Er ist im eigenen Land isoliert, gerät im Ausland zunehmend unter Druck: Viktor Janukowitsch leide unter einer akuten Atemwegserkrankung und Fieber, hieß es auf seiner Webseite. Aus der Mitteilung ging nicht hervor, für wie lange sich der Präsident krank meldet und ob er trotz der Erkrankung arbeiten kann. "Wir sind keine Ärzte", sagte ein Sprecher des Präsidenten, "aber klar ist, dass eine erhöhte Temperatur nicht an einem Tag wieder zurückgeht".
"Das riecht nach diplomatischer Erkrankung", sagte Rostislaw Pawlenko, ein Anhänger der Udar-Partei von Boxweltmeister Vitali Klitschko. "Sie ermöglicht Janukowitsch, Gesetze nicht zu unterschreiben, die Opposition nicht zu treffen, Entscheidungen zur Lösung der politischen Krise fernzubleiben."
Aus dem Krankenbett räumte Janukowitsch erstmals Fehler der Behörden ein und versprach, künftig "mehr Verständnis" für Forderungen der Demonstranten zu zeigen. Der Präsident forderte zugleich die Opposition zum Einlenken auf und kritisierte, sie wolle die politiische Krise absichtlich verschärfen, um "politische Ambitionen einiger Führer" zu befriedigen.
"Macht jetzt endlich ernst"
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) appellierte an die ukrainische Führung: "Macht jetzt endlich ernst und tut, was Ihr der Opposition versprochen habt!" Bislang gebe es eine "Lücke zwischen dem, was zwischen den Verhandlungsparteien der Opposition und dem Präsidenten besprochen wird, und dem, was dann anschließend umgesetzt wird". Steinmeier bezog sich dabei insbesondere auf das Amnestiegesetz. Nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach er von Fortschritten in Kiew. "Es gibt die Chance, dass aus all dem etwas entsteht, was nach einer politischen Lösung aussieht." Problem sei jetzt allerdings, dass die Vereinbarungen vom Regierungslager nun "von sehr vielen Konditionen" abhängig gemacht würden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte Janukowitsch in einem Telefonat auf, "das Verabredete, darunter auch das Amnestiegesetz, schnell umzusetzen und den Dialog fortzusetzen". Merkel telefonierte auch mit Russlands Präsident Wladimir Putin und appellierte an ihn, "für einen konstruktiven und ergebnisorientierten Dialog zwischen Regierung und Opposition zu werben". Putin hatte zuvor angekündigt, mit der vollständigen Auszahlung von Milliardenhilfen an die Ukraine zu warten, bis eine neue Regierung im Amt ist. Das russische Parlament erhebt in einer Resolution "schwere Vorwürfe gegen den Westen".
Hunderttausende Ukrainer demonstrieren seit zwei Monaten gegen Janukowitsch und verlangen seinen Rücktritt sowie vorgezogene Neuwahlen. Zuletzt machte der Präsident zwar Zugeständnisse an die Protestbewegung, doch sie ist damit noch nicht zufrieden.
Amnestie für Festgenommene
Auch die Verabschiedung einer Amnestie für festgenommene Demonstranten hat keine Lösung gebracht - denn sie ist an Auflagen geknüpft: Die Opposition boykottierte die Abstimmung im Parlament über das Amnestiegesetz, da dieses ein Ende der Proteste und die Räumung besetzter Gebäude binnen 14 Tagen verlangt.
Bei den Protesten gegen Janukowitsch sind landesweit bisher 234 Demonstranten festgenommen worden. 140 von ihnen säßen in Untersuchungshaft oder stünden unter Hausarrest, teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew mit. Alle in den vergangenen zwei Wochen Festgenommenen fallen voraussichtlich unter die beschlossene Amnestie. Die Justiz spricht von vier Toten und 500 Verletzten, die Regierungsgegner von sechs getöteten Demonstranten sowie von 30 Verschleppten und 2000 Verletzten.
Oppositionsführer Klitschko forderte in einem Beitrag für die "Bild"-Zeitung mit Blick auf die Rücknahme der umstrittenen Verschärfung des Demonstrationsrechts, die EU solle ein Einreiseverbot gegen Janukowitsch und seine Behördenvertreter verhängen, "bis der Präsident die Rücknahme seiner diktatorischen Gesetze auch wirklich unterschreibt". Er warf Janukowitsch vor, die Opposition täuschen zu wollen und auf Zeit zu spielen.
USA drohen mit Sanktionen
Die US-Regierung bereitet unterdessen Sanktionen sowohl gegen Mitglieder der ukrainischen Führung als auch gegen Anführer der jüngsten Proteste vor. Sie könnten verhängt werden, wenn die Gewalt weiter zunehme, sagten Berater des Parlaments der Nachrichtenagentur Reuters. Welche Strafmaßnahmen konkret in Kraft gesetzt werden könnten, wurde nicht genannt.
Die parlamentarische Versammlung des Europarates hat die Gewalt in der Ukraine verurteilt, jedoch vorerst auf Sanktionsdrohungen gegen die Abgeordneten aus Kiew verzichtet. Nur bei einer gewaltsamen Räumung des Unabhängigkeitsplatzes sollte die Versammlung prüfen, ob den ukrainischen Europaratsabgeordneten das Stimmrecht entzogen werden sollte, hieß es in einer Entschließung.