Es gibt Hoffnung auf ein Ende der Gewalt in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Präsident Viktor Janukowitsch zeigt sich nach mindestens 77 Toten in den vergangenen Tagen einsichtig: Er will Unruhen und Staatskrise mit Zugeständnissen lösen. Vorgesehen sei ein neues "Kabinett des nationalen Vertrauens" innerhalb von zehn Tagen, hatte Janukowitsch mitteilen lassen. Er sprach von Schritten, "die getan werden müssen, um Ruhe wiederherzustellen und weitere Opfer der Konfrontation zu vermeiden". Besiegelt wurden die Pläne in einem vorläufigen Abkommen zwischen Regierung und Opposition. Der russische Ukraine-Vermittler Wladimir Lukin weigert sich zu einer Billigung dieser Vereinbarung, berichtet die Nachrichtenagentur Interfax. Hier lesen Sie den Text der Übereinkunft im Wortlaut.
#Ukraine: FMs #Steinmeier + @sikorskiradek have just co-signed the agreement between Government + Opposition in #Kyiv.— GermanForeignOffice (@GermanyDiplo) 21. Februar 2014
Das Parlament beschloss schon unmittelbar nach der Unterzeichnung eine Rückkehr zur Verfassung von 2004, die die Befugnisse des Präsidenten beschneidet und das Parlament aufwertet. In den zehn kommenden Tagen muss diese Regierung "des nationalen Vertrauens" gebildet werden. Bis zum September soll eine neue Verfassung ausgearbeitet sein, die die Befugnisse von Parlament und Präsident "ausbalanciert". Auf Grundlage der neuen Verfassung wird spätestens bis Ende des Jahres Präsident und Parlament neu gewählt.
Das Parlament machte außerdem den Weg für eine Freilassung der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko frei. Präsident Janukowitsch ordnete zum Gedenken an die 77 Toten der blutigen Straßenkämpfe zwei Trauertage an diesem Wochenende an.
Regierungsgegner auf dem Unabhängigkeitsplatz Maidan in Kiew betonten, Janukowitschs Zugeständnisse seien keinesfalls ausreichend. Der Präsident müsse sofort zurücktreten und vor Gericht gestellt werden, fordern Regierungsgegner in Kiew. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und sein polnischer Kollege Radoslaw Sikorski trafen sich am Mittag mit Vertretern der außerparlamentarischen, teils radikalen Maidan-Bewegung. Danach hieß es, auch der sogenannte Maidan-Rat unterstütze das Abkommen, jedoch unter Bedingungen wie Janukowitschs Rücktritt und die Absetzung von Innenminister Vitali Sachartschenko. Er wird als Hauptverantwortlicher für die Gewaltexzesse der Polizei in den vergangenen Tagen gesehen.
Warnung vor zu großem Optimismus
Steinmeier und Sikorski hatten bereits in der Nacht für rund acht Stunden mit den Oppositionsführern und Präsident Janukowitsch verhandelt; auch der russische Vermittler Wladimir Lukin kam dazu. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius war zu Beginn auch an den Gesprächen beteiligt, reiste dann aber weiter zu einem Termin in China. Er mahnte am Morgen angesichts der Berichte über eine Einigung zur Vorsicht: Die ukrainische Opposition müsse sich erst noch beraten. Auch Polens Premierminister Donald Tusk sagte, es gebe zwar einen Entwurf für eine Übereinkunft, aber noch keine endgültige Einigung.
"Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob das, was besprochen ist, auch hält", sagte Steinmeier im Deutschlandfunk. Der Außenminister lobte das Engagement Moskaus. Die Anwesenheit eines russischen Repräsentanten sei "günstig für die Gesprächsatmosphäre" gewesen.
Im Parlament kam es währenddessen zu einer Schlägerei, als der Parlamentssprecher eine Pause verordnete und damit die Beratungen zu einer möglichen Resolution verzögerte. In dieser sollte dazu aufgerufen werden, die Macht von Präsident Janukowitsch einzuschränken. Mehrere Abgeordnete schlugen aufeinander ein, es kam zu minutenlangen chaotischen Szenen. Sprecher Wolodymyr Rybak, ein Vertrauter Janukowitschs, verließ daraufhin den Sitzungssaal, mehrere Abgeordnete allerdings setzten die Debatte fort.
Vizearmeechef tritt zurück
Zwei Tage nach der Entlassung des ukrainischen Armeechefs Wolodimir Samana ist dessen Stellvertreter Juri Dumanski zurückgetreten. Damit solle das Militär nicht gegen die Demonstranten einschreiten. "Ich habe beschlossen, meinen Rücktritt einzureichen, um eine Eskalation zu verhindern", sagte Dumanski im ukrainischen Fernsehsender Kanal 5.
Präsident Janukowitsch hatte schon zu Beginn des Monats erwogen, den Notstand auszurufen und damit einen Einsatz von Soldaten gegen Demonstranten zu ermöglichen. Dies hatte Armeechef Samana öffentlich kritisiert.
Schusswechsel in der Stadt
In der Innenstadt von Kiew soll es unterdessen zu einem Schusswechsel zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften gekommen sein. Die Polizei gab an, sie habe das Feuer erwidert, nachdem sie zwischen dem Unabhängigkeitsplatz und dem Parlamentsgebäude beschossen worden sei. Angaben zu möglichen Opfern wurden nicht gemacht, von der Opposition gab es zunächst keinen Kommentar.
Vor den Verhandlungen war die Lage in der Ukraine eskaliert. Ein am Mittwoch vereinbarter Waffenstillstand hielt nur etwa zehn Stunden, danach wurde scharf geschossen. Bis Donnerstagnachmittag gab es laut Schätzungen mehr als 100 Tote.