Lemberg, das auf Ukrainisch Lwiw und auf Russisch Lwow heißt, ist für den Patriotismus der Einwohner bekannt sowie für ihre Hilfsbereitschaft, die auch Opfer nicht scheut. Keine Stadt, keine Region außer der Hauptstadt Kiew hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als Lemberg. Die erste Welle kam im März nach der Krim-Okkupation, die zweite im Mai, nachdem in Donezk und Luhansk sogenannte Unabhängige Volksrepubiken ausgerufen worden waren., berichtet Julia Isakowa, Sozialarbeiterin der Stadt: "Im März haben die Lemberger die Flüchtlinge sogar bei sich zu Hause beherbergt. Hotels stellten ihnen kostenlos Zimmer zur Verfügung, auch in Wohnheimen von Lehranstalten kamen sie unter. Wer es sich leisten konnte, mietete eine Wohnung."
Kugelsichere Westen und Helme
Die Lemberger kaufen kugelsichere Westen und Helme in der ganzen Europäischen Union auf und bringen sie den schlecht ausgestatteten Soldaten der ukrainischen Regierungstruppen, viele haben sich den Streitkräften oder der freiwilligen Nationalgarde angeschlossen, nur eines wollen sie nicht: ostukrainische Flüchtlinge, die gut selbst eine Waffe in die Hand nehmen könnten. Priester Wieslaw Dorosch von der Caritas, der Flüchtlingen aus der Ostukraine hilft, erklärt das Problem: '"Wenn junge Männer, 20, 25 oder 30 Jahre alt, als Flüchtlinge kommen, macht man ihnen Vorwürfe: Unsere jungen Männer von hier, aus der Westukraine, kämpfen im Osten und sterben dort womöglich, aber die aus dem Osten kommen hierher und lassen es sich gut gehen."
Elena Scherebtschenko aus Donezk floh mit vier leiblichen Söhnen und Töchtern sowie sechs Pflegekindern nach Lemberg. Ihr Ältester ist 19. Was nun aus ihm wird, ist unklar. Der Flüchtlingsfrau und Mutter leuchten die Vorbehalte gegen ihren erwachsenen Sohn voll und ganz ein. "Es wäre auch schwer zu verstehen, wenn unser Sohn am Leben bleibt, aber der unserer westukrainischen Nachbarin getötet wird. Wenn so etwas geschieht, wird man uns wohl nicht mehr so freundlich behandeln."
In Lemberg spricht man Ukrainisch
Natalija Wladimirowas ältester Sohn studiert, der kleine, Ernest, ist 11 Jahre alt. Sie sind ebenfalls geflohen, aus Kertsch auf der Krim. Der Junge scheut sich zu sprechen, auf der Krim spricht man Russisch, in Lemberg meist Ukrainisch, was er noch nicht gut beherrscht: "Ich verstehe aber alles und in Kertsch gab es auch eine Schule, wo sie Ukrainisch hatten." Seit einem Vierteljahr leben die Wladimirows in Lemberg. Als die sogenannten grünen Männchen die Krim besetzten, bekamen sie Angst. Natalija Wladimirowa: "Die Sorgen haben begonnen, als durch Kertsch die ganze russische Militärtechnik rollte und mehr und mehr Soldaten kamen. Wir waren gegen die Okkupation, wollten keinesfalls unter den Besatzern leben. Nach Lemberg gingen wir, weil wir aus den Medien gehört hatten, dass die Stadt die Flüchtlinge von der Krim aufnimmt. Wir hatten hier keine Bekannten oder Verwandten."
Die Hilfsbereitschaft der Lemberger hat alle ihre Erwartungen übertroffen. Sozialarbeiter organisieren Exkursionen, damit die Flüchtlinge die Stadt kennenlernten. Sie halfen, für Ernest eine Schule und seinen älteren Bruder einen Studienplatz an der Universität zu finden, obwohl beide keine Zeugnisse bei sich hatten. Vater Wladimir Wladimirow erzählt, dass die Familie die Krim Hals über Kopf verlassen hat. "Ich hasse ihn nicht, aber ich verurteile, was der russische Präsident Putin getan hat. Wir wohnten ganz im Osten der Krim, beobachteten die ständigen Truppentransporte, sahen wie jeden Tag viele LKW Militärtechnik heranfuhren und hörten dann Putin, der abstritt, dass das seine Soldaten sind." Seine Frau sagt, dass sie Putin nie verzeihen werde, dass sie wegen ihm das Meer verloren hätten. Sie hätten von ihrer Wohnung aus aufs Meer blicken können, seien jeden Tag ans Wasser gegangen. Es falle ihnen schwer, in Lemberg ohne das Meer auszukommen. Doch sie werden bleiben. Beide Eltern arbeiten – wie in Kertsch – wieder als Getränkeverkäufer auf dem Markt, die Wohnung auf der Krim ist verkauft.