Stephanie Rohde: Es ist zumindest ein Lichtblick. Seit gestern Abend ist die Waffenruhe in der Ostukraine in Kraft. Nach monatelangen Kämpfen haben sich die Vertreter der Ukraine, Russlands und der prorussischen Rebellen in Minsk darauf geeinigt. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa soll diese Waffenruhe überwachen. Außerdem wollen die Konfliktparteien auch Gefangene austauschen. Und für diese Feuerpause musste die ukrainische Führung einen Kompromiss eingehen, einen schmerzhaften: Sie musste zusagen, dass die Separatisten ihre Waffen nicht abgeben müssen.
Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Marieluise Beck von den Grünen. Sie ist Sprecherin für Osteuropapolitik und Obfrau im Auswärtigen Ausschuss und gerade in der Ukraine unterwegs. Wir erreichen sie in der Region Lugansk. Ist das jetzt der ganz große Wendepunkt?
Beck: Das wagt hier niemand zu glauben oder zu hoffen. Dazu hat es zu oft Vereinbarungen gegeben, aber eben auch wieder die Enttäuschung, dass Vereinbarungen nicht eingehalten worden sind, auch zu viele Unwahrheiten und Täuschungen, und insofern ist die Stimmung hier sehr abwartend.
Beck: Sie sind ja selber vor Ort, haben mit den Menschen gesprochen. Was sagen die über diese Feuerpause, was denken die?
Beck: Hier wird zurückhaltend insofern auch gesprochen, weil sie sagen, wir wissen noch nicht, wie hoch der Preis ist. Ich bin heute auf viele Menschen getroffen, die sehr schlimme Erfahrungen mitgebracht haben aus den Städten Donezk und Lugansk und aus diesen von den Separatisten gehaltenen Gebieten: Bedrohungen, Entführungen, wirklich ganz dunkle Begebenheiten, unter denen die Menschen hier leben mussten, und die, die geflüchtet sind, die sehr schlimme Erfahrungen gemacht haben und mitgebracht haben. Und natürlich ist hier die Frage, bedeutet der Preis für den Waffenstillstand, dass die Separatisten die Herrschaft über diese Gebiete behalten können, und welche Sicherheit gibt es, dass nicht nach einer Atempause von ein oder zwei Wochen doch der nächste Angriff auf uns in Charkow oder auf Mariupol gestartet wird.
"Der Schlüssel liegt bei Putin und den Separatisten"
Rohde: Und was wäre da Ihre Einschätzung? Kann man Putin und den Separatisten in dieser Situation trauen?
Beck: Ich kann Ihnen das nicht sagen. Ich kann nur im Rückblick sagen, dass bei der Krim Putin nicht die Wahrheit gesprochen hat. Er hat ja ständig gesagt, dort sind gar keine russischen Soldaten, wir haben nichts zu tun mit den grünen Männchen, und dann hat er voller Stolz hervorgehoben, welche hervorragende Rolle russische Militärs bei der Einnahme und dann der Annexion der Krim gespielt haben. Auch hier ist ja immer wieder behauptet worden, es gäbe keinen russischen Soldaten auf ukrainischem Boden. Das ist nun, wenn Sie hier mit zurückgekehrten Soldaten sprechen, ganz eindeutig falsch. Also ich kann nur hoffen, dass Putin tatsächlich bereit ist, diesmal Wort zu halten. Der Schlüssel liegt bei ihm und nicht bei den Separatisten, denn die haben selber nicht genug Kraft, um diese Gebiete zu halten, weil die Bevölkerung sie nicht will.
Rohde: Lassen Sie uns kurz darüber sprechen, wer von dieser Feuerpause profitieren würde. Die ukrainische Regierung muss jetzt auf die Kernforderung verzichten, nämlich dass die Aufständischen entwaffnet werden. Putin wiederum kann sich zuhause als Friedensstifter stilisieren und kann möglicherweise auch die Sanktionen jetzt obsolet machen. Ist diese Feuerpause ein einseitiger politischer Erfolg für Russland?
Beck: Wir haben auf der Tagesordnung ja nach wie vor die völkerrechtswidrige Annexion der Krim. Das kann nach wie vor nicht akzeptiert werden. Und es kann sich auch keine Situation herstellen wie in Transnistrien, wo zwar ein Gebiet formal nicht annektiert worden ist, aber eigentlich das Land, die Regierung des Landes Moldau keine Souveränität hat. Und wenn es jetzt einen schleichenden Anschluss von Donezk und Lugansk gibt an russisches Staatsgebiet, dann ist das etwas, was auch sicherlich die Regierung in Kiew nicht akzeptieren wird, und das kann auch die OSZE nicht akzeptieren, das können auch die europäischen Staaten nicht akzeptieren.
Verlorenes Vertrauen: "Das ist ein großer Schaden"
Rohde: Sie haben es eben schon kurz angedeutet: In den vergangenen Monaten dieses Konfliktes wurde das gegenseitige Misstrauen immer größer von Russland und der Ukraine. Es hat sich verstärkt. Ist das jetzt überhaupt eine Grundlage, auf der man über Frieden sprechen kann?
Beck: Auf jeden Fall hat Putin vielleicht militärisch die Übermacht. Aber er hat die Freundschaft der Menschen in der Ukraine verloren. Darüber gibt es eine große Trauer. Die Ukrainer haben genau wie die Russen gesagt, wir sind Brudervölker und wir wollen nicht gegeneinander kämpfen, und dass diese russische Aggression jetzt dazu geführt hat, dass die Ukrainer das Gefühl haben, derzeit jedenfalls können wir der russischen Führung, muss man sagen, nicht trauen, das ist ein großer Schaden und Putin hat die Menschen in der Ukraine verloren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.