Bettina Klein: John Kerry und Sergei Lawrow haben es gestern noch einmal versucht. Die Außenminister der USA und Russlands sprachen in Paris wohl fünf Stunden miteinander über den Ukraine-Konflikt, ohne wirklich greifbares Ergebnis.
Die NATO-Außenminister treffen sich morgen, um über das weitere Vorgehen zu beraten in Sachen Ukraine. Im Raum steht seit Tagen ja bereits die Forderung nach einer stärkeren Präsenz der NATO in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Am Telefon begrüße ich Rainer Arnold, den verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Arnold.
Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Martin Erdmann, der deutsche Botschafter bei der NATO, wird zitiert schon am Wochenende mit den Worten, viele Alliierten bewerten das russische Vorgehen als historische Zäsur und Zeitenwende für die euroatlantische Sicherheitsarchitektur, und in besonderer Weise werde jetzt auch auf Deutschland geschaut, wie wir uns in dieser existenziellen Krise verhalten. Frage an Sie, Herr Arnold: Wie verhält sich Deutschland jetzt als Bündnispartner in der NATO?
Arnold: Pragmatismus ist angesagt
Arnold: Ich glaube, wir müssen aufpassen, gerade als Deutsche, dass wir die Zeitenwende nicht verstärken, nicht geradezu herbeireden. Es ist trotz aller Probleme, die niemand kleinreden darf, Pragmatismus angesagt. Wir müssen mit Russland im Gespräch bleiben. Die großen Probleme der Welt, zum Beispiel Syrien, Iran, werden nur vorangebracht, wenn Russland mit im Boot ist. Deshalb ist es notwendig, dass Diplomatie weiterhin natürlich das Hauptspielfeld bleibt. Es ist nicht so sehr die NATO, die gefragt ist, es sind die Diplomaten und es ist die OSZE, die gefragt sein wird.
Klein: Aber die NATO ist gefragt von ihren Mitgliedsstaaten, von den baltischen Mitgliedsstaaten und auch von Polen, die einfach – das wissen wir seit Wochen – darauf pochen, dass sie Sicherheitsgarantien haben möchten, und dazu könnten möglicherweise auch Truppenverstärkungen dienen. Sollte sich Deutschland da aus Ihrer Sicht also verweigern?
Arnold: Nein, Deutschland sollte sich nicht verweigern. Wir sind natürlich ein verlässlicher Bündnispartner. Wir sollten die Aufregung aber nicht noch weiter steigern, die eh da ist. Wir haben Verständnis für die Befindlichkeit der Menschen in Polen und in den baltischen Staaten, angesichts ihres Nachbarn, angesichts ihrer Geschichte. Aber es bleibt natürlich dabei: Die NATO ist ein verlässliches Bündnis, und jeder weiß, ein Angriff auf einen NATO-Staat würde im Grunde genommen den Bündnisfall auslösen. Daran gibt es und darf es keinen Zweifel geben.
Klein: Und unter der Ebene Bündnisfall sollte Deutschland da nichts weiter anbieten, Ihrer Meinung nach?
Arnold: Nein, Deutschland bietet ständig Dinge an. Über die wird normalerweise nur nicht so gesprochen, wie im Augenblick. Es ist ja nichts Neues, es ist auch kein Aufreger, wenn deutsche Flugzeuge im Baltikum Luftsicherheit herstellen. Das geschieht eigentlich ständig in der üblichen Rochade. Und es ist auch nichts Außergewöhnliches, wenn die Deutschen in den AWACS-Fliegern sitzen, und AWACS hat auf dem ganzen NATO-Gebiet bereits jetzt die Legitimation, zu fliegen und aufzuklären, Radaraufklärung zu betreiben. Es ist also gar nicht wirklich neu.
Klein: Herr Arnold, geht es vielleicht gar nicht so sehr um eine Aufregung, sondern um nüchterne und rationale Diskussion dessen, was jetzt möglicherweise wünschenswert oder erforderlich ist? Es wird seit Tagen kolportiert, dass es in der NATO Grummeln darüber gebe, dass Deutschland "dort als Bremser und Bedenkenträger auffalle und eben nicht den Worten Taten folgen lasse". Wie sollen wir das denn verstehen?
Besonnen bleiben in dieser schwierigen Situation
Arnold: Ich glaube, es ist gut, wenn man besonnen bleibt in dieser schwierigen Situation und den schmalen Grat sieht. Der heißt Bündnis-Loyalität, Solidarität, die Befindlichkeit der Menschen in Osteuropa verstehen, und auf der anderen Seite sich eben nicht auf Eskalations-Spiralen einlassen, die am Ende nichts Gutes bringen werden. Diesen Weg, habe ich den Eindruck, geht der deutsche Außenminister und die Bundesregierung insgesamt sehr, sehr besonnen und vernünftig.
Klein: Wenn jetzt aber es zu Forderungen kommen sollte von der NATO für eine stärkere militärische Beteiligung im Augenblick, im Sinne einer stärkeren NATO-Präsenz – es geht ja nicht um Angriff, es geht nicht um Bündnisfall im Augenblick, aber das wird ja im Augenblick diskutiert -, was ist Deutschland oder was sollte Deutschland bereit sein, mehr anzubieten, als jetzt bereits gemacht wird?
Arnold: Die Dinge, die Deutschland auch in der Vergangenheit bereits getan hat, nämlich Flugzeuge fürs Baltikum, AWACS-Flieger sowieso, das ist NATO-Routine, und es ist auch nichts besonders Außergewöhnliches, wenn die NATO in bestimmten Gebieten der NATO Militärübungen durchführt. Da ist überall Deutschland dabei, da gibt es auch kein Vertun, denke ich mal.
Klein: Sie selbst, Herr Arnold, haben die Bundesverteidigungsministerin ja auch sehr scharf kritisiert, wie auch Sigmar Gabriel das getan hat und gesagt hat, was Sie gerade auch noch mal angedeutet haben, es geht nicht so sehr um Verteidigungspolitik. Würden Sie die Kritik heute an ihr noch einmal so wiederholen?
Arnold: Nach außen keine Missverständnisse entstehen lassen
Arnold: Ich halte es schon für wichtig, dass nach außen keine Missverständnisse entstehen, und wenn sich jetzt zu sehr die NATO angesichts der Problematik in der Ukraine, möglicherweise auch um die Ukraine herum kümmert, zu sehr die Verteidigungsminister kümmern, bekommt das eine Schieflage. Es ist Aufgabe der Diplomaten, es ist Aufgabe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in erster Linie. Es könnte also missverstanden werden, wenn es eine militärische Aufgabe sein sollte, und deshalb ist es ja auch so, dass nicht die NATO-Verteidigungsminister diese Woche beraten, sondern die NATO-Außenminister.
Klein: Aber es gibt ja bereits eine russische Truppenpräsenz und Verstärkung an der Grenze zur Ukraine. Da werden ja bereits Fakten geschaffen, und zwar auf militärischer Ebene.
Arnold: Ja, das ist leider so. Aber die Ukraine ist kein NATO-Gebiet und es gibt hier keine militärische Antwort des Westens, sondern es gibt Geschlossenheit des Westens gegenüber Putin und alle Versuche müssen unternommen werden, dafür zu sorgen, dass er akzeptiert, dass die Ukraine jetzt allerdings ohne den Teil, den er annektiert hat, ein stabiler Staat wird. Da müssen wir der Ukraine helfen, auch ökonomisch helfen, und Putin muss akzeptieren, dass die Ukraine auf einem demokratischen stabilen Weg ist, und die Menschen in der Ukraine müssen am Ende selbst entscheiden, in welche Richtung sie sich orientieren wollen.
Klein: Dann kommen wir mal zu den Forderungen auf diplomatischer Ebene, die wir ja auch bereits hören aus Russland. Außenminister Lawrow hat zum Beispiel, Stichwort Bündnis der Ukraine, gesagt, Russland verlange, dass die Ukraine blockfrei bleibt. Muss der Westen da Russland das garantieren und weshalb eigentlich sollen andere Staaten das festlegen als die Ukraine selbst?
Arnold: Ich bin schon der Meinung, dass die Menschen das in der Ukraine eines Tages selbst entscheiden. Aber klar ist auch, dies wäre noch ein langer Weg in der Ukraine. Dieses Land ist bei Weitem nicht so weit, dass es ein NATO-Staat sein könnte, der die NATO stärkt und nicht schwächt.
Klein: Aber Sie sagen ganz klar, Herr Arnold, um da noch mal nachzufragen, wenn die Ukraine diesen Wunsch ausdrückt, NATO-Mitglied zu werden, dann sollte das auch geschehen dürfen, und man muss da nicht auf Russland Rücksicht nehmen? Verstehe ich Sie da richtig?
Arnold: Wenn die Ukraine eines Tages ein stabiler Staat wird. Aber möglicherweise wäre es ja ein Gebot der Klugheit, wenn die Ukraine sieht, ihre Orientierung ist eher eine Chance, nämlich zwischen Russland, zwischen dem Westen. Beide Seiten haben Vorteile. Sie haben eben die geografische Lage so, wie sie ist. Sie haben viele Russisch sprechende Menschen im Land. Und hier auf diplomatischem Weg tatsächlich eine Strategie zu entwickeln, dass das die Chancen der Ukraine erhöht, dies muss sich die ukrainische Politik schon sehr genau überlegen. Die Tragik ist doch, dieses Land war in den vergangenen Jahren gespalten, war nicht auf einem guten Weg. Immer wenn dort jemand Wahlen gewonnen hat, oder über eine Revolution zur Macht gekommen ist, haben die Machthaber geglaubt, das Land gehört ihnen. Die Oligarchie ist noch ein großes Problem. All dies steht in erster Linie an und natürlich muss der Westen jetzt im Augenblick gegenüber Putin klar machen, es ist wirklich genug. Er muss für Stabilität auch in seinem eigenen Interesse sorgen. Die ökonomische Verflechtung, die gemeinsamen Interessen mit Russland sind ja nicht plötzlich verschwunden. Die haben beide Seiten und ich hoffe sehr, dass dies pragmatisch auch in Russland wieder gesehen werden kann.
Klein: Herr Arnold, in Russland wird im Augenblick gesehen – und damit zitiere ich die zweite Forderung von Lawrow, die geäußert wurde beim Treffen in Paris -, die Ukraine möge bitte eine Föderation werden. Aus Washington kam ganz klar, so kann das nicht gehen, eine solche Forderung kann nicht wirksam sein. Wie sollte sich die Europäische Union denn da verhalten?
Arnold: Eine Föderation ist ein weiter Rahmen. Eine Föderation im Sinne der Bundesrepublik macht natürlich in einem Staat mit unterschiedlichen Regionen Sinn. Es ist nicht klug, dass die Ukraine immer sehr zentralistisch von Kiew aus ausschließlich regiert wurde. Wenn Putin aber damit meint, es gibt dann Regionen, die außenpolitisch, die im Bereich der Zölle eigene Rechte haben, dann wäre es ja keine Föderation mehr, sondern das würde eher ein zerfallener Staat, und insofern kommt es genau darauf an, welche Art von Föderation. Eine dezentrale Struktur, mit der kulturellen Identität auch von Minderheiten, ist klug in solchen Ländern. Ein Auseinanderfallen, eine destabilisierte Ukraine kann nicht in unserem Interesse sein.
Mit Russland im Gespräch bleiben
Klein: Abschließend, Herr Arnold, Sie haben gerade auch gesagt, dass Putin einsehen müsse, dass es so nicht weitergehe. Gleichzeitig setzen Sie weiter auf Diplomatie, die bisher ja nicht zu dem von Ihnen gerade formulierten Ziel geführt hat. Aber Sie bleiben weiter dabei, einen anderen Weg gibt es nicht?
Arnold: Es gibt keinen anderen Weg als Diplomatie. Eskalationsspiralen sind riskant, auch nicht sehr erfolgreich. Diplomatie ist mühsam, Diplomatie ist nicht Schwarz-Weiß, sondern häufig Grau in Grau, und ich glaube, es ist gut, dass die Bundesrepublik immer wieder daran erinnert. Und es sind auch nicht so sehr die lauten Töne, die uns weiterbringen, sondern es ist manchmal auch das stille Telefonat, das geführt werden muss.
Klein: Aber das heißt im Ergebnis auch, wenn Putin, wie Sie es gerade formuliert haben, nicht zu stoppen ist, dann wird man ihn weiter gewähren lassen?
Arnold: Wenn Putin nicht zu stoppen ist, wird man trotzdem versuchen, pragmatisch mit Russland im Gespräch zu bleiben. Aber es droht natürlich schon ein Rückfall in kältere Zeiten. Es gibt keine vertrauensvolle Zusammenarbeit mehr. Es gibt dann nur noch harte interessengeleitete, und das ist eigentlich nicht so sehr das, was man in Europa sich vorgestellt hat nach Ende des Kalten Krieges. Natürlich bliebe dies nicht ohne Konsequenzen, wenn Putin jetzt nicht aufhört, im Süden der Ukraine, im Osten der Ukraine oder in Transnistrien zu zündeln.
Klein: Und welche Konsequenzen das sein werden, das werden wir vermutlich in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten noch diskutieren.
Das war heute Morgen hier im Deutschlandfunk Rainer Arnold, der SPD-Verteidigungspolitiker. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Arnold.
Arnold: Ich danke auch, Frau Klein.
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