Jung nannte es zwingend notwendig, dass der Waffenstillstand und das Minsker Abkommen umgesetzt werden. In dem Abkommen haben sich im September die ukrainische Regierung, die prorussischen Separatisten und Russlands Botschafter auf Schritte geeinigt, die Krise in der Ukraine zu beenden. "Wir müssen alles daran setzten, dass diese Vereinbarung endlich jetzt auch Wirklichkeit wird", sagte Jung im Deutschlandfunk.
Vom heutigen Treffen der Außenminister Deutschlands, Russlands, der Ukraine und Frankreichs in Berlin verspricht sich Jung weitere Schritte zur Umsetzung. Der frühere Verteidigungsminister sagte mehrmals, beide Seiten müssten jetzt ihren Beitrag dazu leisten, dass die Waffen schweigen und das Abkommen umgesetzt wird. Die Schuld für die "kriegerischen Auseinandersetzungen" im Osten der Ukraine gab Jung den Separatisten. Er äußerte deshalb Verständnis dafür, dass sich die Regierung verteidige.
Die Sanktionen gegen Russland zeigen nach Ansicht des stellvertretenden Vorsitzenden der Unions-Bundestagsfraktion Wirkung. Putin sei inzwischen in einer anderen Situation. Jung sagte, er hoffe, dass bei dem Treffen heute Abend in Berlin ein richtiger Akzent gesetzt werden kann.
Das Interview in voller Länge:
Bettina Klein: Und wieder heute Abend Außenministertreffen in Berlin. Frank-Walter Steinmeier hat erneut seine Kollegen aus der Ukraine, Russland und Frankreich zu Krisengesprächen geladen. Hintergrund ist der mit aller Gewalt, muss man sagen, wieder aufgeflammte Konflikt vor allen Dingen um die Region Donezk.
Am Telefon begrüße ich jetzt Franz-Josef Jung, stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag. Er hat kürzlich den Bereich Außenpolitik übernommen. Guten Morgen, Herr Jung.
Am Telefon begrüße ich jetzt Franz-Josef Jung, stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag. Er hat kürzlich den Bereich Außenpolitik übernommen. Guten Morgen, Herr Jung.
Franz-Josef Jung: Guten Morgen, Frau Klein!
Klein: Schauen wir mal auf das Treffen heute Abend. Ein weiterer Versuch, den der deutsche Außenminister startet. Was muss nach Ihrer Meinung heute als Mindestes herauskommen?
Jung: Erstens begrüße ich sehr, dass der Außenminister hier jetzt aktiv geworden ist und alle beteiligten Außenminister hier mit eingeladen hat. Ich halte es für zwingend notwendig, dass wir alles daran setzen, dass endlich der Waffenstillstand wirklich umgesetzt wird, dass die Waffen schweigen und dass das die Voraussetzungen sind, um jetzt auch das Minsker Abkommen insgesamt zur Wirkung zu bringen. Denn das ist eine Vereinbarung, die immerhin getroffen wurde von der Ukraine, von Russland, von der OSZE, und ich finde, wir müssen alles daran setzen, damit diese Vereinbarung jetzt auch endlich Wirklichkeit wird.
Jung: Separatisten haben zuerst angegriffen
Klein: Wer trägt denn nach Ihrer Meinung die Hauptverantwortung dafür, dass es eben noch nicht umgesetzt worden ist?
Jung: Man muss hier eins sehen: Wahrheit ist ja auch die, dass zunächst die Separatisten angegriffen haben, dass dann die Ukraine in diese Verteidigungsposition kam. Ich finde, beide Seiten müssen jetzt ihren Beitrag leisten, dass erstens die Waffen schweigen und zweitens das Minsker Abkommen auch in seiner Gänze umgesetzt wird. Dazu gehört ja auch, dass beispielsweise für die Region lokale Selbstverwaltung eingeführt wird, dass auch entsprechende Wahlen dort stattfinden, dass die humanitäre Lage für die Menschen verbessert wird. Wenn man die Bilder sieht, das ist ja schrecklich, und deshalb finde ich, das Erste und Wichtigste ist zunächst einmal, dass die Waffen schweigen.
Klein: Ist die Verantwortung für Sie gleichermaßen verteilt? Amnesty kritisiert ja beide Seiten, wie wir gerade gehört haben.
Jung: Ich finde nicht, dass man sagen kann, gleichermaßen verteilt, denn die Angriffssituation ist von den Separatisten ausgegangen. Aber ich finde, auch die ukrainische Seite muss jetzt mit dafür Sorge tragen, dass wir zu einer völligen und realistischen Umsetzung dieser Minsker Vereinbarung kommen. Wie gesagt: Grundvoraussetzung ist zunächst einmal, dass die Waffen schweigen.
Klein: War die Mobilmachung auf ukrainischer Seite also ein Fehler oder war sie alternativlos?
Jung: Hier muss man sagen, dass man Verständnis dafür haben muss, wenn angegriffen wird, dass man dann auch in eine Verteidigungsposition kommt und dass hier die Ukraine ihre Soldaten entsprechend austauschen will. Das, glaube ich, kann man nachvollziehen. Aber unabhängig von diesen ganzen Fragen, Grundvoraussetzung, denke ich, muss jetzt sein, alles daran zu setzen, dass wir hier zum Waffenstillstand kommen und dass wir in der Lage sind, die Minsker Vereinbarung, denn das haben beide Seiten unterschrieben, sowohl die Ukraine als auch Russland unter Beteiligung von OSZE, und das ist, glaube ich, jetzt notwendig, dass das, was vereinbart worden ist, dass dies auch in die Wirklichkeit umgesetzt wird.
Jung fordert Umsetzung des Minsker Abkommens
Klein: Die Appelle, so richtig sie sein mögen, Herr Jung, hören wir seit langer Zeit. In der vergangenen Woche ist ein ähnliches Treffen, wie wir es heute Abend auch erwarten, völlig ohne jedes Ergebnis zu Ende gegangen und der deutsche Außenminister zeigte sich relativ frustriert nach Beobachtungen derjenigen, die dabei waren. Kann das Gleiche heute auch passieren?
Jung: Ich hoffe es nicht. Ich hoffe, dass wir heute Abend doch ein Stück weiterkommen, denn die Situation auch für die Menschen ist unerträglich, und das gilt, denke ich, auch insofern für diejenigen, die beispielsweise auf der Seite der Separatisten stehen. Denn die Menschen unmittelbar vor Ort wollen, dass diese kriegerische Auseinandersetzung beendet wird, und von daher kann ich nur die Hoffnung äußern, dass heute Abend man hier ein Stück weiterkommt, was das Thema Waffenstillstand anbetrifft.
Klein: Herr Jung, weshalb ist man denn eigentlich ein Jahr nach dem akuten Ausbruch des Konfliktes und der ja auch inzwischen verhängten Sanktionen im Grunde genommen keinen Schritt weiter?
Jung: Wenn Sie so wollen, die Vereinbarung vom 1. September, das sogenannte Minsker Abkommen, ist schon ein Schritt in die richtige Richtung. Die Wahrheit ist nur die, dass es nicht praktisch umgesetzt worden ist, und deshalb finde ich, der nächste Schritt muss einfach sein, dieses Abkommen - und ich sage noch einmal: das hat ja sowohl Poroschenko als auch Putin vereinbart -, dass man auch von daher dafür Sorge trägt, dass dieses Abkommen dann auch umgesetzt wird.
Klein: Aber muss man als Bilanz nicht sagen, dass die Vermittlungsbemühungen auch der deutschen Außenpolitik im Grunde in einer Sackgasse festgefahren sind?
Jung: Ich frage mich nur, was ist denn die Alternative. Das militärische Eingreifen war nicht die Alternative und darf sie eigentlich nicht sein, und deshalb muss die Alternative nur lauten, dass mit allen diplomatischen Mitteln versucht wird, hier zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Und wie gesagt: Wenn beide Seiten das schon einmal vereinbart hatten, dann, glaube ich, gilt es jetzt, darauf zu drängen, dass diese Vereinbarung auch in die Tat umgesetzt wird.
Jung sieht grundsätzlich beide Seiten in der Verantwortung
Klein: Über Kiew haben wir schon gesprochen. Sehen Sie denn auf russischer Seite, sehen Sie bei Putin überhaupt den Willen und die Bereitschaft, zu einer Lösung zu kommen und das umzusetzen?
Jung: Ich habe zumindest den Eindruck, die Sanktionen zeigen ihre Wirkung auch in Russland, und von daher, glaube ich, ist Putin doch jetzt auch in einer anderen Situation. Deshalb habe ich die Hoffnung, dass man hier vielleicht doch jetzt zu einer Veränderung der Lage kommt. Wir werden auf allen Kanälen, die uns zur Verfügung stehen, hier versuchen, darauf hinzuwirken. Das Ziel beispielsweise der jetzt am übernächsten Wochenende stattfindenden Münchener Sicherheitskonferenz geht ja auch in diese Richtung. Aber ich kann nur hoffen, dass vielleicht auch heute Abend schon ein wichtiger, richtiger Akzent gesetzt werden kann.
Klein: Sie haben als stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender gerade kürzlich den Bereich Außenpolitik übernommen von ihrem leider kürzlich verstorbenen Kollegen Andreas Schockenhoff, der sich ja gerade in der letzten Zeit sehr stark eingesetzt hat für schärfere Sanktionen und auch für deutlichere Worte Richtung Moskau. Schließen Sie sich dem eigentlich vollkommen an?
Jung: Zunächst ist es ein trauriger Tatbestand gewesen, dass ich in diese Funktion kam. Das ist wahr. Aber wenn Sie so wollen, ist es wieder ein Stück zurück zu den Wurzeln, denn als Verteidigungsminister hatte ich ja auch genau diese Aufgaben in Abstimmung mit dem Außenminister, der übrigens damals auch schon Steinmeier hieß, und von daher, muss ich Ihnen sagen, freue ich mich auf diese Aufgabe. Die Außenpolitik ist immer ein Stück Kontinuität und deshalb, glaube ich, muss man das in Kontinuität fortsetzen. Aber ich sage noch einmal: Beide Seiten, sowohl Russland als auch die Ukraine, haben dieses Abkommen unterschrieben und deshalb sind beide Seiten in der Verantwortung, das jetzt auch entsprechend umzusetzen.
Jung: Erstmal ist Russland am Zug
!Klein:!! Das heißt, von Ihnen nicht direkt eher einseitigere Appelle Richtung Moskau, sondern auch in Richtung Kiew, und da sind Sie auch komplett einer Meinung mit dem Regierungskoordinator Gernot Erler, wenn ich das richtig verstehe?
Jung: Aber man muss auch deutlich machen, das will ich hier noch einmal unterstreichen, dass angegriffen worden ist jetzt von den Separatisten, dass sie zunächst den Flughafen erobern wollten und dass die Ukraine in die Verteidigungsposition kam. Deshalb kann man das jetzt hier nicht einseitig auslegen. Aber ich sage noch einmal: Grundsätzlich gilt es, dass beide Seiten jetzt mit dafür Sorge tragen, und da ist Russland zunächst einmal mehr noch in der Pflicht, dass dieses Abkommen umgesetzt wird.
Klein: Der CDU-Außenpolitiker Franz-Josef Jung heute Morgen im Deutschlandfunk zur Entwicklung im Ukraine-Konflikt und zum Außenministertreffen heute Abend in Berlin. Herr Jung, danke für das Gespräch heute Morgen.
Jung: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.