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Ukraine-Gespräche
"Ein Durchbruch ist das nicht"

Nach der Einigung zwischen Kiew und den Separatisten warnt Gerhard Simon vor zu großen Erwartungen. Die beschlossene waffenfreie Pufferzone sei schwer umsetzbar, sagte der Osteuropaexperte im DLF. Sie könne aber den brüchigen Waffenstillstand stärken - und genau daran sei Moskau interessiert.

Gerhard Simon im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Ein ukrainischer Soldat sitzt neben einem Panzer im Osten der Ukraine.
    Regierungstruppen sowie Aufständische müssen laut Vereinbarung schwere Waffen um jeweils 15 Kilometer zurückziehen. (picture alliance / dpa / Roman Pilipey)
    Die russische Seite sei an einem Waffenstillstand interessiert, sagte der Slawist von der Universität Köln im Deutschlandfunk. "Russland möchte weitere Sanktionen vermeiden und den Bruch mit dem Westen nicht zu weit treiben." Von einer politischen Verständigung seien die Konfliktparteien allerdings immer noch "weit entfernt", so Simon. Nun solle nur erneut festgeschrieben werden, "was im Grunde bereits am 5. September vereinbart wurde".
    Zwei Wochen nach Beginn einer offiziellen Feuerpause in der Ostukraine haben sich die Regierung in Kiew und die Separatisten auf eine waffenfreie Pufferzone geeinigt. Im Konfliktgebiet sollen damit Verstöße gegen die brüchige Waffenruhe verhindert werden. Bei Verhandlungen in Minsk vereinbarten die Konfliktparteien einen umfassenden Aktionsplan.
    Beide Seiten stimmten darin auch der Überwachung der Waffenruhe durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu. Er bezweifle allerdings, ob die OSZE mit ihrer begrenzten Anzahl von Mitarbeitern "alles überwachen kann", so Simon.

    Das Gespräch mit Gerhard Simon in voller Länge:
    Martin Zagatta: Ein Bericht von Hermann Krause und mitgehört hat Professor Gerhard Simon, Osteuropaexperte der Uni Köln, und er kennt sich besonders gut auch in der Ukraine aus, hat ein Buch oder Bücher darüber geschrieben. Guten Tag, Herr Simon!
    Gerhard Simon: Guten Tag!
    Zagatta: Herr Simon, diese Pufferzone jetzt - ist das ein Durchbruch, um zumindest der Gewalt ein Ende zu machen? Das klingt ja alles recht positiv, was wir da im Moment hören.
    Simon: Also ich warne vor zu großen Worten. Noch gibt es die Pufferzone nicht, und ob es wirklich gelingt, die Waffen auf beiden Seiten auf 15 Kilometer zurückzuziehen und zurückzunehmen - nach allem, was in den letzten beiden Wochen wir beobachtet haben, wäre ich da sehr skeptisch. Ich meine, dass jetzt erneut das festgeschrieben werden soll, was im Grunde schon am 5. September vereinbart worden ist, das zeigt ja die ganze Schwierigkeit und die Brüchigkeit dieses Waffenstillstandes. Wenn die heutige Vereinbarung dazu führt, dass der Waffenstillstand besser hält, als es in der letzten Woche der Fall war, dann muss man schon ganz zufrieden sein. Ein Durchbruch ist das in dem Sinne nicht. Es ist auch deswegen kein Durchbruch - das hat Hermann Krause auch schon gesagt: Von einer politischen Regelung und von einer politischen Verständigung sind wir weit entfernt.
    Zagatta: Jetzt soll in dieser Vereinbarung aber immerhin mit drin sein: Ausländische Kämpfer müssen sich zurückziehen. Was würde das bedeuten?
    Simon: Sie müssen sich zurückziehen - nur wer kontrolliert das und wer stellt fest, ob sie sich zurückgezogen haben? Das beruht ja auf Goodwill-Vereinbarungen, und die sind im Grunde nicht vorhanden. Ich bezweifle, dass kurzfristig das umgesetzt werden kann und dass kurzfristig die schweren Waffen, die ja auch in den letzten Tagen wieder verstärkt in die Kampfgebiete gebracht worden sind, von heute auf morgen da einfach verschwinden werden. Wir sollten nicht naiv sein und die Erfahrungen der letzten Wochen berücksichtigen. Ich wiederhole noch einmal: Wenn es gelingt, die Waffen, die schweren Waffen weitgehend zum Schweigen zu bringen, wäre das ein ganz großer Schritt nach vorne. Dass sie auf 15 Kilometer auf jeder Seite zurückgezogen werden, das ist eine Entwicklung, die, wenn sie überhaupt realistisch ist, dann Wochen in Anspruch nehmen wird, aber nicht einen Tag.
    Zagatta: Kontrollieren soll das Ganze und ausgehandelt hat das Ganze ja auch die OSCE. Trauen Sie der in der Region einiges zu? Die spielt ja eine etwas merkwürdige Rolle, denn gar nicht so lange her sind ihre Vertreter dort noch als Geiseln genommen worden.
    Simon: Ja, genau. Die Frage ist: Hat die OSCE genügend Mitarbeiter? Denn das sind ja lange, mehrere hundert Kilometer sozusagen Waffenstillstandslinie und Frontlinien, die überwacht werden müssen. Ich bezweifle, dass die OSCE kurzfristig überall sozusagen präsent sein kann. Der gute Wille ist sicherlich da aufseiten der OSCE und wir haben nichts Besseres, deswegen der große Dank an die OSCE, dass sie sich dort engagiert. Aber gleichzeitig muss man realistisch sein und auch deren Möglichkeiten einschätzen. Wie sollen sie mit schwachen Kräften einen Waffenstillstand überwachen, der auf beiden Seite jedenfalls in den vergangenen zwei Wochen immer wieder gebrochen worden ist? Dennoch, ich stimme zu: Man muss Hoffnung haben und man muss die OSCE unterstützen und auch diejenigen, die für den Waffenstillstand und den zukünftigen Frieden eintreten. Es gibt gar keine andere Alternative, zumal sowohl auf der ukrainischen als auch auf der russischen Seite jedenfalls augenblicklich die Überzeugung offenbar Platz greift, dass eine weitere militärische Auseinandersetzung niemandem nützlich ist und vermieden werden muss.
    Zagatta: Darauf hat ja aber aus westlicher Sicht zumindest Putin lange, lange gesetzt. Ist das, weil er oder weil die Russen da militärisch überlegen sind, ist das, was sich jetzt da entwickelt das Beste, was Kiew da noch herausholen konnte?
    Simon: Das ist gar keine Frage. Der Waffenstillstand ist vom 5. September geschlossen worden in einer Situation, sozusagen potenziellen Niederlagesituation der ukrainischen Streitkräfte und einer potenziellen Siegposition derjenigen, die aus Russland unterstützt werden. Aber auch – so scheint es – die russische Seite ist inzwischen an einem Waffenstillstand interessiert, und zwar deshalb, weil das weitreichende politische Konsequenzen für Russland hat. Russland möchte, so scheint mir, weitere Sanktionen vermeiden, Russland möchte auch den Bruch mit dem Westen nicht zu weit treiben, und Russland weiß, dass das nur erreichbar ist, wenn es zu einem Waffenstillstand im Donbass kommt.
    Zagatta: Herr Simon, wie schätzen Sie das ein: Wenn sich da die ausländischen Kämpfer tatsächlich zurückziehen würden, wie denkt denn die Mehrheit in der Ostukraine, in diesen Gebieten, in diesen Städten, um die es geht? Würde die sich nicht tatsächlich am liebsten Russland anschließen?
    Simon: Also wenn im Donbass eine Volksabstimmung stattfinden könnte, die auch nur von ferne dem ähnlich ist, was wir in Schottland erlebt haben, dann kann man ziemlich sicher sein aufgrund der Umfrageergebnisse, die wir seit Langem haben, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich für ein Verbleiben in der Ukraine entscheiden wird. Aber das sind natürlich reine sozusagen Wolkenkuckucksheim-Überlegungen, denn politische und gesellschaftliche Konditionen wie in Großbritannien gibt es eben im Donbass nicht. Das heißt, hier entscheiden am Ende diejenigen, die die Macht in der Hand haben, und das ist Moskau.
    Zagatta: Läuft das jetzt alles auf eine Teilung hinaus, wenn man realistisch ist?
    Simon: Mir scheint, es läuft in der Tat auf einen eingefrorenen Konflikt hinaus, so ähnlich wie wir das ja seit vielen Jahren in Transnistrien haben, im Grenzgebiet zwischen Moldau und der Ukraine. Mir scheint, Russland wird den Fuß, den es einmal dort in die Ukraine gesetzt hat, nicht zurückziehen. Russland ist daran interessiert, dort präsent zu bleiben, insbesondere auch politisch, militärisch und wirtschaftlich. Die Ukraine selbstverständlich, Kiew ist daran interessiert, das gesamte Gebiet wieder einzugliedern, zurückzugliedern in die Ukraine – nur: Das ist ein Ziel, so fürchte ich, was kurz- und mittelfristig nicht erreichbar sein wird.
    Zagatta: Professor Gerhard Simon, Osteuropaexperte der Universität Köln. Herr Simon, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Simon: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.