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Ukraine-Konflikt
Harms: Neutrale Mission für die Ukraine

Die Europaabgeordnete Rebecca Harms hat sich im Deutschlandfunk für eine internationale Mission in der Ukraine ausgesprochen. Man könne nicht länger zuschauen, wie unausgebildete Männer den prorussischen Separatisten gegenüberstünden, sagte die Grünen-Politikerin im DLF.

Rebecca Harms im Gespräch mit Peter Kapern |
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    Es müsse mehr unternommen werden, damit die Demarkationslinie friedlich gehalten werden könne und gegen weitere Invasionen geschützt werde. Bei einer Mission in der Ukraine wäre es allerdings wirklich erforderlich, dass diese auch offensive Unterstützung von russischer Seite erhalte.
    Bei ihrem vergangenen Besuch in Kiew und im Osten der Ukraine habe Rebecca Harms viele Ukrainer getroffen, die sich nichts anderes wünschten als ein Leben ohne Krieg und die wieder zur Normalität zurückkehren wollten. Die Ukrainer seien nicht gegen Minsk II und den Versuch des Waffenstillstands. Doch bleibe die ukrainische Bevölkerung misstrauisch auch aufgrund von Berichten, dass um Mariupol Truppen zusammengezogen würden.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Nein, ein wirklicher Waffenstillstand ist das nun wahrlich nicht in der Ostukraine, auch wenn die Separatisten seit gestern reklamieren, nun wirklich mit dem Abzug der schweren Waffen begonnen zu haben. Sogar Journalisten haben sie eingeladen, um den Abtransport schweren Geräts zu beobachten. Das sei aber gar kein Abzug, sondern nur eine Umgruppierung der Truppen, behauptet hingegen das ukrainische Militär. Das nächste Ziel der Separatisten, so heißt es in Kiew, sei die Stadt Mariupol. Je länger der Krieg dauert, desto tiefer sind die Spuren, die er in der ukrainischen Wirtschaft hinterlässt, und die befindet sich auf einer rasenden Talfahrt.
    Am Telefon ist Rebecca Harms, die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament und gerade zurückgekehrt von einer Reise nach Kiew und in den Osten der Ukraine. Guten Morgen, Frau Harms.
    Rebecca Harms: Guten Morgen!
    Kapern: Frau Harms, haben Sie auf Ihrer Reise jemanden getroffen, der noch einen Pfifferling gibt auf diesen sogenannten Waffenstillstand, der einfach nicht umgesetzt wird?
    Harms: Ich habe sehr viele Leute getroffen, die sich nichts anderes wünschen als ein Leben ohne Krieg, die zur Normalität gerne zurückkehren würden, und deshalb ist man in der Ukraine auch nicht einfach gegen Minsk oder gegen den Versuch, da einen Waffenstillstand auszuverhandeln. Aber man fragt halt immer, wie das verwirklicht werden soll, und die Erfahrung von dieser Schlacht um das eingekesselte Debalzewe, das hat auch noch mal dieses Misstrauen erhöht. Und Ankündigungen vonseiten der Separatisten - es hieß, einer derjenigen, der auch in Minsk für die Separatisten unterschrieben hat, habe gesagt, Mariupol und Charkiw seien die nächsten Ziele -, solche Ankündigungen, die verderben natürlich jede Hoffnung.
    Treffen der Außenminister in Paris
    Kapern: Das heißt, die Ukrainer wollen einen Waffenstillstand, aber sie wissen nicht, wie der Waffenstillstand, der vereinbart worden ist, auch umgesetzt werden kann. Damit sind Sie genauso schlau wie die Außenminister, die sich gestern einmal mehr im sogenannten Normandie-Format in Paris getroffen haben. Haben Sie noch eine Idee, wie man nun angesichts doch immerhin abflauender Kämpfe auch die nächsten Schritte der Vereinbarung von Minsk gehen kann?
    Harms: Die Kämpfe flauen ab. Experten, auch Leute von der OSTZE oder Militärbeobachter, die hier in Brüssel das kommentieren, die sagen, jeder Waffenstillstand wird am Anfang gebrochen und es könnte auch eine normale Entwicklung jetzt sein, die man da beobachtet. Allerdings sprechen dann Berichte über neue Truppenmassierungen gerade auch in der Region Mariupol, die sprechen wieder eine andere Sprache und erhöhen das Misstrauen.
    Was die Außenminister meiner Meinung nach versäumt haben und auch die Staats- und Regierungschefs, als sie Minsk verhandelt haben, ist zu überlegen, welche Erfahrungen man aus der OSZE-Beobachtermission ziehen muss, die jetzt ja wieder eine zentrale Rolle bekommen hat, weil ich glaube, dass zwar theoretisch die OSZE die richtige Organisation ist, um da zu beobachten in dieser Kriegssituation in Europa, aber gleichzeitig haben wir die Erfahrung gemacht, dass die OSZE oft guten Willens war, aber das nicht leisten konnte, was sie leisten sollten. Und deshalb gibt es schon seit Beginn dieser Waffenruhe sowohl unter ukrainischen Soldaten, als auch in der ukrainischen Politik diese Diskussion, diese Forderung nach einer entweder europäischen CSDP, einer europäischen Polizeimission, oder nach einem Blauhelm-Einsatz, und ich kann das gut verstehen, weil diese Situation zu kontrollieren, das braucht schon ganz besondere Fähigkeiten und ein viel robusteres Mandat als das, was die OSZE hatte.
    Kapern: Der Einsatz der OSZE in den umkämpften Gebieten der Ukraine, der ja vereinbart worden ist, scheitert ja im Moment insbesondere daran, dass die Separatisten den OSZE-Mitarbeitern keine Sicherheitsgarantien geben und sie deshalb nicht ihre Positionen beziehen können. Was soll sich daran ändern, wenn man den OSZE-Beobachtern einen anderen Helm aufsetzt?
    Harms: Die OSZE-Beobachter, die haben zwar gepanzerte Fahrzeuge, aber ansonsten sind sie wirklich schutzlos. Jeder, mit dem man spricht, sagt, dass das eigentlich nicht mehr das richtige Format ist und dass eine Blauhelm-Mission andere Fähigkeiten und besseren Schutz hat. Die Frage ist natürlich trotzdem wieder, was macht Russland, und die russische Seite, die könnte viel stärker intervenieren seit Langem, was die OSZE-Mission angeht. Russische Waffen sind unbestritten im Osten der Ukraine. Es ist eigentlich auch nicht mehr abzustreiten, dass "russische Soldaten auf Ferien" die sogenannten Separatisten da unterstützen. Es wäre wirklich erforderlich, dass die Mission, die jetzt zur Kontrolle des Waffenstillstands geschickt wird, dass die auch von der Seite der russischen Regierung offensive Unterstützung gegenüber diesen sogenannten Separatisten bekommt. Das hat es bisher nicht gegeben.
    "UN-Mandat für Blauhelme"
    Kapern: Sie haben eben zwei denkbare andere Missionen angesprochen, Frau Harms: eine europäische Polizeimission oder eine Blauhelm-Mission. Ich nehme an, damit meinen Sie Blauhelme der Vereinten Nationen. Bleiben wir kurz bei einer europäischen Polizeimission. Damit wäre nun die EU endgültig in diesen Konflikt hineingezogen. Wäre das wirklich klug?
    Harms: Nein, das ist nicht das richtige. Ich glaube, deshalb ist diese Diskussion, die auch vom ukrainischen Außenminister und vom ukrainischen Präsidenten mit geführt wird um ein UN-Mandat für Blauhelme, darum ist diese Diskussion ja auch entflammt. Das sollte dann wirklich sozusagen eine neutrale Mission sein und die Frage ist, ob man es durchsetzen kann.
    Kapern: Wie sehen Sie da die Chancen?
    Harms: Man kann es natürlich nicht durchsetzen, wenn man gleich schreit, das eskaliert den Konflikt. So haben ja einige in Westeuropa auf den Vorschlag aus Kiew reagiert. Aber nachdem ich jetzt auch in der letzten Woche mit Soldaten vor Ort geredet habe, die gerade auch aus Debalzewe zurückkamen - darunter waren einige, die Erfahrungen in UN-Missionen hatten im Übrigen -, nachdem ich mit denen geredet habe, glaube ich wirklich, dass man mehr tun muss. Wenn man eine Demarkationslinie vereinbart hat, muss man mehr dafür tun, dass diese Demarkationslinie auch friedlich gehalten werden kann und gegen weitere Invasionen geschützt wird. Es ist anders gar nicht möglich, Vertrauen auf der ukrainischen Seite zu bekommen.
    "Ukrainern die Möglichkeiten für eine bessere Ausbildung zu geben"
    Kapern: Etwas tun, das gilt nun plötzlich auch für die britische Regierung, die in der Ukraine-Krise ja lange Zeit abgetaucht war. David Cameron hat gestern mitgeteilt, er werde Militärausbilder in die Ukraine schicken, so wie es ja auch schon US-amerikanische Militärausbilder dort (im Westen des Landes allerdings) gibt. Ist das eine neue Qualität? Zeigt sich da eine Abkoppelung der Angelsachsen in der westlichen Ukraine-Strategie?
    Harms: Die westliche Ukraine-Strategie hieß ja immer, die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen und auch ihr Territorium zu verteidigen, und ich glaube nicht, dass es falsch ist, den Ukrainern die Möglichkeiten für eine bessere Ausbildung zu geben. Wenn man sich anguckt, wie diese ukrainische Armee funktioniert, wie die sich aus einer Phase herausarbeiten in einer Aggressionssituation, aus einer Phase herausarbeiten, in der diese Armee in erster Linie eine, ich habe es mal krass gesagt, Organisation zur Geldwäsche gewesen ist, ein Opfer der groß angelegten Korruption an der Spitze des ukrainischen Staates auch, dann glaube ich, dass das wirklich wichtig ist. Man kann nicht den Ukrainern immer wieder sagen, ihr dürft euch verteidigen, aber zugucken, wie nicht ausgebildete junge Männer dann einem immer besser ausgestatteten, sogenannten von Russland unterstützten Separatistenheer gegenüberstehen.
    Frage der Waffenlieferung
    Kapern: Wer A sagt muss auch B sagen, Frau Harms. Wer ausbildet muss auch Waffen liefern?
    Harms: Nein. Die Frage der Waffenlieferung, die stellt sich für mich an dieser Stelle eigentlich nicht. Wer Minsk II, wer das gewinnen will, wer diesen Waffenstillstand gewinnen will, der sollte meiner Meinung nach jetzt nicht einen langen Streit darüber führen, ob Waffen geliefert werden oder nicht. Diesen Streit gibt es ja schon lange, machen wir uns darüber nichts vor. Aber wer das gewinnen will, der sollte wirklich sofort einen Vorschlag machen, wie diese Demarkationslinie geschützt werden kann.
    Kapern: Sagt Rebecca Harms, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, heute Morgen im Deutschlandfunk. Frau Harms, danke, dass Sie Zeit für uns hatten, so früh am Tag. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und sage auf Wiederhören.
    Harms: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.