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Russischer Exil-Journalismus
"Zum Glück kann ich in Deutschland weitermachen"

Echo Moskwy gehörte zu den bekanntesten kremlkritischen Medien Russlands. Doch nach dem Krieg gegen die Ukraine wurde der Radiosender geschlossen. Maksim Kurnikow setzt deshalb von Berlin aus seine Arbeit fort. Wie gut Putins Propaganda funktioniert, hat der frühere stellvertretende Chefredakteur erst dort wirklich begriffen.

Von Gesine Dornblüth |
Maksim Kurnikow steht in einem TV-Studio neben einer Frau
In Deutschland arbeitet Maksim Kurnikow (l.) bei einem russischsprachigen Telegram-Kanal der „Bild“-Zeitung mit (Screenshot Youtube/Bild TV)
Maksim Kurnikow arbeitet unermüdlich weiter. Gerade hat er wieder einen Live-Podcast veröffentlicht, bei Youtube. „Schivoj gvozd", „Lebendiger Nagel“, heißt der Kanal, was man auf Deutsch vielleicht als „Stachel im Fleisch“ bezeichnen kann. Die Mitarbeiter von Echo Moskwy streamen dort weiterhin ihre Sendungen, und Kurnikow beantwortet Fragen. Eine Nutzerin möchte wissen, in welchem Land er gern leben würde. „In einem Land, das die bestmöglichen Beziehungen zu anderen Ländern pflegt und mit dessen Pass man visafrei durch die Welt reisen kann“, antwortet Kurnikow.

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Derzeit wohnt Kurnikow in Berlin. Rund 15 Jahre hat er für den Radiosender „Echo Moskwy“ in Moskau gearbeitet, zuletzt als stellvertretender Chefredakteur. Der Sender ist bekannt dafür, dass er auch Kremlkritiker zu Wort kommen lässt. „Wenn es darum geht, ob wir etwas versäumt haben, denke ich nur an eines: Wir haben die russische Propaganda nicht ernst genommen. Wir haben darüber gelacht, wie dumm sie gemacht ist. Dass man sie mit zwei Klicks bei Google als Lüge entlarven kann. Wir dachten, niemand glaubt ihr. Das war unser Fehler. Bei Echo Moskwy haben wir die Wahrheit gesagt. Ich musste mich nicht einmal verbiegen. Deshalb wurden wir ja auch verboten. Mehr hätten wir nicht tun können.“

"Die Propaganda ist viel stärker, als wir dachten"

Scham spürt er trotzdem. Scham, aus einem Land zu kommen, das einen blutigen Angriffskrieg führt. Neulich im Zug zum Beispiel. Da saß er neben einem alten Ehepaar, das aus der Ukraine geflüchtet war. Eine Jugendliche sprach ihn auf Englisch an, fragte, ob er auch aus der Ukraine sei. „Ich habe gesagt: ‚Nicht ganz. Ich bin aus Russland.‘ Sie hat mich so hasserfüllt angeguckt, dass ich gleich erst einmal erklärt habe, dass ich zwar aus Russland bin, aber den Krieg nicht unterstütze. Dass ich selbst in gewisser Weise Opfer bin. Dass ich Schuldgefühle habe und mich schäme.“
Dann bat ihn auch noch die alte Ukrainerin, ihr das Smartphone einzurichten, das sie von Flüchtlingshelfern bekommen hatte. „Und dann fragte auch sie mich: ‚Sind Sie auch aus der Ukraine?‘ Um Zeit zu schinden, habe ich erst einmal zurückgefragt, woher sie kommt. ‚Aus Charkiw.‘ Dort liefen zu dem Zeitpunkt besonders erbitterte Kämpfe. Ich habe auch ihr gesagt, dass ich zwar aus Russland bin, aber nicht für den Krieg. Und da hat sie gesagt: ‚Wie? Warum denn nicht? Putin macht alles richtig. Er befreit die Ukraine von Nazis.‘ In dem Moment wurde mir klar, wie sehr sich die russische Propaganda in ihr Gehirn gefressen hat, dass sie ihr glaubt, obwohl dort russische Bomben auf ihr Haus fliegen. Und da wurde mir klar: Diese Frau besaß kein Smartphone. Sie war nie auf Youtube. Sie sah nur russisches Fernsehen. Das war ihr Fenster in die Welt. In dem Moment habe ich begriffen, dass die Propaganda viel stärker ist, als wir dachten.“

Publikum in Russland, aber auch weit darüber hinaus

In Deutschland ist Kurnikow mit dem Axel-Springer-Verlag in Kontakt. Er hilft bei einem russischsprachigen Telegram-Kanal der „Bild“-Zeitung. Telegram ist in Russland weiter abrufbar, ebenso wie Youtube, zumindest über VPNs, also über Netzwerke, die vorgaukeln, dass die Seiten von außerhalb Russlands aufgerufen werden. Kurnikow macht das unbezahlt, denn er ist, wie viele Menschen, die Russland schnell verlassen mussten, mit einem Touristenvisum eingereist und hat bisher keine Arbeitserlaubnis.

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Parallel sucht er in Deutschland nach Kooperationen mit Radios. Und er will seine Aktivitäten bei Youtube ausbauen. Sein Publikum sieht er in Russland, aber auch weit darüber hinaus. „In den ehemaligen Staaten der Sowjetunion gibt es noch zig Millionen Menschen, die Russisch sprechen, Russisch denken und Fernsehen und andere Medien aus Russland konsumieren. Das ist eine riesige Zielgruppe, und die sollten wir mit qualitativ hochwertigem Journalismus bedienen.“
Viele seiner Kollegen glaubten, mit Journalismus erreiche man die Menschen nicht mehr. „Ich war selbst kurz davor, den Journalismus hinzuwerfen und Aktivist zu werden. Aber zum Glück kann ich hier in Deutschland in meinem Beruf weitermachen, muss keine Gegenpropaganda machen, sondern kann versuchen, ein klassisches, professionelles Medium aufzubauen, mit einem ausgewogenen Journalismus. Wobei der, wenn ein Land ein anderes überfällt, zum Teil obsolet ist, aber zu bestimmten Fragen gibt es immer mehrere Meinungen: Ob Sanktionen nötig sind oder nicht. Ob man aus Russland Öl und Gas beziehen soll oder nicht. Solange es möglich ist, möchte ich Journalismus machen.“