Ermittler des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte berichten aus dem Osten der Ukraine von "gezielten Tötungen, Folter und Misshandlungen, Entführungen, Einschüchterung und einigen Fällen von sexuellen Übergriffen". Die 34-köpfige Untersuchungskommission macht für die Gewalt vor allem "gut organisierte und gut ausgerüstete Anti-Regierungs-Gruppen" verantwortlich. Die Milizen wollten meist einen Anschluss an Russland erreichen. Zuvor hatte schon die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) schwere Menschenrechtsverletzungen prorussischer Aktivisten kritisiert. Über die aktuelle Lage berichtet unsere Korrespondentin Sabine Adler.
Erste Flüchtlingswelle auf der Krim
Mehr als 7.200 Bewohner der von Russland annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim seien bereits in andere Teile der Ukraine geflohen, erklärte die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, in Genf. Sorge bereite der Expertenkommission vor allem die Lage der Krimtataren. Diese Minderheit beklagt demnach Repressionen durch die neuen russischen Machthaber. Auf der Krim herrsche eine "Atmosphäre der Einschüchterung", Grundrechte nichtrussischer Bürger seien bedroht, stellt auch die OSZE fest. Die Krimtataren, die an diesen Sonntag an den 70. Jahrestag der Deportation durch Sowjetdiktator Josef Stalin erinnern wollen, sehen sich zunehmend Druck von Behörden ausgesetzt. Die Krimtataren waren erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 1990-er Jahren wieder in ihre Heimat zurückgekehrt.
Das UNO-Hochkommissariat hob die immer weiter um sich greifenden Entführungen hervor. Journalisten, Aktivisten, Lokalpolitiker, Mitarbeiter internationaler Organisationen und Angehörige der ukrainischen Armee seien betroffen. Die Leichen vieler Verschleppter seien in Flüsse geworfen worden. Die Entführungen häuften sich rund um die Stadt Slowjansk, wo sogenannte Selbstverteidigungseinheiten operierten. In dem UNO-Bericht werden auch ukrainischen Sicherheitskräften schwere Vorwürfe gemacht. So seien Anschuldigungen bekanntgeworden, nach denen sie für Tötungen und Entführungen verantwortlich seien.
Russland kritisiert UNO-Bericht
Der UNO-Bericht erfasst nur den Zeitraum vom 2. April bis zum 6. Mai. Russland wies ihn als "nicht objektiv" zurück. Er sei politisch gefärbt und lasse die für die UNO übliche Neutralität vermissen, kritisierte ein Sprecher des russischen Außenministeriums. "Das Papier hat wenig mit der wirklichen Lage der Dinge auf dem Gebiet der Menschenrechte in der Ukraine gemein." Allerdings listet das Papier auch Versäumnisse ukrainischer Behörden auf und fordert die Regierung in Kiew zur Einhaltung internationaler Standards auf.
Bürgerwehren in der Ost-Ukraine
In der ostukrainischen Stadt Mariupol ist nach blutigen Unruhen und Wochen der Anarchie vorerst wieder Ruhe eingekehrt. Verantwortlich für die Deeskalation war der mächtige Oligarch Rinat Achmetow, der mit allen Parteien ein Abkommen ausgehandelt hatte: Auf Achmetows Wunsch waren Mitarbeiter seiner beiden örtlichen Stahlwerke gemeinsam mit der Polizei auf Patrouille gegangen, um für Sicherheit zu sorgen. Der Maßnahme und der Räumung der besetzten Gebäude durch Separatisten hatten zuvor Polizei, Politiker und auch ein Vertreter der Donezker Volksrepublik zugestimmt, die sich am Montag für unabhängig erklärt hatte.
Der OSZE-Vermittler Wolfgang Ischinger hat Kritik an der Zusammensetzung des Runden Tisches in der Ukraine vehement zurückgewiesen. "Es nahmen auch Vertreter, Bürgermeister und Parlamentsabgeordnete aus dem Osten des Landes teil - darunter etwa auch der Bürgermeister von Donezk", sagte Ischinger der Nachrichtenagentur Reuters. Dabei handelt es sich um den von prorussischen Separatisten für abgesetzt erklärten Bürgermeister. Einige andere Eingeladene hätten sich offenbar nicht getraut anzureisen, sagte Ischinger. Auch Russland sei eingeladen gewesen. "Deshalb ist die Behauptung absurd, dass der Osten nicht vertreten war. Er war vertreten, und es wurde auch kontrovers debattiert", sagte der Co-Vorsitzende der Gesprächsrunde.
Neuer Runder Tisch
In Kiew beriet Übergangsregierungschef Arsenij Jazenjuk mit dem deutschen Diplomaten Wolfgang Ischinger über die Lage. Beide hätten sich dafür ausgesprochen, dass ein neuer Runder Tisch zur Verständigung an diesem Wochenende stattfinden solle, hieß es. Die Gespräche sollen im Osten des Landes fortgesetzt werden. Der frühere Präsident Leonid Krawtschuk kündigte an, man wolle in Donezk oder Charkow zusammenkommen. Am Mittwoch war ein erstes Treffen ergebnislos vertagt worden. Die prorussischen Separatisten waren nicht eingeladen.
Im Osten des Landes lieferten sich Regierungskräfte und Separatisten neue Gefechte. Bei Kramatorsk hätten die Sicherheitskräfte mehrere Kämpfer gefangen genommen, teilte das Verteidigungsministerium mit. Die "Anti-Terror-Operation" befinde sich in der "Schlussphase". Ein Berater des Ministeriums bestätigte, dass die Armee auch Soldaten mit Irak-Erfahrung einsetze.
(sdö/bor)