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Ukraine-Konflikt
"Putin erleichtern, sein Gesicht zu wahren"

Von der Diplomatie im Ukraine-Konflikt erwartet der Direktor des Aspen-Instituts Berlin, Rüdiger Lentz, mehr Zugeständnisse des Westens an Russland. Präsident Putin müsse es erleichtert werden, sein Gesicht zu wahren und sich zurückzuziehen, sagte Lentz im DLF.

Rüdiger Lentz im Gespräch mit Christiane Kaess | 05.03.2014
    Kremlchef Wladimir Putin hat bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in der Krim-Krise betont, er sehe derzeit keinen konkreten Anlass für eine Militäraktion in der Ukraine.
    Kremlchef Wladimir Putin bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in der Krim-Krise. (dpa/ALEXEY NIKOLSKY/RIA NOVOSTI)
    Christiane Kaess: Die Krise in der Ukraine zieht international so weite Kreise, dass viele Beobachter jetzt darin kaum mehr ein innerukrainisches Problem sehen, sondern vielmehr den Konflikt zwischen Russland und dem Westen, insbesondere der Europäischen Union. Auch die USA haben von Anfang an eine gewichtige Rolle in dem Tauziehen um das Land gespielt. US-Außenminister John Kerry hat gestern bei einem Besuch in Kiew noch einmal seine Solidarität mit der neuen Regierung bekundet. Im Gepäck hatte er einen Kredit in Höhe von einer Milliarde Dollar. Außerdem sollen Experten in das Land entsandt werden, um der Ukraine bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Probleme und der Korruption zu helfen. Aber auch an scharfen Worten gegenüber Russland hat Kerry es nicht fehlen lassen. Sollte Russland nicht deeskalieren, werde es politisch, diplomatisch und wirtschaftlich isoliert. – Am Telefon begrüße ich jetzt Rüdiger Lentz, er ist Direktor des Aspen-Instituts in Berlin. Guten Morgen!
    Rüdiger Lentz: Guten Morgen!
    Kaess: Herr Lentz, aus Washington heißt es, Sanktionen gegen Russland seien eher eine Frage von Tagen als von Wochen. Warum ist denn die US-Regierung damit schneller entschlossen als die Europäer und vor allem Deutschland?
    Lentz: Nun, die Amerikaner werden immer noch in dieser Welt als Führungsmacht gesehen. Sie sehen sich hier besonders herausgefordert, da sie auch ein besonderes Verhältnis zur Ukraine haben. Schließlich gehören sie mit Großbritannien und Russland zu den Garantiemächten, die nach dem Zerfall der Sowjetunion die Unversehrtheit des Territoriums dieser neuen Republik Ukraine quasi beschlossen und auch unterschrieben haben. Sie sehen sich also hier in einer besonderen Verantwortung und das erklärt auch die starken Worte von Obama und Kerry.
    Kaess: Sind die Sanktionen für Washington auch leichter, mögliche Sanktionen, weil die Ukraine weit weg ist und die Handelsbeziehungen nicht so stark wie mit den Europäern?
    Lentz: Selbstverständlich ist das ein Grund. Die Europäer befinden sich in einer ganz anderen Situation. Sie sind weitgehend, Deutschland zum Beispiel, bis zu über 30 Prozent von Gas- und Öllieferungen Russlands abhängig. Der Handel mit Amerika und Russland beläuft sich auf weniger als zwei Prozent. Hier besteht also nicht die wirtschaftliche Abhängigkeit, unter der sich Westeuropa und Deutschland befinden. Das macht es auch für Amerika leichter, wirtschaftliche und auch finanzielle Sanktionen anzudrohen, zum Beispiel Einfrieren von Guthaben, die Erschwerung von Visa-Erleichterungen etc.
    "Putin erleichtern, sein Gesicht zu wahren"
    Kaess: Und die US-Regierung hat auch schon früh damit gedroht, Russland aus der G8 auszuschließen. Halten Sie diese Taktik der Isolation für richtig?
    Lentz: Ich glaube, es kommt im Moment darauf an, mit einer Mischung aus Maßnahmen gegenüber Russland zu beweisen, dass man A für die Unversehrtheit des Territoriums von der Ukraine eintritt und B auch versucht, Putin zum Einlenken und Umdenken zu zwingen. Da ist Diplomatie gefragt, da sind möglicherweise Sanktionen auch angesagt. Es kommt darauf an, einen Mix zu finden, der es Putin erleichtert, einerseits sein Gesicht zu wahren und andererseits sich auch wieder zurückzuziehen. Das ist im Moment ein schwer übersehbares Feld von Maßnahmen, die parallel laufen. Aber mit Sicherheit sind Sanktionen nicht auszuschließen. Die Europäer und die Amerikaner werden sich, wenn irgend möglich, in den nächsten Tagen hier auf einen gemeinsamen Kurs auch einigen müssen. Da gibt es ja auch Anzeigen, dass die Krisendiplomatie zwischen Europa und Amerika augenblicklich auf Hochtouren läuft. Die Abstimmung zwischen Steinmeier, Kerry (USA), Merkel, Obama läuft ja und man kann nur hoffen, dass das in den nächsten Tagen auch zu einer gemeinsamen Linie findet.
    Kaess: Aber, Herr Lentz, wie viel Druck üben denn die USA mit diesem, ich sage mal, schärferen Kurs, den sie schon sehr früh eingeschlagen haben, auf die Europäer und auf Deutschland damit aus, mitzuziehen?
    Lentz: Ich glaube, dass die Europäer hier im Moment mehr gefordert sind als die Amerikaner - zum einen, weil sie direkter davon betroffen sind. Sie haben sich ja mit ihrer Initiative, der Ukraine sozusagen europäische Avancen zu machen, auch mehr in den Vordergrund gespielt. Europa ist hier gefordert, aber Amerika will nicht beiseite stehen, weil sie sich auch in ihrer Führungsrolle hier infrage gestellt sehen, und in ihrer besonderen Beziehung zu Russland, im Grunde genommen 25 Jahre nach Fall der Mauer, ist diese Beziehung noch immer ungelöst. Sie ist hoch problematisch, wie wir sehen. Der vor Jahrzehnten begonnene NATO-Russland-Rat funktioniert nicht. Hier gibt es viele offene Fragen, die jetzt durch diese Krise in der Ukraine wieder aufgebrochen sind und wo man abwarten muss, wie sich das in den nächsten Tagen und Wochen entwickelt.
    Kaess: Und offenbar ist man in Washington nicht wirklich zufrieden mit dem Krisenmanagement der Europäer. Wir hören mal, was John McCain, ehemaliger US-Präsidentschaftskandidat und jetzt republikanischer Senator, gestern gesagt hat:
    O-Ton John McCain: "Die größte und stärkste Nation in Europa hält sich aus allem raus. Von Angela Merkels Stellungnahmen zu Putins Politik bin ich sehr enttäuscht. Putin kennt Merkel gut. Vielleicht denkt er, dass er ohne Gegenmaßnahmen davon kommt."
    "Strategisches Umdenken in Amerika"
    Kaess: Scharfe Kritik also an Deutschland von John McCain. Herr Lentz, glauben Sie, dass das eine Mehrheitsmeinung in Washington ist?
    Lentz: Nein, in keinem Fall. Ich würde eher sagen, es ist eine Einzelmeinung, denn man weiß sehr wohl, dass man auf die Vermittlungsversuche und auch die Vermittlungskompetenz von Frau Merkel und den Deutschen hier auch angewiesen sein wird. Dieser Gesprächskanal, den die Deutschen besitzen, muss genutzt werden. Er wird auch in amerikanischen Medien als ein sehr wichtiger Gesprächskanal gesehen. Andererseits steht aber auch Obama - und das ist auch die Erklärung für das Statement von McCain - unter einem immensen innenpolitischen Druck, Führung zu zeigen, und hier sind die Republikaner diejenigen, die ihm den Rückzug auf allen Gebieten der Welt vorwerfen, ihm Führungsschwäche vorwerfen und sagen, Amerikas Größe sei dahin, weil dieser Präsident sie verspielt hat.
    Kaess: Eine berechtigte Kritik? Würden Sie sagen, berechtigt?
    Lentz: Es ist zumindest faktisch nicht auszuschließen, dass die Amerikaner sich in den letzten fünf, sechs Jahren unter Obama von vielen Schauplätzen zurückgezogen haben und eine Politik betreiben, die mehr nach innen gerichtet ist als nach außen. Das wird ihm von vielen, auch von anderen vorgeworfen. Hier greift möglicherweise ein strategisches Umdenken in Amerika Platz, was ihm diese Kritik auch einträgt.
    Lentz: Führungsanspruch der Amerikaner steht infrage
    Kaess: Aber wie viel Spielraum hat denn Obama im aktuellen Konflikt um die Ukraine, denn er ist ja auf Russland schon deshalb angewiesen, weil er Russland als Partner in der Frage Syrien und auch im Iran-Atom-Kompromiss braucht?
    Lentz: Das macht diesen Konflikt so schwierig, weil die Handlungsmöglichkeiten extrem eingeschränkt sind. Zu dem letzten Mittel sozusagen militärischer Intervention oder die militärischen Folterwerkzeuge zu zeigen, die Entsendung der Sechsten Flotte aus dem Mittelmeer ins Schwarze Meer oder Ähnliches, ist Amerika heute weder imstande, noch auch bereit dazu. Obama weiß sehr wohl, dass die innenpolitische Stimmung in Amerika keine weiteren Kriegsgänge zulässt. Er hat in Syrien große Worte benutzt, um am Anfang klar zu machen, dass Amerika die Bewegung, die Opposition in Syrien nicht allein lassen wird, und im Endeffekt ist er zurückgeschreckt vor letztendlich einer militärischen Intervention. Das stellt heute weltweit den Führungsanspruch der Amerikaner infrage. Das macht das Problem aus. Und was Iran - und Sie sagen es ja selbst - anbetrifft, braucht er Russland auch. Insofern hat er wenig Handlungsmöglichkeiten, auf Putin einzuwirken, mit Ausnahme der Mittel der Diplomatie und im Zweifel dann der Sanktionen.
    Kaess: Live bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen Rüdiger Lentz, Direktor des Aspen-Instituts in Berlin. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Lentz: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.