Christine Heuer: In der Krim-Krise versuchen auch die USA, mit Russland ins Gespräch zu kommen. Die Ausgangslage dafür ist nicht so gut. Das Vertrauen zwischen beiden Staaten ist nahe am Nullpunkt angelangt. Gestern hat der russische Außenminister Lawrow eigene Vorschläge zur Beilegung der Krise angekündigt. Mit dem, was Washington vorgelegt hatte, so Lawrow, sei er "nicht wirklich einverstanden". Außerdem lud Lawrow seinen amerikanischen Kollegen John Kerry zu einem Treffen nach Moskau ein. Das Echo in Washington ist verhalten.
Die europäische, vor allem die deutsche Variante dieser Diplomatie gerät derweil immer stärker in die Kritik, denn was tut die EU unter Führung des starken Deutschlands: Wirft Russland einen Bruch des Völkerrechts vor, setzt aber weiterhin auf Verhandlungen mit der russischen Regierung, die darauf jedoch nicht eingeht, und droht nach wie vor mit Sanktionen, ohne damit bislang wirklich ernst zu machen.
Andreas Schockenhoff ist am Telefon, CDU-Außenpolitiker, in der schwarz-gelben Regierung Koordinator für die deutsch-russischen Beziehungen und in dieser Funktion einer, der Moskau offen und sehr deutlich kritisiert hat. Guten Morgen, Herr Schockenhoff.
Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Frau Heuer!
Heuer: Die Deutschen gelten als Führer Europas und haben in der Krim-Krise bisher faktisch nichts erreicht. Ist die deutsche Außenpolitik gescheitert?
Schockenhoff: Nein, ganz im Gegenteil. Deutschland hat erreicht, dass die Europäische Union bisher zusammengeblieben ist und mit einer Stimme spricht. Das darf man nicht unterschätzen. Bei der Georgien-Krise, damals nach dem Einmarsch der Russen in Abchasien und Südossetien, ist es Russland gelungen, die Europäische Union zu spalten. Gegen schwache, in hohem Maße auf Energielieferungen aus Russland abhängige Länder haben sie diese Waffe eingesetzt und bei großen Ländern haben sie durch bilaterale Verträge darauf gesetzt, dass letztendlich Wirtschafts- und Handelsinteressen stärker sind. Bisher hat Europa Einigkeit gezeigt. Die Bundeskanzlerin ist morgen in Warschau, der Außenminister ist heute in den baltischen Staaten und vor allem die EU hat eine Stimme und ein Gesicht bisher in dieser Krise gehabt. Das ist ein großes Verdienst, das auch auf die Bemühungen der deutschen Diplomatie zurückzuführen ist.
"Sanktionen müssen einen Ausweg offen lassen"
Heuer: Herr Schockenhoff, ganz kurz. Wenn Sie sagen, die Europäische Union spricht unter deutscher Führung mit einer Stimme, ist es nicht aber so, dass sie im Wesentlichen nichts erreicht damit?
Schockenhoff: Wir sind am Anfang einer Krise und wir können nicht glauben, dass mit wenigen Maßnahmen innerhalb von wenigen Tagen wir diese tiefe politische Krise aus der Welt schaffen. Sie haben die Frage von Sanktionen angesprochen. Sanktionen machen dann einen Sinn, wenn sie auf der anderen Seite dem Gegenüber immer einen Ausweg offen lassen, also immer verbunden sind auch mit einer Alternative, wenn er sein Verhalten ändert. Und Sanktionen sind dann wirksam, wenn sie mit einer gewissen Eskalationsbereitschaft einhergehen. Das heißt, bei dem Thema Sanktionen kann man anfangen mit personenbezogenen Sanktionen, die denen im Umfeld von Putin, die sich persönlich bereichern, wehtun.
Heuer: Aber hätte man das nicht längst tun müssen?
Schockenhoff: Langsam! Sanktionen machen nur dann einen Sinn, wenn Sie bereit sind, dann auch, wenn darauf nicht reagiert wird, dass eine nächste Stufe kommt. Das heißt, auch gegen Unternehmen, auch gegen wirtschaftliche Kooperationen. Das heißt, Sanktionen würden durchaus uns auch selbst wehtun. Darüber gibt es eine Debatte in Deutschland selbst, darüber gibt es eine Debatte in der Europäischen Union und die Debatte ist auch notwendig. Sanktionen sind ja nicht vom Tisch. Wenn es eine diplomatische Lösung gibt, dann müssen vor allem internationale Organisationen ins Spiel kommen: die OSZE, die internationale Gemeinschaft. Der Sicherheitsrat ist blockiert durch Russland. Aber darauf zu setzen, entspricht deutscher Politik und hat einen längeren Atem. Wenn wir jetzt kurzfristig eine Politik eingehen, mit der wir aber nichts erreichen, weil dadurch die Blockade nur manifest wird, aber nicht überwunden wird, dann ist das zwar kontraproduktiv, auch für Russland. Es eröffnet aber für die Ukraine, auch für andere Staaten in der gemeinsamen Nachbarschaft keine Entwicklung in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Heuer: Herr Schockenhoff, Sie sagen, wir sind am Anfang einer Krise. Das kann man ja auch anders sehen. Russland schickt getarnte Soldaten, die Ukraine wird vielleicht mobil machen. Wie dicht steht die Region vor einem bewaffneten Krieg?
Schockenhoff: Ein bewaffneter Krieg muss verhindert werden und ein bewaffneter Krieg kann auch für Russland dauerhaft nicht gewonnen werden. Ich glaube, das weiß Russland. Was wir unterschätzen ist, dass Putin natürlich in der Ukraine ein Modell für die eigene innere Entwicklung sieht. Deswegen müssen wir Russland die Folgen dieses Verhaltens auch für die eigene wirtschaftliche Entwicklung zeigen. Wenn Russland offen das Völkerrecht bricht, dann ist es natürlich um das Vertrauen in die innere Rechtsstaatlichkeit noch schlechter bestellt, als das ohnehin der Fall ist. Wir sehen heute schon, dass Investitionsentscheidungen in Russland zurückgestellt werden. Also kann Russland selbst ein aggressives Verhalten, das zur Schwächung seiner Nachbarn führt, nicht auf Dauer durchhalten. Die alte Nullsummen-Logik ist gescheitert und das wird in Russland auch spürbar. Das wird nicht von heute auf morgen spürbar, aber auf Dauer kann Russland Modernisierung und Wettbewerbsfähigkeit nicht gegen Europa und nicht mit einer Schwächung seiner Nachbarn erkaufen.
"Es gibt klare Bedingungen"
Heuer: Wenn Sie so argumentieren, setzen Sie voraus, dass Moskau vernünftig agiert. Viele sagen ja, das sieht im Moment eher nicht danach aus. Hillary Clinton hat Putins Expansionismus mit dem von Hitler verglichen. Machen wir unterm Strich nicht gerade so etwas wie Appeasement-Politik?
Schockenhoff: Wir machen keine Appeasement-Politik, weil wir das eben nicht als dauerhaft ansehen. Auch der Vorbericht zu den US-Bemühungen hatte gerade gezeigt, es gibt klare Bedingungen, nämlich eine Absage an die Spaltung der Krim. Moskau muss die illegal auf der Krim stationierten russischen Streitkräfte zurückziehen. Moskau muss einer Kontaktgruppe beitreten. Und auch wenn es nicht am Anfang steht, am Ende muss Moskau natürlich bereit sein, mit einer legitimen ukrainischen Regierung direkt zu sprechen. Sonst kann es keine Zusammenarbeit geben. Deshalb ist es nicht Appeasement, sondern wir müssen jetzt Russland Raum geben, seine Haltung grundlegend zu ändern.
Heuer: Herr Schockenhoff, aber wie viel Raum - ich stelle die Frage noch mal - ist denn? Wir haben heute Dienstag. Am Sonntag soll das Referendum auf der Krim stattfinden, mit dem ein Parlamentsbeschluss für die Abspaltung der Krim dann noch einmal unterstrichen werden soll. Dienstag bis Sonntag!
Schockenhoff: Ich muss Ihnen die Gegenfrage stellen: Was ist denn die Alternative? Wir können doch nicht so tun, als ob wir von außen das Verhalten Moskaus einfach ändern könnten, oder ob wir einem ungezogenen Kind einfach sagen könnten, wir drohen Dir die und die Strafe an, wenn du dein Verhalten nicht änderst. Wir können mit Moskau zusammen eine Veränderung erreichen, das müssen wir tun, und deswegen müssen wir fragen, wo wir bereit sind, den Druck auf Russland zu erhöhen, auch wenn es uns selbst wehtut. Dazu wird es kommen und Russland wird diese Politik nicht auf Dauer durchstehen. Aber das Ziel Moskaus ist doch, wenn die Ukraine sich Europa zuwendet, Europa wirtschaftlich so zu destabilisieren, dass jedem Menschen in Russland klar wird, da seht ihr, wo die orangene Revolution hinführt, da seht ihr, wo Demokratisierung, Hinwendung nach Westen hinführt. Ich, Putin, habe nach den schrecklichen Jelzin-Jahren Russland wieder stabilisiert und Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Einbindung der Zivilgesellschaft bringen wirtschaftliches Chaos, das wollt ihr doch nicht.
Das müssen wir doch als die Logik sehen, die dahinter steckt, und deswegen können wir Russland empfindlich treffen, etwa auch in der Frage der Visa-Politik. Das ist nicht nur ein Symbol, denn Russland ist immer davon ausgegangen, dass die EU eine Russia-First-Politik betreibt. Das heißt, dass Russland als erstes in den Genuss von Visa-Liberalisierungen kommt. Wenn das jetzt umgekehrt wird, wenn für die Ukraine eine wirkliche Perspektive entsteht, und zwar nicht nur für die West-Ukraine, sondern vor allem auch für die Menschen im Osten des Landes, die nichts anderes kennen als das russische Ausland, dann wird das auch in Russland, auch auf die Zivilbevölkerung in Russland nicht kurzfristig, aber mittel- und langfristig starke Wirkungen zeigen.
"Bereit sein, die Schraube anzudrehen"
Heuer: Herr Schockenhoff, ich dränge jetzt ein bisschen auf die Zeit, denn davon haben wir nicht mehr viel. Sie haben jetzt mehrfach gesagt, zur Not Sanktionen verhängen, die uns auch selber wehtun. Wann sollen diese Sanktionen greifen, direkt nach dem Referendum am Sonntag?
Schockenhoff: Sobald Russland völkerrechtlich ein Referendum mit durchführt, das Ergebnis akzeptiert und dann eine völkerrechtswidrige Präsenz auf der Krim verstärkt, muss eine erste Stufe kommen, und dann müssen wir aber auch bereit sein, die Schraube anzudrehen, und wissen, dass, bevor das wirklich Wirkungen zeigt, wir auch selbst dafür Einschränkungen in Kauf zu nehmen bereit sein müssen.
Heuer: Andreas Schockenhoff, CDU-Außenpolitiker. Er war Koordinator für die deutsch-russischen Beziehungen in der vorigen Bundesregierung. Herr Schockenhoff, vielen Dank für das Gespräch und einen guten Tag.
Schockenhoff: Bitte schön, Frau Heuer. Auf Wiederhören!
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