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Ukraine-Friedensfahrplan
"Zug um Zug ist jetzt die Strategie"

Als "fragilen Waffenstillstand" hat die Grünen-Politikerin Marieluise Beck die Ergebnisse des Ukraine-Gipfels bezeichnet. Russlands Präsident Putin müsse nun zeigen, dass er die Vereinbarungen ernst nimmt, sagte sie im DLF. Aber auch Deutschland sei nun in der Pflicht.

Marieluise Beck im Gespräch mit Jasper Barenberg | 12.02.2015
    Porträt der Grünen-Politikerin Marieluise Beck
    Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck (dpa / Karlheinz Schindler)
    "Wir müssen uns vor allem darauf richten, dass in der Ukraine unendlich viel reformiert werden muss", sagte die Sprecherin für Osteuropapolitik ihrer Partei. Deutschland müsse jetzt den Aufbau des Landes unterstützen. So viele Menschen in der Ukraine hätten "an westliche Werte geglaubt, die dürfen wir jetzt nicht enttäuschen".
    Weiter Beck sagte im Deutschlandfunk, es sei fraglich, ob Russlands Präsident Wladimir Putin die Einigung ernst nehmen werde. Er sei jedoch der einzige, der den prorussischen Rebellen Vorschriften machen könne.
    In der Vergangenheit seien Vereinbarungen "getroffen und gebrochen worden". Ob Sanktionen gegen Russland abgebaut oder neue auf den Weg gebracht werden, hänge vom weiteren Verhalten Moskaus ab. "Zug um Zug ist jetzt die richtige Strategie", so Beck.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Die schweren Kämpfe zwischen den Separatisten und den Streitkräften der Ukraine im Osten des Landes sollen in drei Tagen enden. Beide Seiten verpflichten sich, ihre schweren Waffen aus der Kampfzone abzuziehen. Das ist wohl das wichtigste Ergebnis der Verhandlungen in Minsk. Frankreichs Präsident Francois Hollande sprach vor seiner Abreise von einer umfassenden Vereinbarung für eine Waffenruhe und eine politische Lösung des Ukraine-Konfliktes. Und am Telefon begrüße ich Marieluise Beck, im Bundestag die Sprecherin der Grünen für Osteuropapolitik. Schönen guten Tag, Frau Beck!
    Marieluise Beck: Guten Tag!
    Barenberg: Frau Beck, wir haben gerade ein wenig schon darüber gesprochen, über das, was wir bisher von diesem Abkommen wissen. Ist das aus Ihrer Sicht ein Hoffnungsschimmer oder ein bisschen mehr?
    Beck: Ich würde sagen, es ist, nach dem, was ich bisher weiß, ein fragiler Waffenstillstand. Ich mache mir Sorgen um die Menschen in Debalzewo, das wissen wir ja, dass es dort einen Kessel gibt, in dem bis zu 5.000 ukrainische Soldaten eingekesselt sind. Und die Tatsache, dass der Waffenstillstand erst am 15. beginnen soll, macht mir eine Herzbeklemmung um die Frage, was wird sich dort abspielen. Und ansonsten wird man sehen, ob Präsident Putin nun wirklich diese Vereinbarungen ernst nimmt. Er hat mit am Tisch gesessen, und wir wissen, dass er derjenige ist, der den sogenannten Separatisten sagen kann, was zu tun ist. Und das würde bedeuten, die Waffen müssen endlich schweigen.
    Barenberg: Nun haben wir aus Minsk gehört, dass sowohl die Separatisten, oder das auch die Separatisten sich zu diesen Verabredungen bekannt haben. Sie haben gerade die Situation vor Ort beschrieben. Wir haben alle im Hinterkopf, welch schwere Kämpfe es in den vergangenen Tagen gegeben hat. Wie groß ist Ihre Sorge, dass diese Kämpfe zunächst einmal weitergehen und möglicherweise selbst dieser fragile Waffenstillstand wieder Makulatur werden könnte?
    Beck: Leider haben wir ja nicht zum ersten Mal erlebt, dass Vereinbarungen getroffen und dann gebrochen worden sind. Das ist ja auch das Drama, dass unter dem Waffenstillstand von Minsk oder den Waffenstillständen, muss man schon sagen, zwei Dinge passiert sind. Einmal, die Rebellen haben sehr viel freies ukrainisches Gebiet erobert, und es ist sehr viel Waffenmaterial über die russische Grenze geschafft worden. Das hat natürlich auch zu einem massiven Vertrauensverlust geführt, und ob man jetzt Vertrauen haben kann in das, was heute Nacht besprochen worden ist, das muss man leider erst im Laufe der Zeit sehen. Ich würde es mir von Herzen wünschen, denn das Leiden der Menschen ist unermesslich. Hier in Charkiv gibt es bereits 132.000 Flüchtlinge, in der ganzen Ukraine 1,5 Millionen. Das sind Zahlen, die wir viel zu wenig wahrnehmen meines Erachtens, unter welch schweren, schweren Belastungen die Menschen hier leiden.
    "Die Hoffnung stirbt zuletzt"
    Barenberg: Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister, spricht davon und betont, dass es zum ersten Mal klare Absprachen für einen Zeitplan gibt, wann beispielsweise die Waffen auf beiden Seiten zurückgezogen werden sollen. Von unserem Korrespondenten haben wir gerade erfahren, dass ein Aufsichtsgremium all das überwachen sollte. Weil sie von dem fehlenden Vertrauen gesprochen haben – macht Ihnen das ein wenig Hoffnung, dass es diesmal mit dem Zeitplan auch funktionieren könnte?
    Beck: Die Hoffnung stirbt zuletzt, wird ja immer gesagt. Ich wünsche es mir von Herzen, und ich hoffe, dass die Tatsache, dass nun mit Präsident Hollande und Kanzlerin Merkel und Präsident Putin an einem Tisch nicht noch einmal das Vertrauen missbraucht werden kann. Das darf und kann fast nicht sein, und ich glaube, das ist das größte Pfund von dieser Hartnäckigkeit, die ja auch unsere Bundeskanzlerin an den Tag gelegt hat, doch zu versuchen, Präsident Putin an einen Punkt zu bringen, wo er wirklich jetzt auch ernstmachen muss. Denn sonst wäre jegliches Vertrauen in ihn als Verhandlungspartner verloren.
    Barenberg: Was muss die Bundeskanzlerin, was müssen auch die anderen Beteiligten aufseiten des Westens Ihrer Einschätzung nach jetzt tun, um genau das zu erreichen, um genau zu erreichen, dass Putin auch bei seinen Zusagen bleibt, seinen Einfluss geltend macht, und es konkrete Fortschritte gibt?
    Beck: Wir müssen vor allen Dingen uns darauf richten, dass es hier in der Ukraine unendlich viel zu reformieren gibt und dass es viele Menschen gibt, die bereit sind, die Ärmel hochzukrempeln und dieses Land wirklich zu reformieren. Mir wurde gestern gesagt, wir waren ein Mafia-Staat, jetzt sind wir vielleicht ein Oligarchen-Staat. Aber es gibt wirklich viele gut ausgebildete Leute, auch neue Kräfte im Parlament, die sich an die Anti-Korruptionsarbeit machen, Transparenzgesetze – das alles wird aber ein sehr, sehr langer Prozess sein. Wir alle wissen, dass das Land fast bankrott ist. Es müssen Gelder fließen. Das verlangt einigermaßen transparente Strukturen. Wir müssen wirklich jetzt mit aller Kraft den Aufbau dieses Landes unterstützen. Es haben so viele Menschen an westliche Werte geglaubt, jetzt dürfen wir sie auch nicht enttäuschen.
    Abbau der Sanktionen?
    Barenberg: Muss man da auch die Regierung in Kiew dazu drängen, solche Reformen wirklich jetzt anzupacken?
    Beck: Das denke ich schon. Aber wie gesagt, das Parlament arbeitet massiv. Ich habe jetzt innerhalb von zwei Wochen Gruppen von jungen Parlamentsabgeordneten aus allen Fraktionen getroffen, die sich zu den Euro-Optimisten zusammengetan haben, fraktionsübergreifend. Die arbeiten wirklich unter Hochdruck an Strukturen, die dieses Land braucht, um überhaupt reformierbar zu sein.
    Barenberg: Es hat, Frau Beck, in den Tagen vor den Verhandlungen in Minsk, eine immer größere Diskussion gegeben über mögliche Waffenlieferungen, über eine mögliche weitere Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen den Kreml, gegen Russland. Ist das jetzt für den Moment einmal alles vom Tisch oder muss eine gewisse Drohung aufrechterhalten werden, ein gewisser Druck aufrechterhalten werden, damit es tatsächlich Verbesserungen vor Ort gibt?
    Beck: Ich glaube das schon jetzt, da das Vertrauen ja, wie gesagt, so schwach ist nach all den Enttäuschungen, dass jetzt klar sein muss, es muss jetzt umgesetzt werden, wie vereinbart, Schritt für Schritt, und auch die Bereitschaft da sein, wenn einseitig nicht umgesetzt wird, wenn also der Kreml ein doppeltes Spiel spielt, wieder schwere Waffen reinbringt in dieses Gebiet, dann allerdings muss über neue Sanktionsstufen nachgedacht werden beziehungsweise die müssen kommen. Also, ich glaube, eine Zug-um-Zug-Vereinbarung ist jetzt das Richtige. Wenn es sich gut entwickelt, dann müssen auch Sanktionen schrittweise abgebaut werden. Zug und Zug ist jetzt die richtige Strategie.
    Barenberg: Marieluise Beck von den Grünen, heute hier live im Deutschlandfunk. Wir haben sie in Charkiv erreicht in der Ukraine. Vielen Dank für das Gespräch heute Mittag!
    Beck: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.