.
Dass dieses Programm den Kindern Freude macht, fällt sofort auf. Der 9-Jährige Arcem aus Kiew ist seit April in Deutschland und von Anfang an beim Sportlotsen Programm dabei.
Lange übersetzt: "Er sagt ihm gefällt alles, aber Fußballspielen besonders."
Arcem sagt, dass er es mag, abends ausgepowert zu sein und erzählt wie seine Nachmittage aussehen, wenn die Lotsen nicht kommen. "Er spielt oft einfach an seinem Handy zuhause", so Lange, "ist aber lieber draußen."
An diesem Nachmittag herrscht auf dem Spielplatz in Essen ein wildes Gewusel. Vor lauter Ausgelassenheit rollen einige Kinder übereinander auf dem Boden herum, Sorgen scheinen weit entfernt. Damit sei ein wichtiges Ziel erreicht, sagt Lisa Lange.
"Die Kinder, die reden nicht besonders über ihre Probleme, oder ihre Gedanken. Die freuen sich, wenn wir hier sind, oder mit denen spielen. Und ich denke sie genießen einfach das hier und jetzt. Einfach diese Freude, dass wir etwas mit ihnen machen und dass sie die Kontakte mit anderen Kindern haben."