Jasper Barenberg: Die Forderung aus Kiew ist laut und sie ist deutlich. Kriegsschiffe der NATO sollen die Ukraine schützen, dort in den Gewässern nahe der Krim, wo die russische Küstenwache ukrainische Militärboote gerammt, beschossen und beschlagnahmt hat. Die Allianz allerdings hat schon abgewunken. Und doch muss Europa nach diesem jüngsten Zwischenfall im Krieg zwischen Russland und der Ukraine ja Position beziehen.
Eine weitere Runde an Wirtschaftssanktionen ist derzeit offenbar auf europäischer Ebene keine Option. Unversehens aber rückt jetzt ein anderes Projekt wieder stärker in den Blick: die geplante Erweiterung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die Gas aus Russland nach Deutschland pumpt. Die Ukraine fordert, den Bau zu stoppen. Das allerdings lehnt die Bundesregierung ab. In der Koalition aber und auch durchaus im EU-Parlament war das Projekt von Anfang an umstritten und bleibt es.
Am Telefon ist der CDU-Politiker Michael Gahler. Im Europäischen Parlament ist er unter anderem der ständige Berichterstatter für die Ukraine. Schönen guten Morgen, Herr Gahler.
Michael Gahler: Ja! Guten Morgen, Herr Barenberg.
"Putin bricht ständig das Völkerrecht"
Barenberg: Wir haben ein paar Argumente gegen Nord Stream gehört. Schließen Sie sich an? Sollte diese Erweiterung begraben werden, beerdigt werden dieses Projekt?
Gahler: Ich befinde mich da mit der Mehrheit des Europäischen Parlaments auf der Linie, dass dieses Projekt von der Bundesregierung oder von uns insgesamt nicht weiter unterstützt werden sollte. Das ist Beschlusslage des Europäischen Parlaments schon mindestens seit 2016. Wir haben dort das ganz deutlich auch formuliert. Ich finde, wir müssen in der gegenwärtigen Lage sehen, dass wir die Kosten für Herrn Putin für seine Politik erhöhen. Er bricht ständig das Völkerrecht, er ist da Wiederholungstäter.
Es geht nicht nur um die drei Schiffe, die jetzt festgesetzt worden sind, und die Mannschaften, die freizulassen sind. Es sind derzeit etwa 35 Schiffe auf dem Weg von und nach Berdjansk und Mariupol - das sind die beiden Häfen in der Ukraine - blockiert, obwohl es sowohl ein Völkerrecht auf freie Durchfahrt gibt und sogar seit 2003 einen Vertrag zwischen beiden Ländern, die für die Asowsche See, für das Asowsche Meer freie Fahrt für beide garantieren.
"Wir sind immer dialogbereit"
Barenberg: Sie haben den früheren Außenminister, Sie haben Sigmar Gabriel gehört im Beitrag mit dem Argument, es wäre politisch unklug, Russland derart in die Ecke zu drängen. Warum zählt dieses Argument für Sie nicht?
Gahler: Es zählt deswegen für mich nicht, weil wir ja bisher bereits asymmetrisch reagieren in dem Sinne gegenüber Russland, als Russland militärisch vorgeht seit 2014. Wir haben über 10.000 Tote. Wir haben anderthalb Millionen ukrainische Binnenflüchtlinge, die aufgrund dieser russischen Aggression nicht auf der Krim, nicht in Donetsk und nicht in Luhansk, den besetzten Gebieten leben. Das ist die Lage und wir reagieren damit zivil, wir haben eine zivile Reaktion auf eine militärische Aggression, und das ist aus meiner Sicht ein Tatbestand, den wir auch sehen müssen. Insofern sind wir immer dialogbereit.
Ich halte es für richtig, bei jeder Gelegenheit mit Herrn Putin zu reden. Von daher bedauere ich auch, dass Herr Trump das Gespräch abgesagt hat. Tweets ersetzen keinen Dialog. Aber wir sollten uns klar machen: Unsere Sicherheit, die wird nicht nur, aber auch in der Ukraine verteidigt. Da kann man Donbass, Asowsches Meer, Salisbury, Hacker-Angriff auf den Bundestag, US-Wahlkampf-Einmischung, Finanzierung des Front National benennen. Russland ist umfänglich unfreundlich gegen uns unterwegs und da sollten wir auch einen Punkt setzen, der auch die Kosten, wie ich bereits sagte, für seine Politik erhöht.
"Putin hat versucht auszutesten, wie wir reagieren"
Barenberg: Wenn Sie sagen, wir müssen die Kosten für Putin erhöhen, dann unterstellt das ja und setzt voraus, dass für Sie feststeht, dass für diesen Zwischenfall ausschließlich Wladimir Putin verantwortlich ist, dass es eine kalkulierte Provokation des Kreml ist. Sehen Sie das so?
Gahler: Ich finde, wir sollten auf der einen Seite zunächst mal auch die Funksprüche auswerten, die von beiden Seiten dort abgesetzt worden sind. Da hat die Bundeskanzlerin einen richtigen Vorschlag gemacht, das von der OSZE auswerten zu lassen. Nur ich sehe das Ergebnis! Ich sehe das Ergebnis, dass Russland die freie Durchfahrt unter der Brücke von Kertsch blockiert hat. Wir konnten alle das Schiff sehen, was da quergelegen hat und dass die Ukrainer festgesetzt worden sind, trotz des Rechts auf freie Durchfahrt. Und es war auch keine Provokation. Es ist vorher von der Ukraine notifiziert worden, dass sie dort durchfahren. Das haben sie auch schon früher getan und diesmal hat Herr Putin versucht auszutesten, wie auch wir reagieren, ob wir nur verbal reagieren, oder ob auch danach noch mehr folgt.
Barenberg: Es gibt ja durchaus Beobachter, die handfeste Hinweise dafür sehen, dass der ukrainische Präsident, dass Poroschenko selbst an diesem Zwischenfall interessiert war oder ihn selbst mit provoziert hat, weil ihm beispielsweise im nächsten Jahr die Abwahl in der Ukraine drohen könnte und ihm nichts Besseres passieren könnte, als dass ihm jetzt erst mal das Kriegsrecht helfen kann, über die Runden zu kommen.
Gahler: Wenn das seine Absicht gewesen sein sollte - das weiß ich nicht -, dann hat jedenfalls sein eigenes Parlament ihn insofern eingehegt, als wir ja feststellen, dass das Kriegsrecht zum einen nicht 60, sondern 30 Tage verhängt ist. Auch nicht im ganzen Land, sondern nur in den an Russland angrenzenden Regionen, und auch nur dann im Hinblick auf die Einschränkung von Bürgerrechten relevant würde, wenn Russland tatsächlich einen Angriff auf das ukrainische Kernland startet. Von daher, denke ich, hat das ukrainische Parlament sehr weise und moderierend auf diese Situation reagiert.
Nord Stream 2 ist "ein rein politisches Projekt"
Barenberg: Wenn wir noch mal zurückkommen auf Nord Stream 2 und welche Rolle dieses Projekt jetzt spielen könnte in einer Art Reaktion auf den Zwischenfall. Die Befürworter argumentieren ja die ganze Zeit, dass das Projekt gar nicht einen strategischen Vorteil für Russland bietet, sondern dass es im Gegenteil den Wettbewerb in Europa fördert, die Preise für die Verbraucher sinken lässt und die Versorgungssicherheit erhöht. Es wird bezweifelt, dass es diese strategische Bedeutung hat für Russland.
Gahler: Das Projekt ist ein rein politisches Projekt. Ökonomisch betrachtet würde es nicht stattfinden. Zum einen ist Nord Stream 1, die bereits funktionierende Pipeline, gar nicht durchgängig voll ausgelastet. Zum anderen funktioniert der Transit durch die Ukraine. Ich befürchte, solange Herr Putin auch von dem Transit durch die Ukraine ein Stück weit abhängig ist, vermeidet er auch wirklich die große Aggression. Nur in dem Augenblick, wo das weg ist, will ich gar nicht weiter spekulieren, was dann auch möglich werden könnte. Und es wäre das gleiche russische Gas, ob es jetzt durch die Ukraine fließt oder durch die Ostsee. Es wird dadurch nicht unbedingt mehr.
Barenberg: Wenn Sie sagen, das ist ein rein politisches Projekt, dann verwundert das ja insofern, als die Bundesregierung bisher immer argumentiert, es sei ein rein wirtschaftliches Projekt, und erst in letzter Zeit zugegeben hat, dass da schon politische Aspekte eine Rolle spielen, der große Widerstand in Polen und im Baltikum. Ist das vor allem auch ein Zeichen der politischen Solidarität, das jetzt dringend nötig ist innerhalb Europas?
Gahler: Ich bin der Auffassung, dass uns im Zweifel jeder Mitgliedsstaat näher sein sollte politisch als jeder Drittstaat, und in dem vorliegenden Fall ist das aus meiner Sicht auch ein Punkt, der zu berücksichtigen ist. Ich glaube, ein Privatunternehmen hätte dieses Projekt in dieser Form so nicht durchgeführt. Das geht nur, wenn es das russische Staatsunternehmen Gazprom ist, was politisch gelenkt wird.
Russland muss Schiffe und Mannschaften freigeben
Barenberg: Beim G20-Gipfel trifft Angela Merkel Donald Trump. Sie wird Wladimir Putin treffen. Ist das eine gute Zeit für eine Initiative in der Richtung, die Sie sich vorstellen, ein klares Signal an Moskau, dass man dieses Projekt nicht weiter unterstützen soll?
Gahler: Man sollte zumindest diese Möglichkeit in den Raum stellen. Wie gesagt, es liegt auch an Putin, ob die Kosten für seine Politik für ihn erhöht werden. Ich meine, zunächst mal sind die kurzfristigen Forderungen natürlich, die Mannschaften freizulassen und auch die Schiffe wieder zurückzugeben, und natürlich auch die freie Durchfahrt durch die Straße von Kertsch zu garantieren. Das ist allgemeines Seevölkerrecht und es ist speziell, wie ich bereits sagte, ukrainisch-russisch 2003 vereinbart worden. Das wären die Mindestschritte, die Russland zur Vertrauensbildung einleiten sollte. Ansonsten wie gesagt: Die Kosten müssen erhöht werden für seine Politik.
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