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Ukraine-Konflikt
Soldatenmütter fordern Freilassung ihrer Söhne

Wenn es auf internationaler Bühne um den Krieg in der Ukraine geht, wird oft die Frage der Kriegsgefangenen mitbesprochen. Denn der Austausch ist meist noch das, worauf sich die Gegner einigen können. Doch in der Ukraine kommt der momentan nicht wirklich voran. Mütter und Ehefrauen der Kriegsgefangenen haben sich jetzt organisiert, um den Druck zu verstärken.

Von Sabine Adler |
    Elena Sugaks Sohn Ruslan kam im August 2014 nach der Schlacht von Ilowaisk in russische Kriegsgefangenschaft.
    Elena Sugaks Sohn Ruslan kam im August 2014 in russische Kriegsgefangenschaft. Ein Mittelsmann bot an, ihren Sohn freizukaufen - gegen 250.000 Dollar. Sie ist heute Aktivistin der Soldaten-Mütter-Organisation Bereginya. (Deutschlandradio/Sabine Adler)
    824 schreibt Jekaterina Glondar auf ein Plakat. Es zeigt ihren Mann in Uniform. Darunter die Zahl, die sie jeden Tag aktualisiert. Laut Minsker Friedensabkommen sollen Kriegsgefangene freigelassen und ausgetauscht werden, nach dem Prinzip "Alle gegen alle", spätestens fünf Tage nach dem im Protokoll ebenfalls vereinbarten Waffenabzug.
    Jekaterina Glondar wartet seit 824 Tagen auf ihren Mann Sergej. Als Berufssoldat zögerte er keinen Moment, sein Land gegen die prorussischen Separatisten zu verteidigen.
    "Das ist seine Arbeit, er sagte zu mir: Wer, wenn nicht ich, soll gehen?"
    "Am Anfang waren es 10.000 Dollar, dann 250.000 Dollar"
    Elena Sugaks Sohn Ruslan kam im August 2014 nach der bislang verlustreichsten Schlacht von Ilowaisk in Gefangenschaft. Zum letzten Mal sah die Mutter ihn auf einem Video, das die russische Seite kurz nach der Festnahme von der ganzen Gruppe ukrainischer Kämpfer drehte. Vor drei Monaten wurde ihr von einem Mittelsmann angeboten, ihren Sohn freizukaufen.
    "Am Anfang waren es 10.000 Dollar, dann 250.000 Dollar, wenn wir das nicht bezahlen, wird er in den Kaukasus gebracht. Ich hörte daran, wie er sprach, dass er tatsächlich mit meinem Sohn Kontakt hatte, denn mein Sohn benutzt manchmal ganz bestimmte Redewendungen, die höre ich nur bei ihm. Wir sollten ihn rauskaufen."
    Mütter und Ehefrauen kämpfen für die Freilassung der Soldaten
    Eine utopische Summe. Und so geht die Warterei weiter. Sie ist gemeinsam leichter zu ertragen als allein. Auch deswegen haben die Mütter und Ehefrauen die Hilfsorganisation "Bereginja" gegründet. Ähnlich wie die russischen Soldatenmütter in den Tschetschenien-Kriegen geben sie einander Halt, kämpfen für die Freilassung ihrer Männer.
    Geführt wird "Bereginja" von Alla Makuch. Ihr Sohn geriet im Februar 2015 in Debalzowo in Gefangenschaft, gerade als in Minsk Kanzlerin Merkel mit dem russischen, französischen und ukrainischen Präsidenten verhandelte. Alla Makuchs Sohn kam nach einem Jahr frei, da hatte er drei Monate Dunkelhaft und Folter hinter sich, sowie Sklavenarbeit auf einem Bau.
    "Wir waren beim ukrainischen Vertreter in der Dreier-Kontaktgruppe. Und Viktor Medwedtschuk fragte uns, ob wir auf einen Austausch "alle gegen alle" warten oder einverstanden wären, erst einmal drei freizulassen. Wir sagten: Drei sind besser als niemand. Mein Sohn gehörte dazu."
    Jahrelanges Warten auf Nachricht von Kriegsgefangenen
    Die meisten der 100 Frauen warten seit Monaten, sogar Jahren auf Nachricht von ihren Männern. Natalja Gerastinenkos Mann Nikolai geriet ebenfalls 2015 in Debalzowo in Kriegsgefangenschaft.
    "Anfangs konnten wir sie noch anrufen. Seit neun Monaten sind sie in dem Straflager, in dem auch Katjas Mann festgehalten wird. Insgesamt sind dort 32 Kriegsgefangene. Wir versuchen auf allen erdenklichen Wegen, auch über die russische Seite, etwas über sie zu erfahren. Überall stellt man sich taub."
    Vor anderthalb Jahren konnten die Mütter die Söhne besuchen. Sie baten den Chef der sogenannten Donezker Volksrepublik Sachartschenko persönlich, die Gefangenen herauszugeben.
    "Er lehnte natürlich ab, erlaubte nur ein Treffen von 15 Minuten und die Übergabe der Lebensmittelpakete, alles wurde gefilmt."
    600 Kämpfer hält die Ukraine selbst, sie fordert noch 128 Soldaten
    Das letzte Lebenszeichen, ein Video vom Dezember, brachte die vor einem Jahr freigekommene ukrainische Kampfpilotin Nadija Sawtschenko von ihrer Visite des Straflagers mit. Im jüngsten Brief schrieb Nikolaj Gerastinenko seiner Frau und den beiden Kindern, dass er sich auf den großen Gefangenenaustausch keine Hoffnung mehr macht, umso mehr auf Einzelaktionen. Rund 150 Kriegsgefangene haben beide Seiten insgesamt zurückgegeben. 128 fordert die Ukraine jetzt noch, sie selbst hält etwa 600 prorussische Kämpfer fest. Natalja Gerastinenko von den ukrainischen Soldatenmüttern:
    "In Kiew haben wir alles versucht: vor und in Botschaften, beim Patriarchen, in verschiedenen Kirchen, sogar beim Präsidenten."
    Väter fallen "einfach aus dem Leben der Kinder heraus"
    Jetzt waren sie in Berlin und sind bereit, auch noch viel weiter zu fahren. Natalja Gerastinenko schmerzt am allermeisten, dass ihr Mann die Kindheit von Sohn und Tochter verpasst.
    "Er fällt einfach aus dem Leben der Kinder heraus. Man weiß nur, dass es ihn gibt und dass er wartet."