Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine, entwickelt sich zum Zentrum des Widerstands gegen die Veränderungen im Land. Die ganze Nacht über wachten Bürger auf dem Freiheitsplatz: Sie wollten verhindern, dass auch in der ostukrainischen Metropole mit ihren 1,4 Millionen Einwohnern das Lenin-Denkmal gestürzt wird.
Die örtliche "Partei der Regionen" des Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch hatte am Wochenende einen Kongress einberufen, zu dem nur Politiker aus dem Südosten des Landes geladen waren – also aus jenen Regionen, wo vor vier Jahren eine Mehrheit für Janukowitsch gestimmt hatte. Diese Regionen müssten sich gegen die neue Staatsmacht wehren, erklärte Jewgenij Zhylin, der in Charkiw populäre Chef eines Kampfsportklubs.
"Ich rufe die Stadt- und die Gemeinderäte auf: Bewaffnet uns - mit allem, was ihr uns geben könnt. Wir müssen Einheiten zur Verteidigung bilden."
Das offizielle Ziel der Veranstaltung lautete: die Umwandlung der Ukraine in einen Bundesstaat. Der Gouverneur von Charkiw Michail Dobkin erklärte:
"Eine Föderalisierung ist die einzige Chance, um die Ruhe in unserem Land zu bewahren und eine Spaltung nicht zuzulassen. Wir sind keine Separatisten, sondern wollen die Ukraine erhalten. Abgesehen davon sprechen auch viele ökonomische Gründe für einen Bundesstaat."
Kritiker sehen in der Veranstaltung dagegen den Versuch, die südöstlichen Bezirke von der Ukraine loszulösen und eventuell an Russland anzugliedern. Darauf deuteten die Sprechchöre "Russland, Russland" hin, die von den Delegierten kamen. So wurde die Veranstaltung auch beim großen Nachbarn verstanden. Der dortige Nationalistenführer Wladimir Schirinowski kündigte an, Kampftruppen nach Charkiw zu schicken, um beim Aufbau einer neuen, kleinrussischen Republik zu helfen. Das offizielle Moskau dagegen äußerte sich nicht.
Über eine Spaltung der Ukraine wird derzeit nicht nur in Charkiw diskutiert. Die meisten Menschen in der der Ost- und in der Südukraine blicken skeptisch oder ablehnend auf die jüngsten Ereignisse in Kiew. Die Mehrheit ist gegen eine Anbindung ihres Landes an die Europäische Union, wie sie der Maidan fordert. Denn in diesen Regionen leben viele ethnische Russen. Aber auch die ethnischen Ukrainer hier sprechen überwiegend Russisch und sie wollen die guten Beziehungen zum großen Nachbarn pflegen. Viele Arbeitsplätze hängen an den Exporten nach Russland.
Hitzige Diskussionen zwischen EU-Gegnern und EU-Befürwortern
So kommt es auf den Straßen der ostukrainischen Städte immer wieder zu hitzigen Diskussionen zwischen EU-Gegnern und -Befürwortern und immer wieder auch zu Schlägereien. In der Bergarbeiterstadt Donezk versammelten sich Janukowitsch-Anhänger.
"Ich bin Andrej, arbeite in der Metallindustrie. Ich bin dafür, dass sich die Ost- von der Westukraine abspaltet", sagte einer der Männer, ein anderer fügte hinzu: "Wir wollen uns selbst organisieren, zunächst einmal nur, um uns verteidigen, um der Polizei zu helfen. So einen Euromaidan wie in Kiew brauchen wir hier nicht."
Die Gemüter sind erhitzt, und manche Politiker - wie beim Kongress in Charkiw - gießen Öl ins Feuer. Allerdings gibt es auch in der Ostukraine Verantwortliche, die eine Spaltung der Ukraine strikt ablehnen. Weite Teile der "Partei der Regionen" weigerten sich, nach Charkiw zu fahren. Schließlich sind die Sponsoren der Partei reiche Geschäftsleute, sogenannte Oligarchen. Sie wollen nicht unter die Kontrolle von Russland geraten. Der reichste von ihnen ist Rinat Achmetow, der Kohlebaron aus Donezk. Mit ihm habe er sich beraten, erklärte der Donezker Gouverneur Andrij Schischatzkij:
"Ich habe mit ihm und vielen angesehen Menschen aus der Region gesprochen, auch mit dem Bürgermeister und mit Helden der Ukraine. Sie alle sehen unsere Zukunft nur in einem einigen, ungeteilten und unabhängigen Land."
Selbst auf der Halbinsel Krim, wo der Anteil der ethnischen Russen am größten ist, rudert die ehemalige Regierungspartei inzwischen zurück. Von Separatismus sei nie gesprochen worden, sagte der Vize-Ministerpräsident der autonomen Republik. Dennoch gingen am Sonntag in der Hauptstadt der Krim Simferopol 25.000 auf die Straße und verurteilten den Umsturz in Kiew. In der Hafenstadt Kertsch hissten Demonstranten auf dem zentralen Platz die russische statt der ukrainischen Flagge.
Einen durchschlagenden Erfolg können die Separatisten in der Ost- und in der Süd-Ukraine also bisher nicht verbuchen. Aber die Gefahr einer Spaltung bleibt - mindestens wird es noch sehr lange dauern, bis die verschiedenen Landesteile einmal eine gemeinsame Vision ihrer Zukunft entwickeln.