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Ukraine-Konflikt
"Putin ist letztlich in der Defensive gewesen"

Es sei bemerkenswert, dass Wladimir Putin an den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des D-Day teilgenommen habe, sagte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik im DLF. Dennoch blieben die Beziehungen zum Westen belastet, solange der russische Präsident sein Verhalten nicht ändere.

Markus Kaim im Gespräch mit Stephanie Rohde |
    Stephanie Rohde: Es war ein historischer Tag, vielleicht sogar im doppelten Sinne. Die Landung der Alliierten in der Normandie 1944 wurde gefeiert und auch der Opfer gedacht, das mit eindrucksvollen Bildern, Schauspieler haben die Geschichte der Befreiung nachgestellt, betagte Veteranen waren da zu sehen, zu Tränen gerührt und überwältigt von ihren Erinnerungen. Dieser Tag der Geschichte, der könnte aber auch ein historischer Tag sein für einen ganz aktuellen Konflikt. Die Ukraine und Russland haben sich einander angenähert, zum ersten Mal seit vielen Monaten.
    Über den großen Pomp des Gedenkens und die kleinen Schritte der Krisendiplomatie möchte ich jetzt sprechen mit Markus Kaim. Er ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik und jetzt am Telefon. Was bedeutet der D-Day heute noch?
    Kaim: In der konkreten historischen Erinnerung verblasst er natürlich, weil die Zahl derer, die konkrete Erinnerungen an ihn haben aus verschiedenen europäischen Ländern, wird immer geringer. Und gleichzeitig, finde ich, ist er in den letzten Tagen noch mal aufgeladen worden, ich finde sehr plastisch durch die Rede des amerikanischen Präsidenten in Warschau, wo er die doppelte Botschaft von gemeinsamer Sicherheit und gemeinsamer Verantwortung für diese Sicherheit noch einmal überbracht hat für Europa, und das illustriert, glaube ich, diese dauernde Bedeutung des D-Days, die ja nicht zuletzt dafür steht, für eine Verantwortung der USA für die euro-atlantische Sicherheit, die auch nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes weitergeführt worden ist, die auch jetzt weitergeführt wird und die angesichts der Ukraine-Krise an besonderer Bedeutung gewonnen hat. Ich glaube, bei den Planungen für den D-Day konnte noch keiner ahnen, oder bei den Planungen des Jubiläums konnte noch keiner ahnen, dass aufgrund der Ukraine-Krise diese lange historische Erzählung von gemeinsamer sicherheitspolitischer Verantwortung für Europa eine solche Bedeutung haben würde.
    Rohde: Die Westalliierten steckten ja damals in dem Dilemma, dass sie mit Stalin zusammenarbeiten mussten, als sie diese zweite Front gegen Nazi-Deutschland eröffnet haben, denn Stalin kämpfte ja schon an der Ostfront gegen die Wehrmacht, also diesen gemeinsamen Feind. Was kann man denn daraus für Lehren ziehen, vielleicht auch für den Ukraine-Konflikt?
    Kaim: Eine Lehre drängt sich auf, die eigentlich eine Schlussfolgerung aus dem Ost-West-Konflikt ist, dass es Überlegungen von gemeinsamer euro-atlantischer Sicherheit bedarf, die sich ja in besonderer Art und Weise im KSZE-Prozess und dann später in der OSZE manifestiert hat, die in den letzten Wochen noch mal besondere Bedeutung gewonnen hat, also die Überlegung, dass die Sicherheit des einen Staates oder einer Gruppe von Staaten nicht auf Kosten eines anderen Staates gehen würde, dass es eine Ordnungsvorstellung gibt, dass Europa ein letztlich pazifizierter Raum ist, etwas was uns heute selbstverständlich erscheint, aber angesichts der Krisen und Konflikte des 19. und 20. Jahrhunderts eigentlich keine Selbstverständlichkeit ist. Das illustriert, glaube ich, dieser D-Day in besonderer Art und Weise und wenn man es in die Gegenwart versucht zu transferieren, dann würde ich eine Anforderung daraus ableiten, die sich ja heute auch in den Gesprächen bereits ausgedrückt hat, den bilateralen Gesprächen, die wir gesehen haben, dass letztlich eine Einhegung oder sogar Regelung der Ukraine-Krise nur im Einvernehmen mit Russland möglich ist, und das steht jetzt auf der Tagesordnung.
    "Ein merkwürdiges Auseinanderfallen"
    Rohde: Lassen Sie uns eine Einzelkritik vielleicht vornehmen, so wie man das beim Fußball nach den Spielen macht. Wie bewerten Sie Putins Auftritt, als Vertreter der Sowjetunion, also einem Sieger von damals, vielleicht auch vor dem Hintergrund der Krise in der Ukraine jetzt?
    Kaim: Letztlich muss man sagen, eigentlich ist sein Auftritt in der Normandie schon bemerkenswert, dass er überhaupt an diesem Auftritt festgehalten hat, auch dass die westlichen Regierungen daran festgehalten haben. Weil das ist ja ein merkwürdiges Auseinanderfallen: Auf der einen Seite ist Russland aus dem Kreis der G8-Länder erst mal für eine bestimmte Zeit ausgeschlossen, die Mitgliedschaft ist suspendiert. Gleichzeitig wird er in der Normandie empfangen, ich bin versucht zu sagen, als wäre nichts passiert. Er ist aber letztlich in der Defensive gewesen. Das ist bei jedem Gespräch heute deutlich geworden, ob am Beginn des Tages beim bilateralen Treffen mit David Cameron, dann über Francois Hollande, dann das Treffen mit Merkel und Poroschenko und zu guter Letzt die 15 Minuten, die dann Barack Obama doch noch mit ihm gesprochen hat. Ich glaube, die Kernbotschaft des Westens ist nach wie vor, das Verhalten der russischen Regierung aus den letzten Wochen, also die Annexion der Krim und die Infiltration und Destabilisierung der Ostukraine, ist inakzeptabel. Und solange dies nicht eingehegt wird beziehungsweise nicht einer Regelung zugeführt wird, wird, glaube ich, die Beziehung des Westens, wie sie sich jetzt auch heute noch mal sehr anschaulich in der Normandie manifestiert hat, zwischen dem Westen und Russland belastet bleiben.
    Rohde: Es gab ja einen kleinen positiven Schritt. Der ukrainische und der russische Präsident haben sich zum ersten Mal getroffen und gemeinsam die Waffenruhe in der Ostukraine gefordert. Ist das aber nur Theater vor historischer Kulisse?
    Kaim: Leider müssen wir feststellen, dass die russische Führung in den letzten Monaten nicht immer die Wahrheit gesagt hat. Präsident Putin hat gesagt, er plane keine Annexion der Krim; wenige Tage später hat er die Krim annektiert. Er hat gesagt, mit dem Genfer Abkommen von Mitte April, er würde Sorge dafür tragen, dass die Milizen in der Ostukraine entwaffnet würden; davon ist nichts zu sehen. Von daher: So positiv das erste Signal dieses bilateralen Treffens von 15 Minuten heute gewesen ist, so zurückhaltend bin ich, daraus jetzt eine Schlussfolgerung abzuleiten über eine ukrainisch-russische Annäherung. Weil der Ball liegt im Moskauer Feld. Die ukrainische Regierung ist nach wie vor vergleichsweise schwach. Sie wird einen inneren Transformationsprozess einleiten, der wahrscheinlich auch Moskauer Erwartungen Genüge tun wird zum Thema Föderalisierung des Landes. Aber entscheidend ist, dass Russland jetzt seinen Einfluss geltend macht, die subversiven Kräfte - ob es Russen aus der Ukraine sind, oder eher eingesickerte russische Milizen, das ist von außen immer schwer zu beurteilen -, diese zumindest einzuhegen, weil niemand hat ein Interesse an einer destabilisierten Ukraine, die gegebenenfalls in Teilen im Bürgerkrieg versinkt.
    Rohde: Sagt Markus Keim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben für dieses Gespräch.
    Kaim: Sehr gerne!
    Rohde: Und das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.