Alle Indizien sprächen dafür, "dass es sich um einen Abschuss handelt", sagte Trittin, der seit 2013 Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags ist. Nun müsse man "alles daran setzen, dass es eine internationale Untersuchung gibt".
Dieses "schreckliche Ereignis" müsse dem Letzten klar gemacht haben, dass die Ukraine "in einem Bürgerkrieg versinkt", so Trittin. "Wir brauchen dringend einen Waffenstillstand, der über die Bergung der Leichen und Wrackteile hinausgeht." Dieser Waffenstillstand müsse beidseitig sein.
Russland spiele mit dem Feuer, wenn es den Ukraine-Konflikt weiter "anstachele". Der Flugzeugabsturz zeige, dass die Situation im Osten "unbeherrschbar geworden ist", so Trittin weiter. Dies könne nicht im Sinne Russlands sein, das nun seiner Verantwortung gerecht werden müsse.
Der Grünen-Politiker sieht in Russland eine "um sich greifende Stimmung". Das Land sorge sich, dass seine Wirtschaft ruiniert wird. Die Sanktionen gegen Russland zeigten auch sonst Wirkung: So habe Moskau seinen Sprachgebrauch gemäßigt, aber immer noch "keine konsequenten Handlungen" folgen lassen.
Das Interview in voller Länge:
Gerd Breker: Eine Passagiermaschine stürzt über der Ostukraine ab. 298 Menschen sterben. Es gab keinen Notruf, keinen Hinweis auf irgendeinen technischen Defekt. Ein plötzlicher Absturz, möglicherweise ein Abschuss. Nur von wem? Wer hat die Technik? Wer hat die Fähigkeiten dazu, ein Flugzeug aus über 10.000 Meter vom Himmel zu holen, und warum sollte er das tun?
Am Telefon sind wir nun verbunden mit Jürgen Trittin, Außenpolitiker von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Tag, Herr Trittin.
Jürgen Trittin: Guten Tag.
Breker: Herr Trittin, wir wollen erst einmal hören, was Finanzminister Wolfgang Schäuble heute Morgen in diesem Sender zu dieser Tragödie gesagt hat.
Wolfgang Schäuble: "Das Ganze zeigt, wie schrecklich gefährlich es ist und wie dringend es notwendig wäre, dass endlich auch Russland seinen Beitrag leistet. Solche Entwicklungen eskalieren immer mehr, wenn man nicht auf allen Seiten Verantwortung zeigt."
"Dieser Waffenstillstand muss beidseitig sein"
Breker: Da können Sie ihm völlig recht geben, Herr Trittin? Der Abschuss oder Absturz einer Zivilmaschine mit fast 300 Menschen an Bord, er zeigt in der Tat, wie dringend eine politische Lösung der Ukraine-Krise ist?
Trittin: Ich glaube, dass dieses schreckliche Ereignis dem letzten klar gemacht hat, dass man nicht zusehen kann, wie in der Ukraine, im Osten der Ukraine ein Land in einem Krieg – manche sprechen ja auch von einem Bürgerkrieg; es ist beides – an dieser Stelle versinkt. Dieses hier zeigt: Wir brauchen dringend – und da bin ich ganz auf der Seite der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – einen Waffenstillstand, ich betone, einen Waffenstillstand, der über die Bergung der Leichen und der Wrackteile und der Aufsammlung der Beweisstücke hinausgeht.
Dieser Waffenstillstand muss beidseitig sein, er muss international überwacht werden, und dafür ist es eine Voraussetzung, dass Russland endlich seinen Beitrag leistet, die Grenze in die Ukraine und die Unterstützung, Möglichkeiten zur Unterstützung dieser sogenannten Rebellen auch tatsächlich unterbindet. Das ist heute unabweisbar: Waffenstillstand, überwacht beidseitig und Grenze zu. Das ist die Mahnung aus dem schrecklichen Tod von 298 völlig unbeteiligten Menschen.
Breker: Und wir brauchen eine ganz klare Aufklärung, was denn da geschehen ist, war es ein Abschuss, war es ein Absturz.
Trittin: Es sprechen alle Indizien dafür, dass es sich um einen Abschuss handelt. Es wird sicherlich sehr, sehr lange Zeit brauchen, um herauszufinden, wer tatsächlich von den Kriegsparteien dafür verantwortlich ist. Ich glaube, dass man hier alles darauf setzen muss, dass es eine internationale Aufklärung gibt. Die jüngsten Stellungnahmen sowohl der russischen Seite, aber leider auch der ukrainischen Seite zeigen, dass hier sehr, sehr parteilich agiert wird. Deswegen kann Klarheit über den tatsächlichen Ablauf und die tatsächliche Verantwortung nur eine Untersuchung geben, die sich beispielsweise auf die OSZE stützt.
"Russland muss nun seiner Verantwortung gerecht werden"
Breker: Russland muss mitspielen. Russland ist ja auch Teil der OSZE. Liegt nicht vielleicht sogar eine Chance in dieser Tragödie?
Trittin: Man kann sich diese Frage stellen, auch wenn es sich sehr, sehr zynisch anhört an der Stelle. Aber ich glaube, spätestens mit diesem Vorfall muss Russland klar geworden sein, dass es mit dem weiteren Anstacheln des Konfliktes innerhalb der Ukraine mit dem Feuer spielt, dass sie Kräfte mit auf den Weg und auf den Plan gerufen haben, die vor nichts zurückschrecken, die nicht beherrschbar sind. Und wenn an dieser Stelle sich herausstellen sollte, dass es von den Rebellen ist, oder fehlgeleitetes Feuer von anderen – ich will das nicht vorabziehen, aber dass die Situation im Osten der Ukraine unbeherrschbar geworden ist, das zeigt dieser Absturz, und das kann und ist nicht im Interesse Russlands und Russland muss nun seiner Verantwortung gerecht werden, diesen Konflikt einzudämmen. Und deswegen noch mal: Es muss einen beidseitigen, international kontrollierten Waffenstillstand und eine geschlossene Grenze geben, ebenfalls international überwacht.
Breker: Sind denn, Herr Trittin, die Signale, die Deutschland, die der Westen, die die Europäische Union an Russland sendet, verständlich genug und dringend genug und stark genug?
Trittin: Ich bin in der letzten Woche in Moskau und in Kiew gewesen. Bei beiden Besuchen ist eines sehr deutlich geworden: Die russische Seite, die offiziell behauptet, die Sanktionen interessierten sie nicht, die würden sie nicht tangieren, ist hochgradig alarmiert. Es gibt in Russland eine um sich greifende Stimmung, die sagt, wir ruinieren mit dem Vorgehen in der Ukraine unsere gesamte Volkswirtschaft, wir drohen, tatsächlich unseren Wohlstand darüber infrage zu stellen. Das heißt, hier zeigt sich, dass das, was Russland selber angerichtet hat, die Selbstsanktionierung Russlands, wenn Sie so wollen, durch dieses Vorgehen, mittlerweile Wirkung zeigt. Deswegen hat der Kreml in den letzten Wochen sein Wording, seinen Sprachgebrauch gemäßigt. Es ist nicht mehr die Rede von dem faschistischen Regime in Kiew. Man versucht wieder, mit denen zu reden. Das hat aber noch nicht zu konsequenten Handlungen geführt. Man redet anders, aber bis heute ist die Grenze zur Ukraine nicht dicht und bis heute gibt es Austausch und Möglichkeiten, Menschen und Material in das Konfliktgebiet hineinzubringen.
Und auf der anderen Seite war auch mein Eindruck, dass nach zehn Tagen einseitiger Waffenruhe, die Herr Poroschenko verhängt hat, der Druck in der Gesellschaft in der Ukraine so hoch war, dass man zunächst wieder auf eine militärische Lösung in der Ostukraine gesetzt hat, und das Ergebnis ist natürlich eine Eskalation der Lage mit einem so schrecklichen Ergebnis, wie wir es jetzt gesehen haben. Deswegen muss Russland nunmehr endlich seiner Verantwortung hier gerecht werden.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin. Herr Trittin, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Trittin: Ich danke Ihnen!
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