Vorbereitung auf den Angriffsfall: Mit Maschinengewehren, Panzerwagen und Hubschraubern trainiert Lettlands Armee die Landesverteidigung. An dem Manöver nimmt auch Igor Belostockis teil. Er ist russischer Herkunft, spricht fließend Russisch - dient aber trotzdem als Freiwilliger im lettischen Landesschutz. Die eskalierende Gewalt in der Ost-Ukraine beunruhigt ihn.
"In dem Manöver habe ich gelernt, wie wir mit unseren Waffenbrüdern zusammen halten können. Und gelernt, wie wir uns auf einen plötzlichen Militärangriff von außen vorbereiten müssen."
Igor macht sich Sorgen über einen möglichen Angriff aus dem Nachbarland Russland. Zwar glaubt der 29-Jährige nicht an einen baldigen Einmarsch Moskaus nach Lettland, aber er möchte im Ernstfall vorbereitet sein.
"Russland interessiert sich einfach nicht für Lettland. Wir sind viel zu klein und haben nicht mal Bodenschätze. Ich hoffe, dass es keinen Angriff wie auf der Krim oder in der Ostukraine geben wird. Ich möchte einfach nur friedlich leben und mein Kind großziehen."
Dabei kann ihm Lettland noch kein ruhiges Leben bieten. Sein Job als Kurier in der einstigen Sowjetrepublik reicht nicht, um seine Familie zu ernähren. Alle zwei Monate bricht Igor nach Frankreich auf, wo er als Taxifahrer etwas dazu verdient. Nach sowjetischen Zeiten sehnt er sich zwar nicht zurück, fordert aber von Lettland bessere Wirtschaftskontakte mit Russland.
"Wir könnten wie im Sozialismus hier Schweine züchten und nach Russland verkaufen - dort wartet ein riesiger Markt. Wir könnten dahin alles verkaufen. Von dieser Seite ist es ein Plus, dass Russland unser Nachbar ist."
In Lettland ist fast jeder Dritte russischer Herkunft. Igors Großeltern kamen in den 60er Jahren als Bauarbeiter nach Jekabpils. Die Kleinstadt liegt im Osten des Landes knapp 150 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Es war die sowjetische Siedlungspolitik, die hunderttausende Russen einwandern ließ. Sie sollten die Baltenrepublik politisch unterwandern, um den Kommunismus zu etablieren. Manche sind Russland bis heute treu geblieben.
"Sollen sie Lettland annektieren"
Auch Anton Abromovics, ein Kumpel von Igor. Er ist entsetzt, dass sein Freund freiwillig im lettischen Landesschutz dient und im Ernstfall sogar auf russische Soldaten schießen würde.
"Sollen sie Lettland annektieren. Russland ist solch ein riesiges Nachbarland, sie machen sowieso, was sie wollen. Lass sie kommen und die lettische Regierung durch eine russische ersetzen, was stört dich daran?"
Igor dagegen findet:
"Lettland benötigt Putin nicht. Wir waren schon einmal von Russland besetzt, das hat den Leuten nichts Gutes gebracht. Wir haben einen eigenen Präsidenten und eine eigene Regierung nach dem Willen des lettischen Volkes gewählt. Putin wollen wir nicht."
Ein erneuter Einmarsch Russlands wäre der Untergang Lettlands, meint Igor Belostockis. Er geht jeden Morgen tauchen und hält sich so für die Verteidigung des Landes fit. Seine russische Herkunft spielt dabei keine Rolle. Seitdem Russland die Krim annektiert hat, ist Igor zu allem bereit.
"Ja, ich bin Russe, aber auch lettischer Staatsbürger. Ob es Russen sind, die über unsere Grenze kommen oder Soldaten anderer Nationalität, das spielt für mich keine Rolle. Ich bin im Landesschutz und werde Lettland gegen Feinde verteidigen. Aber ich hoffe, dass es nicht so weit kommt. Noch einen Krieg in der Welt benötigen wir nicht."
An den diesjährigen Manövern nehmen sogar NATO-Soldaten teil. Sie sollen den Letten die Furcht vor dem übermächtigen Nachbarn Russland nehmen. Die militärische Ausrüstung ist allerdings miserabel und es mangelt an Munition. Denn Lettlands Armee verfügt über einen der niedrigsten Haushalte innerhalb des nordatlantischen Bündnisses. Umso wichtiger seien die kostengünstigen, freiwilligen Landesschützer wie Igor Belostockis, sagt Kommandant Leonids Kalnins.
"Wir fragen unsere lettischen Staatsbürger, die beim Landesschutz mitmachen wollen, nicht nach ihrer Nationalität. Alle unsere Soldaten sind Lettlands Patrioten, loyal zu Lettland und jederzeit bereit, unseren Staat zu verteidigen."
Der Landesschützer Igor stimmt seinem Kommandanten zu. Auch nach zwei Tagen Manöver in brütender Hitze ist sein Kampfgeist ungebrochen. Igor Belostockis hat sich eindeutig für Lettland entschieden.