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Ukraine-Konflikt
Strikter Sparkurs führt zu sozialen Spannungen

Die Anti-Krisengesetze der neuen Regierung in Kiew machen das Leben in der Ukraine deutlich teurer. Die Sparmaßnahmen sind völlig richtig, sagen die einen. Doch bei den anderen steigen der Frust und die Hoffnung auf Hilfe von Russland.

Von Florian Kellermann |
    Straßenszene in Kiew - eine Frau geht mit Kinderwagen spazieren, ein Mann reinigt Wände
    Der Alltag in der Ukraine ist wegen der Sparmaßnahmen viel teurer geworden. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Marina ist aufgebracht. Die junge Frau aus Donezk, eine Buchhalterin, verdient umgerechnet 300 Euro im Monat, das reicht gerade so zum Leben. Und nun musste sie auch noch ihre Mutter unterstützen.
    "Meine Mutter liegt im Krankenhaus. Der Arzt dort hat ihr die Medikamente aufgeschrieben, die ich für sie kaufen soll - 100 Euro haben sie gekostet. Mir ist das viel zu viel vorgekommen, ich habe im Internet nachgeschaut: Sie waren dreimal so teuer wie in anderen Ländern."
    Dafür macht sie die neue Regierung in Kiew - und ihre Anti-Krisengesetze verantwortlich. Tatsächlich werden importierte Arzneimittel seit dem 1. April mit sieben Prozent zusätzlich besteuert. Hinzu kommt, dass die ukrainische Währung Hrywnja in den vergangenen Wochen drastisch an Wert verlor.
    Die Gesetze sehen außerdem eine Steuer auf den Verbrauch von Rohstoffen und den Handel mit Devisen vor. Seit 1. Mai müssen die Haushalte auch noch 50 Prozent mehr für Gas bezahlen, das viele zum Kochen und Heizen verwenden. Gleichzeitig sinken die Sozialausgaben, so bekommen junge Familien weniger Krippengeld. Eine Rosskur für den Staats-Haushalt nennen das Experten, wie die Wirtschaftsjournalistin Daria Martschak.
    "Der alte Haushalt war geschönt, er hat das Defizit viel zu niedrig angegeben. Das hat die neue Regierung verbessert und das Haushaltsloch insgesamt deutlich gesenkt. Sie musste verhindern, dass die Staatsverschuldung noch schneller wächst. Sie wird Ende des Jahres schon bei 55 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen."
    Das ist zwar noch deutlich weniger als etwa in Deutschland, doch die Schulden sind in den vergangenen Monaten stark angestiegen. Der Internationale Währungsfonds hat deshalb die drastischen Spargesetze zur Auflage gemacht, bevor er am Mittwoch eine Kreditlinie bewilligte. 17 Milliarden US-Dollar, umgerechnet 12,3 Milliarden Euro, soll die Ukraine in den kommenden beiden Jahren erhalten. Ein Großteil der Mittel fließt direkt in den Haushalt.
    Große Risiken für Unternehmer
    Die Entscheidung des IWF wird dazu führen, dass auch andere Geldgeber der Ukraine unter die Arme greifen: Die Europäische Union hat dem Nachbarland für die kommenden Jahre weitere drei Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt in Aussicht gestellt, noch mehr wird von den europäischen Förderbanken kommen.
    Ein hohes Risiko seien die Kredite, heißt es beim IWF. Denn die Ukraine hat unter Wirtschaftsexperten einen miserablen Ruf, die Angst ist groß, dass die Mittel falsch verwendet werden, etwa durch Korruption. So ist bis heute der Verbleib von drei Milliarden US-Dollar ungeklärt, die der Ex-Präsident Viktor Janukowitsch im Dezember aus Russland erhielt. Doch die neue Regierung wolle es besser machen, sagt Daria Martschak.
    "Sie hat ein Gesetz durch das Parlament gebracht, dass die Korruption bei staatlichen Ausschreibungen erschwert. Organisationen wie Transparency International haben geschätzt, dass hier bisher bis zu 50 Prozent der Ausgaben als Schmiergelder geflossen sind. Weitere Gesetze sollen Vorschriften vereinfachen oder abschaffen, etwa beim Getreideexport, auch dadurch wird die Korruption zurückgehen. Das ist zwar alles noch lange nicht genug, aber wenn der politische Wille erhalten bleibt, können wir wirkliche Fortschritte machen.
    Andere Risiken für den ukrainischen Haushalt - und damit für die Rückzahlung der Milliarden-Kredite - sind schwerer zu kalkulieren. Das gilt vor allem für die politische Entwicklung. Solange die Gefahr besteht, dass sich das Land spaltet oder gar in einen bewaffneten Konflikt mit Russland gerät, wird kaum ein Unternehmer investieren. Ganz zu schweigen von Investitionen aus dem Ausland.
    Die vom IWF erzwungenen Anti-Krisengesetze stoßen deshalb bei vielen Beobachtern auf Kritik. Sie entlasten zwar den Haushalt, gleichzeitig führen sie aber zu sozialen Spannungen. Der Protest der Menschen in der Ostukraine, die mit der neuen Regierung nicht einverstanden sind, könnte so noch zunehmen - und das Land weiter destabilisieren.