Wenn Russland die territoriale Souveränität verletzen sollte, sei dies kein NATO-Bündnisfall. "Es geht ausschließlich um den Schutz der Ostgrenze." Die Verstärkung der Streitkräfte sei ein wichtiges Signal an die Bündnispartner dort. Den baltischen Staaten und Polen gebe das Sicherheit.
Das Interview in voller Länge
Friedbert Meurer: Die NATO hat gestern über die Krise in der Ukraine beraten. Vor allem die osteuropäischen Staaten wie Estland, Lettland, Litauen und auch Polen und Rumänien sind beunruhigt wegen der Krise in der Ukraine. Die NATO erhöht deswegen ihre Präsenz in den genannten Ländern in der Luft, zu Lande und zu Wasser, so die Formulierung von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.
Die NATO ist als Bündnis verpflichtet, jedem angegriffenen Mitgliedsstaat Beistand zu leisten. Ist dieses Signal jetzt richtig, oder sollte die NATO sich mehr zurückhalten? – General Klaus Naumann war bis 1999 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, kennt die Diskussionen im NATO-Rat bestens. Guten Morgen, Herr Naumann!
Klaus Naumann: Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Tut die NATO recht daran, mehr Flagge in den Beitrittsländern zu zeigen?
Naumann: Ich glaube, dass insgesamt das ein richtiges Signal ist, weil ja auch sehr klar gesagt wurde, es geht nicht um eine Einmischung in der Ukraine, das ist völlig ausgeschlossen, sondern es geht darum, den Bündnispartnern, vor allem den baltischen Staaten und Polen, ein Signal der Versicherung zu geben, um damit Beruhigung zu schaffen, und solange diese rein defensive Maßnahme ergriffen wird, meine ich, ist das richtig, damit man nicht noch mehr Unruhe in diesen Staaten erzeugt.
"Das ist kein Säbelrasseln"
Meurer: Streiten Sie ab, dass das Säbelrasseln der NATO ist?
Naumann: Bitte?
Meurer: Streiten Sie ab, dass das Säbelrasseln der NATO ist?
Naumann: Nein, das ist kein Säbelrasseln. Es hat Anfangs Äußerungen Seitens der NATO gegeben, die nicht sehr glücklich waren. Aber mit der gestrigen Aussage, dass die Ukraine in keinem Fall von diesen Maßnahmen profitieren kann, sondern dass es ausschließlich um den Schutz des NATO-Vertragsgebiets geht, ist das klare Signal nach Moskau gegeben worden, überschreitet nicht die Ostgrenze des NATO-Bündnisses.
Meurer: Welche unglücklichen Bemerkungen meinen Sie?
Naumann: Die Ostgrenze der NATO ist die Grenze der baltischen Staaten, die Ostgrenze der baltischen Staaten, der Polens und dann weiter runter Rumänien und Bulgarien. Das ist gemeint, nichts anderes.
Meurer: Sie hatten eben davon gesprochen, dass es zu Beginn im Bündnis unglückliche Äußerungen gegeben habe. Welche haben Sie damit gemeint?
Naumann: Es hat am Anfang missverständliche Äußerungen gegeben, als könne irgendjemand in einem umstrittenen Gebiet wie der Ukraine oder aber auch in Moldawien auf Bündnisschritte hoffen militärischer Art, und hier muss man klar sagen, das Bündnis hat dazu weder den politischen Willen, noch hat es die militärischen Fähigkeiten, das zu tun, und das ist auch richtig so. Wir sind und bleiben ein defensives Bündnis.
"Moskau kann sich nicht provoziert fühlen"
Meurer: Die beschlossenen Maßnahmen der NATO, mehr Luftüberwachung in den östlichen Mitgliedsländern, ein Marinemanöver in der Ostsee, das es sowieso gegeben hätte, soll das Moskau beeindrucken?
Naumann: Es soll das Signal geben, hier stehen die 28 Nationen der Allianz geschlossen hinter den Partnern, die Unruhe spüren, zum Teil auch, weil sie nicht unbeträchtliche russische Bevölkerungsanteile haben, und fürchten, dass das Muster, das wir nun von Georgien über Krim bis Ostukraine sehen können, sich dort wiederholen könnte. Von daher gesehen kann Moskau sich nicht provoziert fühlen, wie einige bei uns das wieder behaupten, sondern es muss erkennen, es darf eine bestimmte Grenze, nämlich die Ostgrenze der NATO, nicht überschreiten.
Meurer: Es gab Berichte, General Naumann, dass Deutschland sich vor dem sogenannten Air Policing drücken wollte, also keine Kampfjets zur Verfügung stellen wollte für die Luftüberwachung. Ist das ein bisschen peinlich gewesen von der Bundesregierung?
Naumann: Herr Meurer, hier muss ich Ihnen ehrlich sagen, ich weiß nicht, was wirklich passiert ist. Da müsste man im NATO-Rat dabei gewesen sein. Ich habe die bisherigen Äußerungen des Bundesaußenministers wie der Verteidigungsministerin immer ganz klar verstanden, dass sie ihre Pflichten aus dem NATO-Vertrag erfüllen werden und dass sie verlässliche Bündnispartner sein werden. Was in den Zwischentönen irgendwann gesagt worden ist, das mag Interpretation sein. Ich kann das nicht beurteilen.
Meurer: Es gibt ja auch Länder, die mehr wollen. Polen beispielsweise hätte gerne 10.000 NATO-Soldaten auf seinem Territorium stationiert. NATO-Generalsekretär Rasmussen hat gesagt, dass prinzipiell die NATO Bodentruppen stationieren könnte. Können Sie sich das vorstellen jetzt in der Krise?
Naumann: Ich würde das zum gegenwärtigen Zeitpunkt, solange es keinerlei Zeichen eines Aufmarschs russischer Truppen an der Ostgrenze der NATO gibt, für ein nicht richtiges Signal halten, und ich bezweifele auch sehr, dass es dazu einen geschlossenen Willen der Bündnispartner gibt. Vertraglich wäre das möglich, aber es wäre im gegenwärtigen Zeitpunkt, glaube ich, nicht das richtige politische Signal.
"Eine militärische Reaktion darauf kann ich mir nicht vorstellen"
Meurer: Welches Signal oder welche Konsequenzen sollte die NATO ergreifen, wenn Russland zwar nicht Bündnisgebiete angreift, aber die Ostukraine?
Naumann: Ein Vorgehen Russlands in der Ostukraine ist kein Bündnisfall und dann sind die Regierungen der EU wie der NATO-Staaten gefordert, eine politische Reaktion darauf zu ergreifen. Eine militärische Reaktion darauf kann ich mir nicht vorstellen und ich glaube auch nicht, dass es die geben kann.
Naumann: Es gibt doch jetzt schon eine militärische Reaktion: die verstärkte Luftüberwachung. Was müsste kommen, wenn Russland tatsächlich mit Panzern in die Ostukraine einmarschiert?
Naumann: Die Luftüberwachung bezieht sich auf Erkenntnisgewinn, was dort sich im russischen Hoheitsgebiet abstellt. Aber es ist keine Luftunterstützung, die in irgendeiner Weise die Ukraine zum Nutzen ziehen kann, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeine Reaktion seitens des Bündnisses, militärische Reaktion seitens des Bündnisses gäbe, wenn der von Ihnen geschilderte Fall eintritt, von dem ich hoffe, dass Präsident Putin klug genug ist, ihn nicht ablaufen zu lassen.
Meurer: Aber militärstrategisch gesehen hat Putin freie Hand in der Ostukraine?
Naumann: Die Ukraine insgesamt ist kein NATO-Vertragsgebiet. Es gibt allerdings den auch Russland bindenden Grundsatz, den er allerdings in der Krim ja schon mit Füßen getreten hat, dass man Grenzen in Europa zu respektieren hat und dass man keine Lösung mit gewaltsamen Mitteln ergreift. Das ist die Charta von Paris von 1990 und im Fall der Ukraine gab es sogar die vertragliche Verpflichtung Russlands, das Territorium der Ukraine unangetastet zu lassen.
Meurer: Sie kennen, ganz kurz noch gesagt oder gefragt, die Mentalität russischer Generäle und Militärs. Was glauben Sie, wie die Beschlüsse auf die jetzt wirken?
Naumann: Das Denken der russischen Generalität, soweit ich das beurteilen kann, war immer geprägt vom Denken einer Kontinentalmacht, die sich nur sicher fühlt, wenn sie vor sich eine territoriale Pufferzone hat, und mit der Tatsache, dass ihnen mit der NATO ein maritimes Bündnis gegenüberstehen hat, das allerdings keinerlei offensive Absichten gegenüber Russland hat, sind sie, glaube ich, intellektuell nie fertig geworden und haben immer noch mit den alten Mitteln versucht, irgendwelche Pufferzonen zu schaffen. Deswegen ja auch dieses Drängen um einen Gürtel vor sich. Wir müssen den Russen immer noch und immer wieder geduldig erklären, dass ein defensives Bündnis wie die NATO keinerlei Absichten einer Landnahme in Russland hat und dass ihr Denken vielleicht doch der Überholung bedarf.
Meurer: Der frühere NATO-General Klaus Naumann heute im Deutschlandfunk über die Beschlüsse des NATO-Rats von gestern in Sachen Bündnisbeistand für die osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Herr Naumann, danke schön und auf Wiederhören!
Naumann: Auf Wiederhören, Herr Meurer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.