Ernest aus Ghana ist 27, studiert Wirtschaft in Kiew. Seine Haut ist fast schwarz. Mit einem Bekannten kommt er gerade vom Maidan geschlendert. Ob ihm dort unwohl war, wegen des rechten Sektors, den Swoboda-Leuten, den Faschisten? "Ich habe keinerlei Angst, das ist eine Freiheitsbewegung, sie haben gewählt, was sie wollen."
Arkady Monastyrsky vom Jüdischen Forum der Ukraine kann Meldungen, dass angeblich viele Juden das Land verlassen, nicht bestätigen. Auch nicht, dass von den Rechtsradikalen eine große Gefahr ausgeht, selbst wenn über sie viel geredet wird. "Vor nicht allzu langer Zeit sind eine Reihe von kleinen Gruppen entstanden. Sie heißen Dreizack oder benennen sich nach Stepan Bandera. Für uns Juden, selbst wenn wir nach dem Krieg geboren sind, klingen diese Namen nicht gerade angenehm, denn damit ist die Kollaboration der Ukrainer bei der Judenvernichtung durch die Nazis verbunden. Das gab es in sehr vielen Städten."
Josef Zissels von der Euroasiatischen Jüdischen Kongress beobachtet seit 25 Jahren Antisemiten und Neonazis im postsowjetischen Raum. Die Ukraine sei mitnichten ein Problemfall, zumal gemessen an Russland. "In Russland sind allein mehr als 20 neofaschistische Gruppen unterwegs, und die treten weit aggressiver auf."
"Die Lüge vom Faschismus"
Josef Zissels, der als Dissident zu Sowjetzeiten sechs Jahre im Gefängnis saß, vermutet, dass sowohl die Maidanbewegung, als auch die neue Regierung in Kiew diskreditiert werden sollen, was im Westen am sichersten mit dem Vorwurf des Antisemitismus funktioniere. Er vermutet hinter der Diffamierung eine Kremlkampagne. "Putin hat drei Wahnvorstellungen: Dass NATO-Raketen an Russlands Grenze auftauchen, dass der Maidan auf den Roten Platz in Moskau übergreift und dass Russland zerfällt wie einst die Sowjetunion. Deswegen bringt er die Lüge über den Faschismus in der Ukraine in die westlichen Medien und Parlamente. Mit viel Geld. Und vielen einflussreichen Helfern im Westen. Die russischen Geheimdienste, die Diplomaten und Vereinigungen der russischen Landsleute - sie alle arbeiten an diesen Lügen, der Diskreditierung und den Provokationen."
Bei der Parlamentswahl 2010 holte die nationalistische Partei Swoboda 10,5 Prozent, ihre Umfragewerte sinken, weil sie potenziellen Anhängern nicht radikal genug während der Maidan-Aktionen war. Tjagnibok bekam als Präsidentschaftskandidat nur 0,6 Prozent der Stimmen, sagt der Antisemitismuswächter Zissels. "Eine besondere Gefahr geht von Swoboda nicht aus. Wir beobachten sie seit Anfang der 90er Jahre, als sie noch Sozialnationalistische Partei hieß. Die Rechte in der Ukraine ist sehr schwach, zersplittert. Ihre Demagogie ist theoretisch, in ihren Handlungen sind sie weit weniger gefährlich als ähnliche Parteien im Westen. Swoboda redet mehr, als sie tut."
"Kein Antisemitismus, kein Chauvinismus"
Stärker als Swoboda machte der sogenannte Rechte Sektor auf sich aufmerksam. Eine streng hierarchisch organisierte Gruppe. Im Interview mit dem diensthabenden Kommandeur und dessen Begleiter nennen beide weder ihre Namen, noch nehmen sie die Masken ab. "Wir sind keinen Rassisten, wir halten die weiße Rasse nicht für die bessere. Aber wir sehen, dass die dunkle Hautfarbe dominiert. Wir sind gegen die Vermischung des Blutes. Multikulti gibt es mit uns nicht. Der ukrainische Nationalismus ist kein Rassismus, sondern Liebe zu unserem Land. Kein Antisemitismus, kein Chauvinismus." Sie verweisen auf hunderte jüdische Aktivisten auf dem Maidan, mit denen sie zusammenarbeiten.
Josef Zissels hat den rechten Sektor scharf beobachtet. "Der Rechte Sektor hat nicht eine einzige antisemitische Erklärung abgegeben. Er ist radikaler. War Teil des Selbstschutzes des Maidan, aber der besteht aus 20.000 Mann, der Rechte Sektor gerade mal aus 200."
Die letzte antisemitische Äußerung von Tjagnibok, dem Swoboda-Mann ist zehn Jahre her, sagt Arkady Monastyrsky vom Jüdischen Forum, der keinerlei Sympathien für die Partei hegt. Josef Zissels warnt: "Glauben sie nicht das Märchen vom Radikalismus, Faschismus, Nationalismus in der Ukraine. Mit dem, womit wir es hier zu tun haben, werden wir gut allein fertig, ohne Russland, ohne die Welt."