Mützenich, der unter anderem für Außen- und Menschenrechtspolitik zuständig ist, sagte, im Hinblick auf den Ukraine-Konflikt sei es wichtig, sich an einen Tisch zu setzen und die Probleme zu besprechen. Russland habe ein ureigenes Interesse an einer Lösung. Auf die Tatsache, dass die Waffenruhe in der Ostukraine nicht eingehalten werde, müsse man mit politischen Schritten und Geduld reagieren.
Mützenich sieht Fortschritte bei Umsetzung des Minsker Abkommens
Mit dem zweiten Minsker Abkommen habe man das Ziel verfolgt, die zivilen Opferzahlen zu reduzieren und den Abzug schwerer Waffen durchzusetzen. Dabei ist es nach Ansicht von Mützenich durchaus zu Fortschritten gekommen. Eine Lösung des Konflikts nannte der SPD-Politiker "nicht einfach". Man habe es mit Separatisten zu tun, die sich auf politische Verabredungen nicht einließen und mit einer Regierung in Kiew, in der es viele Differenzen gebe.
Einer Wiederaufnahme Russlands in die Gruppe der größten Industrienationen stehe die Annexion der Krim nach wie vor entgegen, sagte Mützenich im DLF. Wenn sich Moskau jedoch bewege, müsse darüber gesprochen werden, die Sanktionen zurückzunehmen und Russland wieder in die internationale Politik einzubeziehen. Russland ist weder zum Außenministertreffen in Lübeck noch zum G7-Gipfel eingeladen, der im Juni in Bayern stattfindet.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Die westliche Diplomatie hält daran fest, die Situation im Osten der Ukraine habe sich seit dem zweiten Minsker Abkommen im Großen und Ganzen verbessert, so die Meinung. Dabei eroberten direkt nach der ausgehandelten Waffenruhe Mitte Februar russlandtreue Kämpfer den Ort Debalzewe. Danach flauten die Kämpfe tatsächlich ab, aber in den vergangenen Tagen berichten die Menschen vor Ort wieder, die bewaffneten Auseinandersetzungen hätten zugenommen. Die internationalen Vermittler sind besorgt. Im Zeichen der Ukraine-Krise findet auch das Treffen der Außenminister der G7-Staaten statt, der sieben wichtigsten westlichen Industriestaaten, die gestern Abend in Lübeck zusammengekommen sind. Sie bereiten dort das G7-Treffen der Staats- und Regierungschefs im Juni in Bayern vor. Bei den Gesprächen in Lübeck wird es auch um das geplante Atomabkommen mit dem Iran gehen, und auf all dies wollen wir jetzt eingehen mit Rolf Mützenich. Er ist als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für Außen- und Verteidigungspolitik. Guten Morgen!
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Herr Mützenich, bevor die G7-Außenminister sich mit der Ukraine-Krise beschäftigt haben, gab es ja schon das Treffen der Außenminister aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine in Berlin. Die haben sich besorgt gezeigt, angesichts der aktuellen Situation. Wie sehr nehmen Sie Russland diese Sorge ab?
Mützenich: Nun, Russland wird, glaube ich, langfristig ein Interesse daran haben, dass die Situation geregelt wird, eben mit der Ukraine, das ist ganz unverzichtbar, und auf der anderen Seite aber auch Europa einbeziehen, und dafür stehen insbesondere Deutschland und Frankreich für diese Verhandlungen bereit. Und es war, glaube ich, wohl überlegt gewesen, vor dem G7-Gipfel zu dieser Außenministerkonferenz vonseiten Frank-Walter Steinmeiers nach Berlin einzuladen.
"Zu einem gewissen Fortschritt gekommen"
Kaess: Jetzt sieht es aber so aus, als macht man so weiter, als wäre alles in bester Ordnung. Wann ist denn eigentlich Minsk II gescheitert?
Mützenich: Es geht nicht darum festzustellen - und das kann man auch überhaupt nicht -, dass jetzt alles in Ordnung ist, sondern es ist wichtig, dass man sich an einen Tisch setzt und die Probleme bespricht, und die bestehen ja auch weiterhin. Sie haben darauf hingewiesen, dass es weiterhin Kämpfe gibt. Das wird auch von der OSZE bestätigt. Auf der anderen Seite haben wir ja mit Minsk II versucht, im Grunde genommen insbesondere darauf einzuwirken, dass die zivilen Opferzahlen reduziert werden durch den Einsatz schwerer Waffen, und da ist es ja durchaus zu einem gewissen Fortschritt deswegen gekommen, weil auch weitere schwere Waffen in die Verabredung von Berlin mit einbezogen worden sind, und das muss jetzt überprüft werden. Der zweite Schritt war gewesen, dass die OSZE-Beobachtermission auch ausgeweitet werden kann, und Deutschland will seinen Anteil daran auch leisten.
Kaess: Aber dennoch, Herr Mützenich, sind wir ja von einer echten Waffenruhe weit entfernt. Sollte man darauf nicht reagieren?
Mützenich: Ich glaube, man muss darauf reagieren, aber man muss mit politischen Schritten und letztlich auch mit Geduld reagieren, so wie es der deutsche Außenminister macht. Ich kann mir keine andere Alternative darauf vorstellen. Wir versuchen, über Institutionen wie die OSZE, aber auch andere beteiligte Staaten darauf einzuwirken, und Russland hat hier eine große Verantwortung. Deswegen auf der anderen Seite auch dass die 28 Mitglieder der Europäischen Union versuchen, auch mit politischen Mitteln - und das sind nun mal die Sanktionen - darauf auch einzuwirken.
"In der Ukraine gibt es Reformprozesse"
Kaess: Sie plädieren für Geduld. Die G7-Staaten wollen ja in Lübeck auch einen Appell zur Ukraine verabschieden. Mehr gibt es wahrscheinlich nicht, also nur einen Appell. Zeigt das eigentlich auch die Hilflosigkeit, mit der Situation umzugehen?
Mützenich: Es ist eine sehr unübersichtliche Situation. Wir haben Separatisten, die sich auch in politische Verabredungen nicht einbeziehen lassen. Wir haben aber auf der anderen Seite natürlich auch Differenzen innerhalb der ukrainischen Regierung und insbesondere auch des Parlaments. Das wird nicht einfach zu beantworten sein. Im Grunde genommen kommt es hier auch auf innenpolitische Entscheidungen an. Sie müssen aber auf der anderen Seite auch sehen: In der Ukraine gibt es Reformprozesse, und wenn man mit den Menschen dort zusammentrifft durchaus auch das Interesse, auf der einen Seite auf humanitäre Hilfe zurückzugreifen, aber letztlich innenpolitische Entscheidungen auch im Konsens zu treffen.
Kaess: Dann schauen wir noch mal auf den Umgang mit Russland. Franz-Josef Jung, der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, der hat gestern im Deutschlandfunk gesagt: Sollte sich Russland an Minsk II halten, dann sollte Russland auch wieder eingebunden werden und eventuell an der G8 - dann wäre es wieder G8 und nicht mehr G7 - schon im nächsten Jahr wieder beteiligt werden. Ist denn die Annexion der Krim schon vergessen und vergeben?
Mützenich: Nein! Das steht natürlich weiterhin im Weg und niemand erkennt auch diese Annexion an, und das ist ja auch das Interessante, dass sich Russland auf der internationalen Bühne in den letzten Monaten sehr stark darum bemüht hat, von anderen Staaten eine Anerkennung zu bekommen, insbesondere von den sogenannten BRICS-Staaten, wozu ja auch die Volksrepublik China zählt, und man erkennt, es gibt dort keine Unterstützung. Das ist auch eine gewisse Stärke, die wir in den Verhandlungsprozess mit einbringen müssen. Aber wenn sich Russland stärker bewegt, positiv bewegt, muss sowohl über die Sanktionen gesprochen werden und über eine wieder stärkere Einbindung in den internationalen Prozess. Das heißt ja auch nicht, dass Russland komplett außen vor bleibt. An den Verhandlungen mit dem Iran war es aktiv beteiligt.
"Es geht darum, aus Minsk II eine verlässliche Waffenruhe zu entwickeln"
Kaess: Aber zum Beispiel den Zugang zur G8 wiederzueröffnen für Russland, dazu reicht die Einhaltung von Minsk II? Die Annexion der Krim spielt da eigentlich keine Rolle mehr?
Mützenich: Nein! Das ist nicht der entscheidende Punkt. Es geht letztlich darum, dass wir es schaffen, aus Minsk II eine verlässliche Waffenruhe zu entwickeln und auch einen Verhandlungsprozess, der natürlich die Krim auch langfristig einbeziehen muss. Darüber gibt es auch einen Konsens mit der Ukraine.
Kaess: Herr Mützenich, wir sprechen noch über den Iran. Außenminister John Kerry, der trifft verspätet ein zum G7-Treffen, denn der wurde im US-Kongress noch zum Iran-Abkommen angehört. Der Widerstand gegen das Abkommen scheint da jetzt abgemildert. Auf der anderen Seite hat Irans religiöser Führer Ali Chamenei kurz nach der Einigung in Lausanne schon gesagt, er ist nicht überzeugt von dem, was dort beschlossen wurde. War es zu früh, von einem Durchbruch zu sprechen?
Mützenich: Ich glaube, niemand war unrealistisch gewesen, und nur wenige haben von einem Durchbruch gesprochen. Dennoch darf man die politische Verabredung nicht kleinreden und der religiöse Führer hat sie ja auch nicht grundsätzlich infrage gestellt, sondern noch mal an die Forderungen der iranischen Regierung erinnert und man muss sich davon auch leiten lassen. Der religiöse Führer hat zwar das letzte Wort, aber er muss unterschiedliche Interessen innerhalb des Irans einbinden. Dort gibt es Kritiker im Parlament, aber letztlich auch im religiösen Establishment, und die Revolutionsgarden spielen durchaus eine Rolle. Von daher war das nicht überraschend gewesen. Aber er hält weiterhin grundsätzlich an dem Verhandlungsprozess fest und jetzt müssen wir in den nächsten Wochen sehen, ob diese politische Verabredung auch in technische Details gegossen werden kann. Aber es kommt nicht nur auf den Iran an, wie Sie zurecht gesagt haben, sondern auch auf die innenpolitische Situation zum Beispiel in den USA, und auch hier gibt es Bewegung und Präsident Obama muss noch eine Menge Überzeugungsarbeit leisten.
"Eine Schwächung des gemeinsamen Sanktionsregimes"
Kaess: Und auch hier kommt Moskau noch einmal ins Spiel. Das will noch in diesem Jahr ein modernes Flugabwehrsystem an den Iran liefern. Die USA und Brüssel haben sich natürlich besorgt gezeigt. Ist das jetzt ein weiterer Beweis, dass Russland allein seine eigene Linie verfolgt?
Mützenich: Das ist sehr bedauerlich. Wir haben ja in den letzten Jahren immer wieder gesehen, dass Russland erwägt, dieses Flugabwehrsystem zu liefern, und Russland ist auch durchaus eines der Länder, die sowohl im Bereich der Atomenergie, aber auch der Militärausrüstung immer wieder Leistungen gegenüber dem Iran erbracht haben. Ich glaube, das ist durchaus eine Schwächung auch des gemeinsamen Sanktionsregimes. Auf der anderen Seite muss man sehen, wann überhaupt diese Systeme dann konkret geliefert werden.
Kaess: Sagt Rolf Mützenich. Er ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig für Außen- und Verteidigungspolitik. Danke schön für dieses Gespräch heute Morgen.
Mützenich: Danke, Frau Kaess, für die Einladung. Schönen Tag.
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