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Ukraine-Konflikt
"Keine Eskalation vor Putins Treffen mit Obama"

Wladimir Putin trifft sich am 5. Juni mit Barack Obama in Frankreich. Vorher werde der russische Präsident die Krise mit der Ukraine nicht eskalieren lassen, sagte der Politikberater Horst Teltschik im Deutschlandfunk. Danach schaue man dann, wie es weitergehe.

Horst Teltschik im Gespräch mit Anne Raith |
    Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, aufgenommen am 17.01.2008 in München.
    Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, aufgenommen am 17.01.2008 in München. (picture alliance / dpa / Matthias Schrader)
    Anne Raith: Nicht nur die Nachwirkungen der Europawahl am vergangenen Wochenende sind noch zu spüren, in Frankreich zum Beispiel - das haben wir eben im Gespräch mit der Schriftstellerin Gila Lustiger gehört -, auch die Nachwirkungen der Präsidentschaftswahl in der Ukraine erschüttern das Land weiterhin. Zwar konnte sich Favorit Petro Poroschenko gleich im ersten Wahlgang durchsetzen, doch zur Ruhe kommt vor allem der Osten des Landes nicht: Der neue Präsident spricht von Krieg. Mehrere Dutzend Menschen sollen seit Wochenbeginn ums Leben gekommen sein. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa verlor gestern vorübergehend den Kontakt zu einer weiteren Beobachtergruppe. Inzwischen ist zumindest sie wieder in Sicherheit.
    Gerade allerdings erreicht uns die Eilmeldung, dass die Separatisten in der Ostukraine nach eigenen Angaben Beobachter der OSZE gefangenhalten, die seit einigen Tagen vermisst wurden. Das berichtet bislang nur die Nachrichtenagentur Interfax. Eine aktuelle Bestätigung gibt es noch nicht. Und über die Lage nach der Wahl und einen möglichen Neubeginn für das Land wollen wir in den kommenden Minuten sprechen, mit Horst Teltschik, unter anderem ehemaliger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Guten Morgen!
    Horst Teltschik: Guten Morgen, Frau Raith!
    Raith: Herr Teltschik, die Hoffnungen waren ja nicht unerheblich nach dem Wahlsieg Petro Poroschenkos, nach diesem klaren Wahlsieg. Doch vor allem im Osten des Landes eskaliert die Gewalt. War diese Gegenreaktion, war diese Entwicklung zu erwarten?
    Teltschik: Ja, es konnte niemand voraussehen, welche Auswirkungen die doch sehr eindrucksvolle Wahl von Poroschenko auf die Ostukraine haben wird. Da es ja zahlreiche Beobachter der Wahl vonseiten der OSZE gab, ... Bei diesen Beobachtern sind ja auch Russen dabei, und von daher war schon die Hoffnung, dass das ein Stück zur Befriedung beiträgt. Also die Kämpfe, die sich fortsetzen, zeigen aus meiner Sicht auch, dass Russland auch nur begrenzt Einfluss auf die Kämpfer, Widerstandskämpfer oder wie immer man sie nennt, in der Ostukraine hat.
    "Wer überhaupt noch in dieser Region Einfluss hat, ist völlig offen"
    Raith: Wie ist denn darauf zu reagieren? Verhandeln will Poroschenko mit den Separatisten ja nach wie vor nicht. Ist also allein der militärische der gangbare Weg, wie es hier im Deutschlandfunk der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen formuliert hat?
    Teltschik: Ja, das ist eine schwierige Frage für uns Außenstehende, denn es zeigt ja einmal, dass es keinerlei Ordnungskräfte in der Ostukraine gibt wie zum Beispiel Polizei - die scheint da vom Erdboden verschwunden zu sein -, auf die Kiew Einfluss hat. Das heißt, es ist in der Tat wahrscheinlich, dass hier Kräfte kämpfen und Widerstand leisten, die zum Teil aus Russland kommen, die aus Tschetschenien kommen, die Grenze ist ja mehr oder weniger offen, das ist ja das Problem zwischen Russland und der Ukraine, und eigentlich niemand so richtig Kontrolle über diese Kräfte hat. Und ich habe ja den Eindruck, dass Moskau durchaus bereit ist, mit Poroschenko zusammenzuarbeiten, zumal sie sich auch gegenseitig gut kennen, aber wer überhaupt noch in dieser Region Einfluss hat, ist völlig offen, und die Frage ist in der Tat, ob Poroschenko nicht recht hat, dann zu sagen: Man muss diese Kräfte einfach versuchen, mit Militär auszuschalten. Andere Mittel scheint es nicht zu geben.
    Raith: Was er ja auch angekündigt hat, ist, rasch in den Osten zu reisen, um zumindest dort mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen, um das Land auszusöhnen. Wie schwer wird denn dieser Spagat, mit den Separatisten nicht reden zu wollen, sie militärisch zu bekämpfen, aber zumindest mit den Bürgern in eine Art Dialog zu treten?
    Teltschik: Ja, das fragt sich ja jeder. Der Flughafen scheint ja inzwischen wieder unter Kontrolle zu sein, er könnte also dort im Zweifel landen. Aber wo er mit wem sprechen will, ob die Bürger den Mut haben, auch zu einer Versammlung zu gehen, sei es in einem Saal oder sei es auf einer Straße, ist völlig offen. Ob seine Sicherheit garantiert werden kann, ist von außen auch nicht abzusehen. Das heißt, das ist erst mal eine vollmundige Erklärung, die einfach nur das politische Signal enthält, dass er mit der Ostukraine beginnen will, weil eine Befriedung der Ostukraine heißt vor allem dort, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Gang kommt, dass Arbeitsplätze geschaffen werden und dass die Bürger dort das Gefühl bekommen, es geht wieder bergauf, weil die Lebensverhältnisse in Russland sind leider in der Regel besser als in der Ukraine. Von daher - ich weiß das aus persönlichen Gesprächen mit Menschen aus der Ostukraine - ist es vielen auch völlig egal, wo sie am Ende sich befinden, ob wieder in Russland oder in der Ukraine, weil die Lebensverhältnisse in Russland zum Teil besser sind.
    Raith: Abgesehen von diesem Konflikt, den Sie schildern, ist eine dringend zu lösende Frage derzeit auch die der Energieversorgung des Landes, und zwar nicht nur des Ostens, sondern des ganzen Landes. Heute läuft ein russisches Ultimatum ab. Was, glauben Sie, wird passieren? Sie haben eben angesprochen, Putin und Poroschenko kennen sich ganz gut. Glauben Sie, dass dieser erneute Gasstreit daher anders enden wird?
    Teltschik: Ja, also was mir gewissen Optimismus verleiht, ist die Tatsache, dass Präsident Putin in Kürze ja mit den wichtigsten europäischen Kollegen und mit Präsident Obama in der Normandie anlässlich des D-Days zusammentreffen wird. Und das ist ja eine Gelegenheit für die Bundeskanzlerin, für Obama, für Hollande, den französischen Präsidenten, mit Putin zu sprechen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Putin im Vorfeld dieser Begegnung die Krise eskalieren lässt, sodass sie für den Westen und für die Ukraine unerträglich wird. Also ich vermute, dass die Russen einen Modus vivendi für eine Übergangszeit suchen werden, bis diese Gespräche stattgefunden haben, um zu sehen, wie geht es denn weiter?
    "Poroschenko hat von Anfang an das richtige Signal nach Moskau gesandt"
    Raith: Würden Sie sagen, das gilt auch allgemein gesprochen für die Zukunft der Ukraine? Heute beschließt Russland ja die Eurasische Union, der die Ukraine auch einmal angehören sollte, so zumindest der Plan Putins. Auf der anderen Seite wird die Wahl Poroschenkos ja auch als Hinwendung zur EU gedeutet. Droht also eine erneute Zerreißprobe oder wird es diesmal einen anderen Weg geben können?
    Teltschik: Na, Poroschenko hat ja glücklicherweise von Anfang an gesagt, er will weiterhin die Hinwendung zur Europäischen Union, aber gleichzeitig eine Verständigung und Zusammenarbeit mit Russland, und das ist die einzig richtige Strategie. Also von daher hat er von Anfang an das richtige Signal nach Moskau gesandt. Und was die Eurasische Union betrifft, das ist nun mal erst mal ein Plakat, das Putin aufhängt, ohne viel Substanz. Da geht es erst mal um wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das ist ja durchaus im Interesse von Weißrussland, Kasachstan und - es ist ja ein ganz kleiner Kreis, der zu dieser Union zusammenkommt. Und ich persönlich bin ja der Meinung, dass die Eurasische Union kein Erfolg wird, denn sowohl Kasachstan als auch Weißrussland haben ja signalisiert, dass sie zwar zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit bereit sind, aber nicht zu mehr, denn da hat Putin, wenn Sie so wollen, mit der Krise in der Ukraine sich selbst ins Bein geschossen.
    Raith: Horst Teltschik war das, früher unter anderem Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, über die Ukraine nach der Wahl des neuen Präsidenten. Haben Sie herzlichen Dank und viele Grüße nach Wien!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.