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Ukraine-Konflikt
Poroschenko sucht Verbündete

Heute feiert die Ukraine ihren Unabhängigkeitstag. Doch statt mit seinen Landsleuten zu feiern, ist Präsident Petro Poroschenko in Berlin. Er will die westlichen Staatschefs, vor allem Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande, drängen, mehr Druck auf Russland auszuüben, um die Separatisten in der Ostukraine zu mäßigen.

Von Florian Kellermann | 24.08.2015
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und die deutschen Kanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen in Riga.
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und die deutschen Kanzlerin Angela Merkel (Ria Novosti/Mikhail Palinchak)
    Oxana Syroid ist eine entschieden pro-europäische Politikerin. Die Vize-Parlamentspräsidentin arbeitete früher für die OSZE und eine Bürgerinitiative gegen Korruption.
    Doch nun ist sie enttäuscht von der Europäischen Union, in der sie die Ukraine so gerne sähe. Deshalb wandte sie sich in einer Videobotschaft an die Menschen im Westen.
    "Russland hat diesen Krieg gegen die Ukraine aus einem einzigen Grund begonnen: Es will uns zwingen, die Verfassung zu ändern. Russland will eine besondere Selbstverwaltung in den besetzten Gebieten, damit seine Kämpfer straffrei ausgehen und legale Machthaber werden - und um die Ukraine so von innen her zu erobern. Wenn wir solche Verfassungsänderungen beschließen, geben wir zu, dass es keine russische Besetzung gibt, sondern einen Bürgerkrieg."
    Eine flammende Rede gegen die Verfassungsreform, die dem ukrainischen Parlament zur Abstimmung vorliegt. Sie soll das Land dezentralisieren, den Regionen mehr Macht geben. Gleichzeitig sieht sie jedoch auch eine Sonderstellung für die Separatisten-Gebiete in der Ostukraine vor. Sie sollen eine eigene Miliz haben und besondere Wirtschaftsbeziehungen zu Russland unterhalten können. Dem Westen wirft Oxana Synoid vor, die ukrainische Regierung und die Abgeordneten zu bedrängen. Sie sollen der Verfassungsänderung zustimmen, um Russland zu besänftigen.
    Nationalistische Politiker formulieren den Vorwurf längst viel drastischer, so Oleh Ljaschko von der Radikalen Partei. Der Westen habe die Ukraine verraten, tönt er vom Rednerpult im Parlament.
    "Man sagt uns: Wenn wir die Verfassungsänderung nicht beschließen, dann wenden sich die USA und Europa von uns ab. Aber wir müssen doch mit dieser Verfassung leben. Ein Staat, der zulässt, dass ihm seine Verfassung, seine Staatsordnung von außen diktiert werden, ist kein Rechtssubjekt, sondern Rechtsobjekt."
    Ukraine beunruhigt über Treffen zwischen USA und Russland
    Die Politiker in Kiew beunruhigen auch die häufigen Treffen zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lavrov und seinem US-Amtskollegen John Kerry, bei denen sie über die Ukraine sprechen. Ihre Befürchtung: Die USA und die EU könnten die Ukraine doch dem russischen Einfluss überlassen, damit Moskau seinerseits die Politik des Westens im Nahen Osten unterstützt, etwa das Atom-Abkommen mit dem Iran.
    Ganz von der Hand zu weisen sind solche Ängste nicht, sagt Adam Balcer, Osteuropa-Experte der Universität Warschau.
    "Ich bin der Ansicht, dass wir im Moment vor allem Druck auf die Ukraine ausüben - und viel zu wenig Druck auf Russland. Deshalb fühlen die Ukrainer ein Ungleichgewicht. Russland hat sich verpflichtet, dass es für den Abzug seiner schweren Artillerie von der Frontlinie sorgt. Aber die Beschüsse der vergangenen Wochen zeigen, dass diese Artillerie immer noch da ist. Wenn das Minsker Abkommen funktionieren soll, muss auch Russland seinen Part erfüllen."
    Der entscheidende Streitpunkt ist die Reihenfolge, in der das Abkommen umgesetzt wird. Die Ukraine besteht darauf, dass sie erst die Kontrolle über das Separatistengebiet zurückbekommt - und über die russisch-ukrainische Grenze. Auch diese Punkte sieht das Minsker Abkommen vor. Erst dann soll es im Osten Kommunalwahlen geben und der Sonderstatus für das Gebiet in Kraft treten, meint Kiew.
    Russland hätte den Sonderstatus und die Wahlen gerne sofort. So würden die pro-russischen Anführer der Separatisten die Wahlen sicher gewinnen - und damit zu legalen, international anerkannten Vertretern des Donezbecken. Über sie hätte Russland dann in der Tat direkten Einfluss auf die Ukraine.
    Eine solche, für die Ukraine extrem ungünstige Entwicklung werde der Westen nicht forcieren, meint Balcer.
    "Dennoch klingt das, was die USA und die EU derzeit erklären, nach einer politischen Fiktion. Bis Jahresende sollen freie und faire Wahlen im Donezbecken stattfinden, heißt es, aber dafür gibt doch gar nicht die entsprechenden Bedingungen."
    Angela Merkel wird den ukrainischen Präsidenten heute also sicher beruhigen und ihre Solidarität erklären. Dass sie auch der Kiewer Forderung nachkommen und mehr Druck auf Russland zusagen wird, gilt aber als unwahrscheinlich.