Die Kritik des CSU-Politikers Ferber ziele auf die Außenpolitik von Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel, sagte Niels Annen in dem Gespräch; eine Politik, die auf eine "friedliche Lösung" setze.
Markus Ferber hatte die Krisendiplomatie des Außenministers als erfolglos bezeichnet. "Außer Spesen nichts gewesen", sagte der CSU-Spitzenkandidat für die Europawahl am Mittwoch zu der Reise des SPD-Politikers nach Kiew und Odessa. Steinmeier müsse erkennen, "dass die Diplomatie eines einzelnen Mitgliedsstaates keinen Erfolg haben kann". Laut der Tageszeitung "Die Welt" gingen Horst Seehofer die Äußerungen zu weit, der CSU-Chef soll Ferber zur Ordnung gerufen haben.
Steinmeier habe in einer zugespitzten Situation ein "politisches Risiko" auf sich genommen, so Annen im DLF. Diesen Mut sollte man loben und nicht kritisieren. Es sei der Kern von Außenpolitik, so Annen, "beharrlich daran zu arbeiten, dass die Menschen an einen Tisch kommen".
Der deutsche Außenminister hatte in Kiew in Gesprächen mit dem Chef der Übergangsregierung, Arseni Jazenjuk, und dem Übergangspräsidenten Alexander Turtschinow für den nationalen Dialog unter Schirmherrschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geworben.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Die gute Nachricht: Es saßen Leute am Runden Tisch. Die haben miteinander geredet und das wollen sie morgen wieder tun, voraussichtlich im Osten der Ukraine. Allerdings: Wichtige Leute fehlten. Vertreter der Separatisten, die den östlichen Landesteil Russland zuschlagen möchten, die waren gar nicht erst eingeladen. Das Ganze kommentiert von Moskau: Der russische Außenminister versicherte, Russland wolle keine Truppen in das Nachbarland schicken. Und dann noch dies: Die Wahl am 25. Mai könne nicht als legitim gelten, solange die Regierung ihren Militäreinsatz gegen Separatisten fortsetze.
Wir kommen zur innenpolitischen Wahrnehmung dieser Krisendiplomatie. „Außer Spesen nichts gewesen", so fasst Markus Ferber, der Spitzenkandidat der CSU bei der Europawahl, die Krisendiplomatie eben des Bundesaußenministers zusammen. Frank-Walter Steinmeier habe insbesondere bei seiner letzten Reise in die Ukraine nichts erreicht. Die Diplomatie eines einzelnen Mitgliedsstaates bringe nun mal nichts. Berechtigte Kritik oder Wahlkampfgetöse – die CSU ist immer für Überraschungen gut, das weiß man. CSU-Chef Horst Seehofer hat den Spitzenkandidaten seiner Partei für die Europawahl dann nach dessen Äußerung an Steinmeier zur Ordnung gerufen. In einem Telefonat habe Seehofer seinem Unmut Luft gemacht, das berichtet heute die Tageszeitung "Die Welt".
Am Telefon ist jetzt Niels Annen, Obmann der SPD im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen.
Niels Annen: Ja, schönen guten Morgen!
Heinemann: Herr Annen, was hat Frank-Walter Steinmeier denn bislang erreicht?
Annen: Lassen Sie mich zunächst mal sagen, ich finde die Kritik von Herrn Ferber an unserem Außenminister wirklich infam.
Heinemann: Damit haben wir gerechnet. Bitte zur Frage: Was hat Herr Steinmeier bislang erreicht?
Annen: Wir haben zumindest eine Sache klargestellt: Wir setzen auf eine friedliche Lösung. Und deswegen zielt ja die Kritik von Herrn Ferber auch letztlich darauf, dass die deutsche Außenpolitik – übrigens die Außenpolitik von Frank-Walter Steinmeier und Angela Merkel – deutlich macht, wir haben nur die Möglichkeit, über Diplomatie diesen Konflikt zu lösen. Denn die Alternative wäre ja, sich auf dieselbe Logik zu begeben wie die Russische Föderation, mit dem Einsatz von Militär zu drohen oder es sogar in Erwägung zu ziehen, Militär einzusetzen. Das kann nicht die Lösung sein. Und ich finde persönlich, wenn man in einer solchen zugespitzten Situation das Risiko auf sich nimmt, in eine Region zu fliegen, Gespräche zu führen, ohne dass vorher die Diplomaten alles geklärt haben, und man sich am Ende dann dafür beglückwünschen kann, ein Dokument zu unterschreiben, wie das übrigens viele Außenminister in Europa getan haben, dann sollte man das nicht kritisieren, sondern den Mut eigentlich loben, in einer solchen Situation wirklich auch ein politisches Risiko auf sich zu nehmen. Das ist im Kern ja auch die Aufgabe von Außenpolitik, immer wieder beharrlich auch dafür zu arbeiten, dass die Menschen an einen Tisch kommen. Und es gibt die OSZE-Mission in der Ukraine, ein Vorschlag von Frank-Walter Steinmeier. Es hat das Treffen in Genf gegeben, auch ein Vorschlag von Frank-Walter Steinmeier.
Heinemann: Herr Annen, der Bundesaußenminister hat gestern folgendes zu Protokoll gegeben: "Was die Ukraine dringend braucht ist der Aufbau neuer Legitimität und neuer Glaubwürdigkeit." Können wir uns darauf einigen, dass solche Äußerungen entbehrlich sind?
Annen: Ich weiß nicht, was daran entbehrlich ist, denn wenn man sich die Lage anschaut – aus Ihrem Korrespondentenbericht eben ist das ja auch hervorgegangen: Wir haben keine Zeit zu verlieren. Es ist ja nicht nur politisch eine zugespitzte Situation, sondern dort sind in den letzten Tagen Menschen gestorben. Damit steigt der Hass in der Ukraine aufeinander. Mit jedem Toten, den es gegeben hat, sinkt die Chance auf eine politische friedliche Beilegung der Lage. Und das, was die Ukraine in der Tat braucht, ist eine neue Legitimität. Deswegen ist diese Wahl am 25. Natürlich eine riesige Herausforderung, mit all den Problemen, mit denen es die ukrainische Regierung zu tun hat. Es ist aber vielleicht auch eine Chance für Russland, von seiner Position sich gesichtswahrend zu verabschieden und endlich – und darum geht es ja – einen legitimierten Gesprächspartner in Kiew zu akzeptieren, damit wir wirklich zu einer politischen Lösung dieses Konflikts kommen. Ich halte diese Äußerung überhaupt nicht für entbehrlich.
Heinemann: Markus Ferber hat gesagt, Steinmeier sollte der EU-Außenbeauftragten, nämlich Lady Ashton, mal Beine machen. Die leiste bestenfalls Dienst nach Vorschrift. Wäre das nicht der bessere Weg, als ständige Einzelreisen eines einzelnen Ministers in die Ukraine oder sonst wohin?
Annen: Nun, wissen Sie, dieser Teil der Kritik von Herrn Ferber, der ist nun besonders kurios, denn es war Frank-Walter Steinmeier, der mit dem Außenminister Polens und Frankreichs gemeinsam auch ein symbolisches Zeichen der europäischen Einheit gesetzt hat, und es war Frank-Walter Steinmeier, der unermüdlich vor und hinter den Kulissen dafür gearbeitet hat, dass es in Genf ein Treffen gibt. Das war seine Idee und es war auch seine Idee, Frau Ashton für die gesamte Europäische Union dort hinzuschicken. Herr Ferber weiß das übrigens auch, deswegen zielt diese Kritik nun wirklich ins Leere.
Heinemann: Ergebnis der Politik ist: Russland benimmt sich wie es will, Bruch des Völkerrechts, separatistische Aufstände werden angezettelt. Ist das auch die Quittung für eine falsche Assoziierungspolitik der Europäischen Union und des Bundesaußenministers?
Annen: Entschuldigen Sie mal! Die Verantwortung für die russische Politik und die russische Aktivität in den letzten Monaten, die kann man ja nun nicht beim deutschen Außenminister festlegen.
Heinemann: Die Frage lautete, ist das eine Folge, ist das die Quittung für eine falsche Assoziierungspolitik der EU und des Bundesaußenministers namens Frank-Walter Steinmeier.
Annen: Nein, das halte ich wirklich, wenn Sie erlauben, für eine etwas merkwürdige Frage. Die Verantwortung dafür trägt die russische Regierung. Dass ist auch bei vorherigen Bundesregierungen sicherlich Fehler gegeben hat, was die Konzeption der europäischen, gerade der östlichen Nachbarschaftspolitik angeht, das ist sicherlich richtig. Aber da besteht aus meiner Sicht kein kausaler Zusammenhang. Das wäre auch zu einfach, denn nur wenn man sich selbstkritisch äußert, heißt das ja nicht, dass damit der Bruch von Völkerrecht legitimiert werden kann. Dieser Logik kann ich nicht folgen.
Heinemann: Herr Annen, Helmut Schmidt sagt heute in der "Bild"-Zeitung – ich zitiere: "Es gibt zurzeit leider niemanden, der konstruktive Vorschläge zur Zukunft der Ukraine vorbringt." Ist das der nächste Nackenschlag für den Bundesaußenminister?
Annen: Nun, Sie werden mir nachsehen, dass ich als Sozialdemokrat und als Hamburger Abgeordneter nun sicherlich nicht Ihre Sendefrequenzen dafür nutzen werde, Helmut Schmidt, den ich sehr bewundere, zu kritisieren. Wir brauchen eine Initiative innerhalb der Ukraine für einen nationalen Dialog, und die Europäische Union kann dabei helfen und das sollte sie auch tun. Wir können am Ende nicht die Arbeit für die Ukrainer selber übernehmen. Das ist ein Prozess, der diesem Land noch bevorsteht.
Heinemann: Sie müssen Helmut Schmidt ja nicht kritisieren. Sie können ja sagen, er hat recht oder er hat Unrecht.
Annen, Niels (SPD)
Geboren 1973 in Hamburg. Der SPD-Politiker studierte unter anderem Spanisch und Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin und schloss mit einem Master an einer amerikanischen Universität ab. 1989 trat Annen in die SPD ein; noch während seines Studiums wurde er 2005 als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag gewählt und ist dort seit 2014 außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Geboren 1973 in Hamburg. Der SPD-Politiker studierte unter anderem Spanisch und Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin und schloss mit einem Master an einer amerikanischen Universität ab. 1989 trat Annen in die SPD ein; noch während seines Studiums wurde er 2005 als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag gewählt und ist dort seit 2014 außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Annen: (lacht) Ich glaube, dass wir das, was wir in den letzten Jahren nicht ausreichend getan haben, nämlich auch über unsere zivilgesellschaftlichen Instrumente diejenigen in der Ukraine unterstützen und auch ermutigen müssen, die den Weg ihres Landes nach Europa sehen, die sich auf dem Maidan auch mutig dafür eingesetzt haben. Und dass es im ukrainischen System, das dominiert ist von Oligarchen, zum Teil auch von Einzelpersonen, die über große Macht-Reservoirs verfügen, dass es dort einen riesigen Reformbedarf und auch einen Mangel an Visionen gibt, ja, das ist richtig.
Heinemann: Helmut Schmidt ist ja nicht der Einzige aus der SPD, der die Außenpolitik kritisiert. Gerhard Schröder hat das getan, unterstützt den russischen Präsidenten, fällt ihm auch gern schon mal um den Hals. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck hat gestern den russischen Eisenbahnminister zu Gast gehabt. Der Mann steht auf der Sanktionsliste der USA und der hat dann auch noch seine geballten Vorurteile gegen Homosexuelle zum Besten geben dürfen. Können Sie sich daran erinnern, dass ein amtierender Bundesaußenminister jemals in dieser Weise von eigenen Parteifreunden vorgeführt wurde?
Annen: Nun, das ist Ihre Interpretation. Ich bin der Meinung von Matthias Platzeck, dass wir gerade in einer solchen Lage jede Möglichkeit zum Gespräch nutzen sollten. Und Sie müssten dann natürlich auch noch einmal dazu sagen, dass Matthias Platzeck die inakzeptablen Äußerungen, gerade was die Homosexuellen in Russland angeht, von Herrn Jakunin eindeutig zurückgewiesen hat.
Heinemann: Wieso lädt der denn so einen Menschen ein?
Annen: Ja wenn wir in einer Krisensituation, wo wir eine diplomatische Lösung anstreben, nicht in der Lage sind, miteinander zu sprechen, dann begeben wir uns in der Tat auf das Feld derjenigen, die glauben, man könnte Politik auch kurzfristig mit den Zielen von Einschüchterung, von Containment, von militärischen Drohungen bewältigen. Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird, und ich kann deswegen diesen Widerspruch, den Sie dort konstruieren, auch nicht erkennen.
Heinemann: Sigmar Gabriel hat ja auch schon einmal laut über die Verantwortlichen der Krise nachgedacht. Auch er sagt, die Assoziierungspolitik wäre nicht glücklich gelaufen. Muss sich Steinmeier – deren Verhältnis ist ja nicht besonders – Sorgen machen?
Annen: Ich weiß nicht, worüber er sich Sorgen machen wird. Ich weiß aber, worüber er sich Sorgen macht, und das ist die Lage in der Ukraine, und dass er unermüdlich dafür kämpft und auch Vorschläge dafür unterbreitet, dass wir diese Lage dort auf eine friedliche Art und Weise lösen. Übrigens hat der Bundesaußenminister, aber auch die Bundeskanzlerin im Bundestag durchaus sich selbstkritisch geäußert zu der Art und Weise, wie die Europäische Union mit der Ukraine in den letzten Jahren umgegangen ist.
Darüber gibt es eine notwendige Debatte. Und eines muss man ja sagen: Die Assoziierung war als Alternative zur Mitgliedschaft gedacht. Das was die EU-Kommission in den letzten Jahren daraus gemacht hat, war eine de facto Beitrittsverhandlung. Dass das auf Dauer nicht gut gehen konnte, wenn man die Ukraine vor eine unmögliche Wahl zwischen Ja zu Europa und Nein zu Russland stellt, das ist, glaube ich, in den Debatten der letzten Tage hinreichend deutlich geworden.
Heinemann: Herr Annen, Sie müssen zum Zug, bei uns folgen die Nachrichten. Danke schön für das Gespräch – der SPD-Außenpolitiker Niels Annen, abermals zu hören unter Deutschlandfunk.de. Einen guten Tag Ihnen! Tschüss!
Annen: Das wünsche ich Ihnen auch. Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.