Der Leiter der ukrainischen Agentur für Auslandsinvestitionen wirkte vergangene Woche so gelöst wie schon lange nicht mehr: Serhij Jewtuschenko hatte einen Vertrag mit dem chinesischen Agrarkonzern Chuanfan Tzu unterschrieben. 45 Millionen Euro fließen in ein Projekt im Norden des Landes, in Schweine- und Rinderzucht sowie Milchwirtschaft. Es sei die bisher größte chinesische Investition in der Ukraine, so Jewtuschenko:
"So eine gute Nachricht habe ich in den vergangenen Monaten nicht oft gehört. Aus der Region Tschernihiw, wo das Projekt entsteht, wurden seit Jahresbeginn nur Investitionen abgezogen. Wir führen mit vielen Interessenten Gespräche, aber kaum einer will im Moment eine Investitionsentscheidung für die Ukraine treffen."
Der Vertreter des chinesischen Investors reagiert auf die Frage, ob er keine Angst vor der Krise in der Ukraine hätte, nur mit einem Lächeln. Das sei doch nur vorübergehend, erklärte er.
Wirtschaftsleistung geht deutlich zurück
Tatsache ist jedoch, dass die ukrainische Wirtschaft durch ein tiefes Tal geht. Die Kampfhandlungen fanden im industriell wichtigen Donezkbecken statt. Die Metallurgie-, Maschinenbau und Chemie-Unternehmen dort mussten ihre Arbeit schon vor Monaten weitgehend einstellen. Gleiches gilt für die Kohlebergwerke.
Die meisten Fabriken des Donezkbecken sind zwar technologisch veraltet - auch gegenüber der Industrie in den Nachbarbezirken. Dennoch erwirtschafteten die ursprünglich 6,5 Millionen Einwohner dort etwa ein Fünftel des ukrainischen Bruttoinlandsproduktes. Die ukrainische Wirtschaftsleistung wird deshalb in diesem Jahr stark zurückgehen - um 7,5 Prozent, schätzt der Internationale Währungsfonds. Heimische Experten gehen von einem noch stärkeren Einbruch aus. Die ukrainische Wirtschaft befinde sich in einer Abwärtsspirale, sagt Wolodymyr Lanowyj, Vorsitzender des Zentrums für marktwirtschaftliche Reformen.
"Der Rückgang der Wirtschaftsleistung betrifft alle Bereiche, nicht nur die Industrie, sondern auch die Landwirtschaft. Unter solchen Bedingungen brauchen wir gar nicht über eigene Investitionen der Unternehmen zu sprechen, es wird sie nicht geben. Der Staat kann nichts dagegen tun. Ein Konjunkturprogramm würde die Inflation nur noch weiter ankurbeln."
Lichtblick Exporte
Ähnlich düster sind die Aussichten für den laufenden Haushalt. Das Defizit werde bei rund zehn Prozent liegen, so Experten. Dazu tragen die stark gestiegenen Rüstungsausgaben bei. So wird sich die Ukraine in diesem Jahr weiter verschulden. Durch die Kredite, vor allem vom Internationalen Währungsfonds, wird der Schuldenstand die Marke von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes übersteigen.
Einziger Lichtblick sind derzeit die Exporte in die Europäische Union. Wie die EU gerade bekannt gab, stiegen sie im ersten Halbjahr um knapp 15 Prozent. Hier wirkte sich aus, dass die Gemeinschaft der Ukraine im April Handelspräferenzen gewährte und Zölle abschaffte. Vor allem profitierte die Landwirtschaft.
Bei den Ukrainern macht sich dennoch Pessimismus breit. Viele versuchen, ihre Guthaben in der heimischen Währung Hrywnja umzutauschen. Die Hrywnja markiert deshalb immer neue Tiefststände gegenüber dem US-Dollar und dem Euro. Der Nationalbank fehlen die Devisenreserven, um gegenzusteuern und den Kurs zu stabilisieren. Sie hat deshalb den Umtausch begrenzt: Jeder Ukrainer darf pro Tag nicht mehr als 3000 Hrywnja verkaufen, umgerechnet derzeit 180 Euro.