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Ukraine-Konflikt
"Merkel hat eine Schlüsselrolle"

Horst Teltschik, ehemaliger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, fordert eine Führungsrolle Deutschlands im Ukraine-Konflikt. Es sei offensichtlich, "dass Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Präsident Putin die Schlüsselrolle hat", sagte Teltschik im DLF.

Horst Teltschik im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, aufgenommen am 17.01.2008 in München.
    Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, meint es sei ratsam, dass der Westen auf die Regierung in Kiew zu gehe. (picture alliance / dpa / Matthias Schrader)
    Russland müsste einen sehr hohen Preis bezahlen, wenn es in der Ost-Ukraine einmarschieren würde. Das würde erhebliche wirtschaftliche Leistung von Moskau erfordern. "Ob sie dazu bereit sind, da habe ich meine Zweifel", sagte Horst Teltschik, ehemaliger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz.
    Putin ginge es nach innen um Gesichtswahrung. Die Bevölkerung erwartet, nachdem er die Krim annektiert habe, dass er weiterhin die russischen Interessen vertrete. Für die Mehrheit gelte das für die gesamte Ukraine. "Er hat auch innenpolitischen Druck. Von daher sollte der Westen schon überlegen, jetzt nicht nur noch über Sanktionen zu argumentieren, sondern auch überlegen, wie kann man zukünftig zusammenarbeiten", so Teltschik im DLF.
    In der jetzigen Situation wäre es ratsam, dass der Westen auf die Regierung in Kiew zugehe. Allerdings müsse Russland gleichzeitig bereit sein, im Rahmen der OSZE, wirklich über die Lösung dieses Konflikts nachzudenken und mit dem Westen zusammenzuarbeiten.
    Es sei offensichtlich, "dass die Bundeskanzlerin die Schlüsselrolle hat im Gespräch mit Präsident Putin". "Sie sollte auch darüber nachdenken, ob es nicht klug wäre, mit dem ein oder anderen Partner aus Europa nach Moskau zu fliegen und Putin konkret zu stellen und mit ihm zu reden."

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Liminski: Sanktionen, Drohungen, Warnungen, Kämpfe – das sind die Stichworte des Ukrainekonflikts, der sich längst zu einem Konflikt zwischen dem Westen und Russland hochgeschaukelt hat. Wie hoch ist das Eskalationspotenzial, müssen wir nicht den Russen auch entgegenkommen, sind die Ukrainer ganz unschuldig an der Lage? Zu diesen und anderen Fragen begrüße ich den langjährigen außenpolitischen Berater von Kanzler Kohl und ehemaligen Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik. Guten Morgen, Herr Teltschik!
    Horst Teltschik: Guten Morgen, Herr Liminski!
    Liminski: Herr Teltschik, Sanktionen gegen Russland sind beschlossen, Putin droht mit höheren Energiepreisen und warnt sogar vor noch mehr Gewalt. Läuft die Eskalation in und um die Ostukraine aus dem Ruder?
    Teltschik: Also, Herr Liminski, Prognosen im Zusammenhang mit der Entwicklung in der Ukraine und um die Ukraine abzugeben, ist wirklich inzwischen ein Vabanquespiel. Auf der einen Seite hat man den Eindruck, beide Seiten schaukeln sich wechselseitig hoch, nachdem auch, wie Sie angesprochen haben, aus meiner Sicht in der Vergangenheit vieles versäumt und Fehler gemacht worden sind. Auf der anderen Seite hat sich ja auch gerade unser Außenminister Steinmeier überraschend positiv ausgesprochen über die jüngste Entwicklung, weil es in Minsk zu einem Gespräch zwischen der ukrainischen Regierung, Russland und der OSZE gekommen ist und vereinbart ist, dass jetzt zumindest die Absturzstelle des malaysischen Flugzeugs besichtigt werden kann. Ob das für ein positives Signal ausreicht, ist völlig offen.
    Liminski: Sie sagen selber, Prognosen sind ein Vabanquespiel, ich würde trotzdem mal eine Prognose von Ihnen persönlich erfragen wollen: Halten Sie einen Einmarsch der Russen in die Ostukraine für möglich, und wie sollte der Westen darauf reagieren?
    Teltschik: Von der Interessenlage Russlands, wenn man die ganz nüchtern betrachtet, kommt jeder Experte zu dem Schluss, dass Russland einen sehr hohen Preis bezahlen müsste, wenn es in der Ostukraine einmarschieren würde und die Frage sich dann stellen würde, annektiert sie dann wie die Krim die Ostukraine, was auch – jetzt unabhängig von möglichen zusätzlichen Sanktionen – erhebliche wirtschaftliche Leistungen Moskaus erfordern würde. Ob sie dazu bereit sind, habe ich erhebliche Zweifel. Aber wenn Sie jetzt die jüngsten Äußerungen von Lawrow, dem Außenminister, wieder verfolgt haben, der also jetzt davon spricht, dass gegebenenfalls russische Friedenstruppen einmarschieren könnten, dass man gezielt zurückschießen würde, wenn von der Ostukraine auf russisches Territorium geschossen werden würde, und er den Vorwurf des Völkermordes in der Ostukraine erhebt, wenn Sie das als Summe nehmen, deutet das darauf hin, dass er Vergleiche aufbaut zum Kosovokonflikt nach dem Prinzip der Vereinten Nationen, Responsibility to Protect, das heißt, im Falle eines Völkermords haben Staaten das Recht einzugreifen. Also baut Lawrow hier eine neue Drohkulisse nur auf oder meint er es ernst? Kann niemand beantworten.
    "Putin lässt sich alle Optionen offen"
    Liminski: Zu dieser Drohkulisse kommt ja auch die Äußerung von Putin gestern bei einer Gedenkveranstaltung zum Beginn des Ersten Weltkriegs, wo er gesagt hat, der Erste Weltkrieg sei ein tragisches Beispiel dafür, was passiere, wenn sich Menschen nicht zuhörten, erinnere uns daran, so wörtlich, "wozu Aggression und Egoismus maßlose Ambitionen der Staatenführer und politischen Eliten führen, die sich über den gesunden Menschenverstand erheben." Das habe Europa damals ins Chaos gestürzt. Es sei gut, sich auch daran heute zu erinnern. Ist das eine Drohung mit Krieg oder ein Aufruf zu Gesprächen?
    Teltschik: Ja, ich würde spontan sagen, eher das Letztere, also spielen sie mit verschiedenen Karten. Putin auf der einen Seite schickt Lawrow vor in die andere Richtung, das heißt, er lässt sich alle Optionen offen.
    Liminski: Sie kennen etliche russische Führer und Präsidenten persönlich, Herr Teltschik, wäre eine Eskalation wie heute auch unter Gorbatschow möglich gewesen?
    Teltschik: Nein, davon bin ich zutiefst überzeugt, denn Gorbatschow hat ja sehr früh die Entscheidung getroffen, er werde sich nicht mehr in die inneren Verhältnisse seiner Bündnispartner – gemeint war damals der Warschauer Pakt – einmischen. Also was sein Vorgänger, vor allem Breschnew, ja noch getan hat, bei inneren Entwicklungen von Bündnispartnern militärisch einzugreifen, hat Gorbatschow ja entschieden, obwohl das Bündnis Warschauer Pakt noch bestand, hat er zu seinen Bündnispartnern gesagt, ich werde mich nicht mehr einmischen. Und wie Sie wissen, ist Polen 1989 im Sommer von einem kommunistischen System zu einem demokratischen gewechselt. Gorbatschow hat sich nicht eingemischt, hat nicht interveniert, auch nicht in Ungarn und am Ende auch nicht in der DDR.
    "Es geht Putin vor allem nach innen auch um Gesichtswahrung"
    Liminski: Müssen wir in dieser Situation dem Kreml entgegenkommen, damit Putin das Gesicht nicht verliert, denn Putin denkt ja offensichtlich ganz anders, und diese Gesichtswahrung scheint bei ihm ja eine große Rolle zu spielen.
    Teltschik: Ja, davon bin ich fest überzeugt. Es geht Putin vor allem nach innen auch um Gesichtswahrung, denn die Bevölkerung erwartet jetzt, nachdem er die Krim annektiert hat, dass er weiterhin die sogenannten russischen Interessen vertritt, und für die Mehrheit der Russen gilt das für die gesamte Ukraine, nicht nur für die Ostukraine, aber mindestens für die Ostukraine. Also er hat auch innenpolitischen Druck, und von daher sollte der Westen schon überlegen, jetzt nicht nur noch über Sanktionen zu argumentieren, sondern doch auch zu überlegen, wie kann man zukünftig vernünftig zusammenarbeiten.
    Liminski: Aber was kann denn der Westen tun, sollten wir auf die Regierung in Kiew einwirken, damit die ukrainische Armee die Waffen schweigen lässt und es so zu Verhandlungen kommt?
    Teltschik: Ja, das ist zum Beispiel ein sehr vernünftiger Vorschlag. Ich bin völlig Ihrer Meinung, dass das in der jetzigen Situation beruhigend wirken könnte, allerdings mit der Maßgabe, dass gleichzeitig Russland bereit ist, im Rahmen der OSZE vor allem, über die Lösung dieses Konflikts wirklich nachzudenken und mit dem Westen zusammenzuarbeiten.
    Liminski: Kann, muss Deutschland eine Sonderrolle spielen, um diese Krise einzudämmen? Mit Merkel und Steinmeier kann Putin offenbar noch gut reden, mit Obama und Cameron schon nicht mehr.
    Teltschik: Ja, dass die Bundeskanzlerin die Schlüsselrolle hat im Gespräch mit Präsident Putin ist offensichtlich, und sie sollte auch darüber nachdenken, ob es nicht klug wäre, mit dem ein oder anderen Partner aus Europa nach Moskau zu fliegen und Putin konkret zu stellen und mit ihm zu reden. Über dieses Gespräch kann nichts Besseres erfolgen. Ich hab das im Kalten Krieg erlebt, denken Sie an Brandt mit Breschnew, trotz der Niederschlagung des Prager Frühlings ist Brandt mit Breschnew zusammengetroffen. Denken Sie an Helmut Kohl - wir hatten 83 die Drohung der Sowjetunion eines dritten Weltkrieges, und trotzdem ist er nach Moskau geflogen und hat mit Andropow gesprochen. Ich halte das nach wie vor für die richtige Politik.
    "Bundeskanzlerin sollte mit europäischen Partnern zusammen die Führung der Gespräche übernehmen"
    Liminski: Herr Teltschik, machen es sich die Amerikaner zu leicht in dieser Krise? Sie riskieren nichts, die Europäer dagegen viel.
    Teltschik: Meine Meinung ist, es ist sogar besser, wenn sich die Amerikaner strikt heraushalten, denn wenn sie die öffentlichen Erklärungen von Putin zur Kenntnis nehmen, auch von Lawrow, dann kommen da zum Teil seltsame konspirative Vorwürfe auf, dass hinter allem die Amerikaner stecken, alles, was die Europäer machen, sei von den Amerikanern verursacht, veranlasst. Die Europäer sind gewissermaßen die Marionetten der USA, Maidan war ein Zündeln der Amerikaner. Also alles, was gegen Russland gerichtet ist, verdächtigen die Russen automatisch, dass die Amerikaner dahinterstecken. Also von daher würde ich sagen, die Europäer in dem Fall brauchen die Amerikaner nicht, obwohl das die Polen und die Balten anders sehen. Ich verstehe das, aber jetzt würde ich sagen, es sollte die Bundeskanzlerin mit europäischen Partnern zusammen die Führung der Gespräche übernehmen und sich nicht auf die Amerikaner verlassen.
    Liminski: Das Eskalationspotenzial der Ukrainekrise ist unabwägbar, deswegen muss man miteinander reden. Das war hier im Deutschlandfunk der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik. Besten Dank für das Gespräch, Herr Teltschik!
    Teltschik: Gerne, Herr Liminski!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.