
In der Ukraine haben sich 18 staatliche Labore auf die Identifizierung von Kriegsopfern spezialisiert. Sie untersuchen die Überreste von Soldaten auf DNA-Spuren, auch auf dem Schlachtfeld zurückgelassene Gegenstände werden unter die Lupe genommen. So wollen sie herausfinden, wer die Verstorbenen waren.
Die Zahl der in den Laboren tätigen Genetiker ist in den vergangenen drei Jahren deutlich angewachsen, berichtet Ruslan Abbasow, stellvertretender Direktor des wissenschaftlichen forensischen Dienstes in der Ukraine. 440 Genetiker beschäftige der Dienst inzwischen. Allein im vergangenen halben Jahr habe man weitere 150 Planstellen genehmigt bekommen, die noch nicht alle besetzt seien, so Abbasow.
Mehr als 120.000 Genanalysen seit Kriegsbeginn
Die Labore suchen nach Biologen und Medizinern. Geeignete Kandidaten erhalten eine spezielle Fortbildung in molekular-genetischen Analysen. Nach bestandener Prüfung können sie in den Laboren anfangen.
Mehr als 120.000 Genanalysen, die mit dem Krieg zusammenhängen, haben die Experten vom forensischen Dienst inzwischen durchgeführt. Das heißt aber nicht, dass die staatlichen Labore auch so viele Soldaten untersucht hätten, erklärt Ruslan Abbasow.
„In der Regel bekommen wir Leichenteile und wissen erst einmal nicht, zu wie viel Gefallenen sie gehören“, sagt er. „Wenn in einer Verpackung 30 Teile sind, müssen wir sie deshalb alle untersuchen. Wir haben schon Verpackungen bekommen, in denen angeblich nur eine Leiche lag, die aber drei Beine enthalten haben.“ Deshalb müsse man alle Fragmente untersuchen. Mehr als 20.000 DNA-Profile von Gefallenen haben die Genetiker so inzwischen erstellt.
Russen übergeben Überreste an die Ukraine
Die Überreste der Verstorbenen erhalten die Ukrainer zum einen von den Russen. Dafür gibt es formelle und informelle Kontakte. Zum anderen sind ukrainische Suchtrupps auf ehemaligen Schlachtfeldern unterwegs und sammeln Leichenteile ein.
In den sterilen Laborräumen untersuchen die Experten dann Blut, Muskelfasern oder Knochen auf DNA-Spuren. Aber auch persönlichen Gegenstände von mutmaßlich Verstorbenen werden analysiert. Auch sie können Genmaterial enthalten.
„Ich bin Biologe, ich habe keine Angst vor dieser Art von Arbeit“
„Die Arbeit ist schwer, weil die Leichenteile teilweise schon am Verwesen sind“, sagt Ilja, Mitarbeiter am wissenschaftlichen forensischen Dienst in Kiew. Knochen seien oft verbrannt. Auch physisch sei die Arbeit anstrengend, weil es unter dem Schutzanzug heiß werde. „Natürlich denke ich dann, dass ich es hier mit verstorbenen Menschen zu tun habe“, sagt Ilja. Doch er schiebt die Gefühle beiseite. „Ich bin Biologe, ich habe keine Angst vor dieser Art von Arbeit.“
Ist die DNA der Verstorbenen extrahiert, wird sie mit der DNA-Proben abgeglichen, die Angehörige abgegeben haben. Fast 100.000 Ukrainer haben das bisher getan. Ihre DNA wird in einer extra dafür angelegten Datenbank gespeichert. Stimmen die Gene überein, werden die Hinterbliebenen informiert.
Manche Angehörige zweifelten die Laborwerte an
Viele ukrainische Familien haben so vom Tod eines Angehörigen erfahren. Manche könnten es einfach nicht glauben und zweifelten die Laborwerte an, berichtet Ruslan Abbasow. Doch die genetische Analyse fuße auf mathematischer Berechnung. Abbasow: „Die Angehörigen kann ich natürlich verstehen. Wenn wir eine Leiche identifizieren, dann erlischt ihre Hoffnung, dass der Vermisste noch am Leben ist. Die Angehörigen müssen sich überwinden, um sich das einzugestehen. Manche schaffen das im ersten Moment einfach nicht.“
Florian Kellermann / tmk