Als einen Teil dieses Abkommens aus dem September nannte Wellmann die Föderalisierung sowie die Stärkung der Regionen in der Ukraine. "Ähnlich wie das deutsche föderale Modell, das könnte als Vorbild dienen."
Ohne die Sanktionen und deren gravierenden Folgen für die russische Wirtschaft würden die Russen "sich nicht ermutigt fühlen, an den Gesprächstisch zurückzukommen", sagte Wellmann. Im Hinblick auf die aktuelle Lage in der Ostukraine gebe es Anlass zu glauben, dass von russischer Seite ein intensiver Nachschub an Waffen, Munition und Kämpfern in die Region gebracht werde. "Russland führt Krieg gegen die Ukraine", sagte Wellmann.
Das Interview in voller Länge:
Marina Schweizer: Sieht so wirklich eine Waffenruhe aus? Wenn man die Meldungen aus der Ostukraine in den vergangenen Tagen beobachtet hat, dann drängt sich diese Frage auf. Wieder wird darüber gesprochen, ob die wichtige Hafenstadt Mariupol fällt, eine Landbrücke zur Krim entstehen könnte. Immer wieder gibt es Berichte darüber, dass die Truppen in den Rebellengebieten massiv verstärkt werden. Eines ist klar: Was momentan in der Ostukraine passiert, sind die heftigsten Kämpfe seit Wochen. Dass die Situation ernst ist, das hat auch der Bundesaußenminister bei seinem Besuch in Kasachstan betont. Frank-Walter Steinmeier appellierte an alle Beteiligten und auch an Russland, zu den Vereinbarungen von Minsk zurückzukehren und die Waffenruhe einzuhalten. Ich möchte darüber jetzt sprechen mit Karl-Georg Wellmann, für die CDU Mitglied im Auswärtigen Ausschuss im Bundestag. Guten Tag!
Karl-Georg Wellmann: Ich grüße Sie.
Schweizer: Herr Wellmann, schwere Waffen und Fahrzeugkolonnen, so ein Vorwurf. Ist das dann überhaupt noch ein Waffenstillstand?
Wellmann: Nein! Der hat von Anfang an nicht funktioniert. Aber es ist zu sagen, dass diese militärischen Auseinandersetzungen zu nichts führen. Sie sind fruchtlos, auch für die ukrainische Regierung. Wir haben Anlass zu glauben, dass ein intensiver Nachschub stattfindet von russischer Seite aus, eine Zuführung von Waffen, militärischem Gerät, von Munition und auch von Kämpfern. Dieses kann die ukrainische Armee nicht gewinnen; insofern brauchen wir einen neuen politischen Ansatz.
Schweizer: Wer ist denn aus Ihrer Sicht dort gerade der Aggressor? Sie sprechen jetzt Russland an. Also sind die auch aus Ihrer Sicht gerade der Aggressor?
Wellmann: Ja! Russland führt Krieg gegen die Ukraine. Ich meine, sie haben gewaltsam die Krim annektiert. Daran gibt es keinen Zweifel. Und die Separatisten hätten keine Chance ohne diese russische logistische Unterstützung.
Schweizer: Jetzt haben Sie gerade einen neuen Ansatz ins Spiel gebracht. Lassen Sie uns daran teilhaben: Wie muss der aussehen?
Wellmann: Es muss ein politischer Ansatz sein. Eine militärische Lösung führt zu nichts, für beide Seiten nicht. Wir wollen keinen eingefrorenen Konflikt, weil wir dann eine Elendsregion erzeugen würden, in der keiner investiert, wo die Menschen wegwandern würden, vor allem die qualifizieren. Wir müssen eine Lösung haben, wo alle drei Seiten, die Russen, die Ukrainer und der Westen, nicht als Verlierer, sondern als Sieger vom Platz gehen. Ich meine, als politischer und ökonomischer Sieger, und solche eine Lösung ist möglich.
Schweizer: Solche Lösungen können nicht weitere Sanktionen bedeuten?
Wellmann: Nein! Ich glaube, ohne die Sanktionen und ohne die doch sehr gravierenden Folgen für die russische Wirtschaft, die jetzt schon eintreten oder eingetreten sind, würden die Russen sich nicht ermutigt fühlen, an den Gesprächstisch zurückzukommen. Wir brauchen eine politische Lösung, an der diese drei Seiten beteiligt sind, und wir brauchen auch innenpolitisch für die Ukraine eine Lösung, die da lautet: Föderalisierung, Stärkung der Regionen in kulturellen, in ökonomischen und anderen Bereichen. Ich sage mal, ähnlich so wie unser deutsches föderales Modell. Das könnte ja als Vorbild dienen.
Schweizer: Wer muss denn diese Lösung jetzt anstoßen?
Wellmann: Es fehlt ja nicht an Versuchen. Die Bundeskanzlerin spricht sehr häufig mit Putin, sie trifft ihn auf Konferenzen, neulich in Mailand, sie telefoniert regelmäßig mit ihm. Es braucht jetzt auch mal ein signifikantes Zeichen aus Russland, dass die sagen, wir sind an einem politischen Prozess, der unsere Interessen wahrt, an einem politischen Prozess interessiert. Das hat dann auch zu tun, um die EU und die Zollunion kompatibel zu machen. Da haben die Russen auch plausible Sorgen. Die kann man aber lösen, weil es sich weitgehend um technische, um Handels- und Zollfragen handelt.
Schweizer: Herr Wellmann, aber bisher scheinen ja diese Telefonate der Bundeskanzlerin mit Putin nicht wirklich zu wirken.
"Diese militärische Aggression nicht widerspruchslos dulden"
Wellmann: Ja! Das ist das Problem. Ein kluger Mann hat mal gesagt, zum Tangotanzen brauchen Sie zwei, und wenn wir sagen, wir wollen eine politische Lösung haben, dann brauchen wir ein Gegenüber, der sagt, ich beteilige mich an solch einer Lösung konstruktiv. Da haben wir bisher Zweifel, da engagiert sich Russland zu wenig, investiert Russland zu wenig in eine politische Lösung. Deshalb stehen im Moment die Sanktionen noch. Wir haben immer gesagt, es gibt für uns kein militärisches Eingreifen. Wir können ja nicht die Bundeswehr auf die Krim schicken, um sie zurückzuerobern. Das ist absurd, das wird es nicht geben. Das ist auch die Position der Amerikaner. Deshalb setzen wir das ein, was wir können, weil wir können diese militärische Aggression nicht widerspruchslos dulden. Wir können nicht sagen, wir nehmen das hin, weil sonst in Europa, wenn Sie die letzten 100 oder 200 Jahre sich angucken, wir die Büchse der Pandora öffnen würden.
Schweizer: Macht sich denn die EU, Herr Wellmann, gerade nicht lächerlich, wenn sie jetzt nicht sofort weiter handelt?
Wellmann: Ich glaube nicht, dass wir jetzt weitere signifikante Sanktionen brauchen, weil die Sanktionen, die wir haben, schon schwerwiegend genug sind.
Schweizer: Aber Sie sagen ja gerade selber, dass Russland gar nicht wirklich verhandlungsbereit ist.
Wellmann: Ja, weil Putin bisher noch seine politischen Ziele über die ökonomischen Interessen stellt. Aber wir haben vor einigen Tagen ein langes Gespräch mit dem russischen Arbeitgeber- und Industriepräsidenten geführt, und der sagt, es droht ein Absinken des Bruttoinlandsprodukts, des russischen, im nächsten Jahr von 1,5 Prozent. Der Ölpreis sinkt, übrigens unter eine Schwelle, die auch sehr schmerzhaft ist für die Russen. Und er sagt auch, wenn ihr so weitermacht, werden Banken in Russland zusammenbrechen. Das war eine ziemlich dramatische Ansage dieses russischen Arbeitgeberpräsidenten. Also es wirkt schon und ich habe den Eindruck, dass die russische Industrie, die ja auch ihren Einfluss hat, zunehmend erkennt, dass sie sich einschalten müssen in die Diskussion und dass sie versuchen müssen, Einfluss zu nehmen auf die Regierung.
Schweizer: Sehen Sie unter diesen auch wirtschaftlichen Vorzeichen ein möglicherweise neues Abkommen von Minsk für möglich?
Wellmann: Ja! Ob das nun Minsk oder Wien ist, das weiß ich nicht. Es gibt ja auch Gesprächsformate in Wien inzwischen. Es braucht eine politische Lösung, an der alle drei Seiten beteiligt sind, der Westen, Russland und die Ukraine, und es braucht eine Lösung - die gibt es, die steht schon auf dem Papier, die ist schon erfunden worden -, dass alle drei Seiten von einer solchen politischen Lösung politisch und ökonomisch profitieren würden.
Schweizer: ... , sagt Karl-Georg Wellmann, der für die CDU im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt. Besten Dank, Herr Wellmann.
Wellmann: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.