Er ist nicht zu übersehen. Wolodymyr Ruban fährt in einem weinroten Pick-up-Wagen vor, auf den Türen prangt das blau-weiße Logo seiner Nichtregierungsorganisation "Offizierskorps der Ukraine". Wer über den Austausch von Kriegsgefangenen zwischen der Ukraine und prorussischen Separatisten recherchiert, kommt an Ruban nicht vorbei. Der 48-Jährige leitet das von ihm gegründete Zentrum für die Freilassung von Gefangenen in der Hauptstadt Kiew. Seit Mai 2014 versucht er mit Helfern, gefangen genommene Kämpfer freizubekommen. Privat. Am Anfang habe er Hilfe von einem Oligarchen bekommen. Die Regierung toleriere seinen Einsatz, sagt Ruban.
"Unser Zentrum hat mehr als 600 Gefangene ausgetauscht. Insgesamt waren wir an Verhandlungen beteiligt, bei denen rund 1.000 Menschen freigelassen wurden. Am Anfang waren es Zivilisten, freiwillige Kämpfer, Journalisten. Später kamen Militärs und Polizisten dazu."
Zuletzt hat Ruban Ende August zwölf Separatisten gegen elf ukrainische Soldaten ausgerauscht. Vorausgegangen war ein wochenlanges Tauziehen. Mindestens zweimal wurde der Austausch überraschend in letzter Minute abgesagt. Beide Seiten - Kiew und Donezk - gaben sich die Schuld dafür.
Verzögerung bei der Umsetzung des Abkommens
So geht es seit rund einem halben Jahr. Eigentlich wurde bei den Friedensgesprächen in Minsk im Februar vereinbart, dass beide Seiten alle "Geiseln" und "illegal festgehaltenen Personen" freilassen. Von Kriegsgefangenen war und ist nicht die Rede, da es sich in der Ukraine offiziell nicht um einen Krieg, sondern um einen Antiterroreinsatz handelt.
Ein möglicher Grund für die Verzögerung ist die ungleiche Zahl von Gefangenen. Während die Ukraine rund 160 ihrer Soldaten und Zivilisten aus den Händen der Separatisten befreien möchte, nennen diese eine fast zehn Mal so hohe Zahl – rund 1.500. Die meisten seien Zivilisten. Die Separatisten sind deshalb an einem Austausch nach dem in Minsk vereinbarten Prinzip "alle gegen alle" interessiert. Sie verlangen, dass die Ukraine eine Amnestie für alle Kämpfer verabschiedet. Doch Kiew zögert und verweist darauf, dass die Separatisten ihrerseits andere Minsker Bedingungen verletzten.
Ein weiteres Problem scheint zu sein, dass die Ukraine den Gefangenenaustausch nicht zentral regelt. Neben der privaten Initiative von Ruban kümmern sich der ukrainische Sicherheitsdienst SBU und das Verteidigungsministerium darum. Manchmal gebe es Konkurrenz, sagt Ruban. Nun wolle man die Kräfte bündeln. Auch die Kriterien, nach denen ausgetauscht wird, liegen im Dunkeln. Das nährt Spekulationen und Korruptionsvorwürfe. Manche ehemalige Gefangene werfen Ruban vor, er habe Geld von Verwandten für seine Hilfe angenommen, was er bestreitet.
"Es gab Vorwürfe, dass ich einen rosafarbenen Porsche fahre und ein Millionär sei. Ich nehme das nicht ernst. Das ist unter der Menschenwürde, das ist Menschenhandel."
Der Zufall entscheidet mitunter
Offenbar entscheidet nicht selten der Zufall, wer freikommt und wann. Ruban erinnert sich an das, was er erlebt hat, als er im vergangenen Jahr zusammen mit der ukrainischen Sängerin und Eurovision-Siegerin Ruslana nach Donezk reiste.
"Es war vereinbart, dass wir 15 ukrainische Soldaten austauschen können. Doch stattdessen hat man uns 50 Männer präsentiert und gesagt, wir sollen bitte auswählen. Die Männer haben dann selber diejenigen nach vorne geschubst, die zwei oder mehr Kinder hatten - dann die jüngeren. Am Ende fragte Ruslana, ob sie auch jemanden auswählen darf. Sie wählte einen hübschen jungen Mann aus."
Dass der Austausch manchmal wie ein Lottospiel ist, bestätigt auch Vitali Hrankin aus dem ostukrainischen Charkiw. Der 45-Jährige ehemalige Kämpfer eines ukrainischen Freiwilligenbataillons geriet im August 2014 in Gefangenschaft und wurde nach zwei Monaten ausgetauscht.
"Es gab eine Vereinbarung, 25 Ukrainer gegen 25 Separatisten auszutauschen. Doch dann gab es Streit um bestimmte Personen und eine Vertreterin der Separatisten wollte den Austausch abbrechen. Dann war sie doch dazu bereit und sagte, ein Helfer solle sich 25 Zahlen von eins bis 170 aussuchen. Es war wie im Lotto. Danach kam ich frei."
Und schließlich sorgt ein Streit zwischen Russland und der Ukraine offenbar für Verzögerungen. Kiew besteht darauf, dass auch seine in Russland festgehaltenen Bürger wie die Kampfpilotin Nadija Sawtschenko oder der Filmemacher Oleh Senzow freigelassen werden sollen. Moskau ist bisher darauf nicht eingegangen.