Der Vize-Präsident der deutsch-russischen Parlamentariergruppe räumte ein, angesichts der vielen Widersprüche sei eine Lösung schwierig. Russland habe die Entwicklung in der Ost-Ukraine vorangetrieben. An die russischen Separatisten heranzukommen, sei schwierig.
Für die ukrainische Seite müsse Petro Poroschenko eine Dezentralisierung der politischen Macht schnell umsetzen. Dafür sei eine umfassende Verfassungsreform notwendig.
Das Interview mit Jürgen Trittin in voller Länge:
Christiane Kaess: Gestern ist zu dem komplizierten Konflikt in der Ostukraine ein weiteres verwirrendes Bild hinzugekommen. Der russische Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko schütteln sich im weißrussischen Minsk die Hände. Gleichzeitig aber eskaliert die Situation im Osten der Ukraine. Russische Soldaten wurden dort von der ukrainischen Armee festgenommen. Von denen behauptete Moskau dann später, sie hätten aus Versehen die Grenze überquert. Dann in der Nacht nach einem direkten Treffen zwischen den Präsidenten Putin und Poroschenko die Aussage des ukrainischen Präsidenten, alle Seiten, auch der russische Präsident Putin unterstütze seinen Friedensplan.
Mitgehört hat Jürgen Trittin von den Grünen. Er ist im Bundestag Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und Mitglied der deutsch-russischen Parlamentariergruppe. Guten Morgen!
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Herr Trittin, hat dieses Treffen in Minsk etwas gebracht?
Trittin: Erst mal ist es gut und richtig, dass Beteiligte dieses Konfliktes, der ja mitten in Europa in kriegerischer Form - mittlerweile über 2000 Tote - ausgetragen wird, miteinander gesprochen haben. Aber es verläuft eben auch nach dem Muster, was wir aus vorherigen Vermittlungsversuchen kennen: Beide Seiten bekennen sich zum Ziel einer politischen Lösung, beide Seiten erklären, sie seien dafür, dass alle strittigen Fragen nicht mit Gewalt gelöst werden, aber am Boden gehen die Kämpfe weiter. Und das hat damit zu tun, dass beide, sowohl Poroschenko wie Putin, in der Legitimation nachhause sich sehr stark darüber legitimieren, dass sie auch gewaltsam beziehungsweise mit aggressiven Mitteln vorgehen.
Kaess: Herr Trittin, wir halten fest: Ihre Interpretation ist auch an diesem Morgen, die bisherigen Forderungen sind in Minsk eigentlich nur unterstrichen worden, aber echte Fortschritte gibt es nicht.
Trittin: Wir können das abschließend von hier nicht sagen. Ich sage nur, es ist genau dieser Mechanismus. Das was Not tut in diesem Konflikt ist, dass tatsächlich beide Seiten sagen, wir machen jetzt einen Waffenstillstand, und die Forderungen, die wir gemeinsam – das gilt für die ukrainische Seite, aber noch stärker für die russische Seite – immer als Voraussetzung benannt haben, diese Forderungen realisieren wir im Rahmen eines Waffenstillstands, sie sind nicht Voraussetzung dafür, dass die Waffen schweigen. Das wäre auf der einen Seite natürlich ein Ende der Unterstützung, und da liegt die Verantwortung Russlands. Die beliefern das Hinterland, sie beliefern die Rückzugsräume, sie liefern nach aller Erkenntnis, die wir haben, auch die Waffen an die ostukrainischen genannten Aufständischen, die Separatisten. Ohne die, ohne Russland könnten die so nicht agieren. Putin hat Einfluss, Putin hat Verantwortung und auf der anderen Seite muss auch die Ukraine sich von der Vorstellung endgültig verabschieden, dass dieser Konflikt am Ende militärisch zu lösen ist. Das ist er nicht. Er kann nur mit einem politischen Kompromiss auch in Richtung der dort Aufständischen gelöst werden.
Kaess: Bevor wir das noch ein bisschen mehr vertiefen, lassen Sie uns noch mal auf das Treffen gucken und versuchen, das ein bisschen mehr zu interpretieren. Poroschenko spricht jetzt von einem Friedensplan, dem alle Seiten zugestimmt hätten, und Putin sagt aber, Moskau sei gar nicht der Ansprechpartner, das seien nämlich die prorussischen Separatisten. Würden Sie das als neues Ablenkungsmanöver aus Moskau sehen?
Trittin: Das ist die Aufforderung Russlands, tatsächlich auch auf die Separatisten zuzugehen, und Moskau entzieht sich mit dieser Äußerung der eigenen Verantwortung, was die Unterstützung dieser Kräfte angeht. Dass es das Bemühen der ukrainischen Seite öfter gegeben hat, auf diese Aufständischen zuzugehen, kann man nicht ernsthaft leugnen. Auf der anderen Seite ist es in der Tat so, dass die häufig nicht bereit sind zu sprechen, solange sie von Kräften in Russland und aus dem russischen Staat heraus darin ermuntert werden, den Preis für eine solche politische Lösung weiter hochzuschrauben.
Kaess: Und man fragt sich, Herr Trittin, natürlich auch, wie das zusammenpasst, wie ich gerade schon in der Anmoderation gesagt habe: auf der einen Seite dieser Handschlag der beiden Präsidenten und gleichzeitig eskaliert die Situation im Osten der Ukraine. Wir haben es auch gehört gerade im Bericht: Russische Soldaten sind dort festgenommen worden von der ukrainischen Armee. Wie passt das zusammen?
Trittin: Das ist ja einer der Widersprüche dieser gesamten Entwicklung. Während auf der einen Seite, auf der Ebene der Gespräche zwischen den Staatschefs, auf der Ebene der Gespräche mit der deutschen Bundeskanzlerin und von allen Seiten betont wird, man wolle eine politische Lösung, gibt es nach wie vor Kräfte vor Ort, die auf eine gewaltsame Lösung setzen. Das hat damit zu tun, dass auf der einen Seite Russland die Legitimation seiner Führung über die Eskalation der Krise in der Ukraine an einen Punkt getrieben hat, von dem sie nur jetzt sehr, sehr schwer zurückkehren. Und umgekehrt hat natürlich die ständige Provokation mit bewaffneten Kräften im eigenen Lande in der Ukraine eine Stimmung erzeugt, die friedliche und politische Lösungen auch für Poroschenko schwieriger machen. Er hatte es ja versucht mit einer zehntägigen einseitigen Waffenruhe. Daran haben sich die Separatisten nicht gehalten und seitdem ist es für ihn sehr, sehr schwer, im eigenen Parlament, in der eigenen Regierung tatsächlich solche Schritte umzusetzen.
Kaess: Würden Sie sagen, Herr Trittin, letztendlich setzt Russland doch auf eine militärische Lösung, obwohl es anderes behauptet?
Trittin: Ich glaube nicht, dass Russland auf eine militärische Lösung setzt. Ich glaube übrigens auch nicht, dass am Ende die Ukraine auf eine militärische Lösung setzt. Beide „spielen" damit, setzen darauf, durch den Einsatz des Militärs den Preis für eine solche politische Lösung in die Höhe zu treiben, und das birgt für ganz Europa massive Eskalationsgefahren. Und deswegen ist es richtig, dass die Europäische Union – Catherine Ashton war ja gestern mit dabei in den Gesprächen in Minsk – so darauf drängt, dass es zu einer solchen politischen Lösung kommt und dass beide Seiten ihre Vorbedingungen für einen Waffenstillstand so weit zurückstellen, dass es zunächst einmal zu einem Waffenstillstand kommt.
Kaess: Putin hat auch gesagt, die Krise in der Ukraine könne nur gelöst werden, wenn die Interessen der südöstlichen Regionen des Landes berücksichtigt werden, und Angela Merkel hat bei ihrem Besuch in Kiew vor wenigen Tagen gesagt, „die Ukraine bestehe aus sehr unterschiedlichen Regionen und es sei deshalb fundamental wichtig, allen Regionen und ihren ganz eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden." Das könnte man jetzt auch so übersetzen: Kiew muss sich mehr den Interessen der russischsprachigen Ukrainer im Süden und im Osten annehmen. Zeichnet sich, Herr Trittin, hier eine Annäherung zwischen russischer und deutscher beziehungsweise auch eventuell europäischer Außenpolitik ab?
Trittin: Es ist wahr, dass in der Ukraine, wenn man dauerhaft demokratisch dieses Land regieren will, es zu einer Dezentralisierung und einer Regionalisierung der politischen Macht kommen muss. Das wird kein Föderalismus nach deutschem System sein, schlicht und ergreifend, weil die Länder anders verfasst sind. Aber es gibt eben nicht nur Minderheiten im Osten der Ukraine, es gibt sie auch im Westen, und insofern steht eine umfassende Verfassungsreform in der Ukraine auf der Tagesordnung. Das ist übrigens etwas, wofür sich Poroschenko selber immer stark gemacht hat. Ich glaube aber auch, dass diese Veränderungsänderung und die Dezentralisierung politischer Macht natürlich am Ende nur geht, wenn sie verbunden ist mit Wahlen, und ehrlich gesagt: Man kann nur wählen, wenn die Waffen schweigen.
Kaess: Und wie soll es jetzt weitergehen?
Trittin: Ich glaube, dass alle Kräfte alles dafür tun müssen, das was in Minsk angekündigt wurde mit ihren jeweiligen Partnern und in ihren Verantwortungsbereichen vor Ort auch tatsächlich umzusetzen, und es muss von Seiten Putins, es muss auch von Seiten Poroschenkos klar gesagt werden, wir wollen jetzt auf einen Waffenstillstand zugehen. Sonst ist das Gerede um einen Friedensplan nichts weiter als eine neue Umdrehung bei dem Weg in neue Auseinandersetzungen.
Kaess: Die Meinung von Jürgen Trittin von den Grünen. Er ist im Bundestag Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und Mitglied der deutsch-russischen Parlamentariergruppe. Danke für das Gespräch heute Morgen.
Trittin: Ich danke Ihnen, Frau Kaess.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.