Uniformierte feuern Warnschüsse in die Luft. Empört schwingen zur Antwort weit mehr als tausend Krim-Tataren vor dem Checkpoint Armjansk ihre blauen Nationalflaggen mit dem goldgelben Symbol der "Goldenen Horde" aus Dschingis Kahns Zeiten. Die Menschen stehen im Niemandsland zwischen der Ukraine und der nun russisch annektierten Halbinsel Krim, ihrer historischen Heimat, skandieren den Namen ihres Volksführers Mustafa Dzhemilev, einst, zu sowjetischen Zeiten, Dissident und politischer Häftling, später dann Abgeordneter des ukrainischen Parlaments. Sie protestieren dagegen, dass die Sicherheitskräfte der russisch kontrollierten Krim-Regierung dem 70-jährigen die Einreise in seine Heimat verwehren.
Dzhemilev selbst bleibt äußerlich gelassen: "Weder auf dem Moskauer Flughafen Sheremetevo noch hier hat man mir zur Begründung ein entsprechendes Schriftstück mit Stempel und Unterschrift vorgelegt."
Dzhemilev: "Eine Flegelei der Besatzungsmächte"
Nur mündlich, so Dzhemilev, habe man ihm die Einreise untersagt. Dann aber wird er deutlich:
"Eine Flegelei der Besatzungsmächte ist das zu entscheiden, wen von der Urbevölkerung sie vor der Tür zu Krim abweisen und wem sie die Einreise erlauben. Das ist eine himmelschreiende Gesetzlosigkeit, die in keine Norm passt. Trotzdem: Auch diesmal haben wir beschlossen uns gemäß unserer Tradition zu verhalten und demokratisch wie auch gewaltfrei zu bleiben."
Dzhemilev verspricht seinen Anhängern wiederzukommen. Nur wenig später dann: Die Reaktion der Krim-Behörden auf diesen Auftritt sowie die Demonstration der Krim-Tataren fällt harsch aus. Staatsanwältin Natalija Poklonskaja begibt sich höchstpersönlich ins Büro der "Medschlis" in der Krim-Hauptstadt Simferopol, der wichtigsten Organisation der Krim-Tataren und zu dessen amtierendem Vorsitzenden:
"Ich ermahne Refat Tchubarov: Unterlassen Sie extremistische Handlungen, sonst kann dem Medschlis zeitweilig jede Tätigkeit untersagt werden", setzt die junge Staatsanwältin an. Doch unbeeindruckt unterbricht Tchubarov sie: "Sagen Sie mir das auf krim-tatarisch oder wenigstens auf ukrainisch. Das ist mein Recht!"
Die Staatsanwältin endet schließlich mit der Drohung: "Im Wiederholungsfall wird die Medschlis der Krim-Tataren aufgelöst und ihre Tätigkeit auf dem Gebiet der Russischen Föderation verboten."
Krim-Tataren und russischer Wirklichkeit auf der Krim
"Einerseits", so der Journalist Ajder Mushdabaev, "erklärt Präsident Putin die vor genau 70 Jahren als angebliche Nazi-Kollaborateure nach Zentralasien deportierten Krim-Tataren rehabilitieren zu wollen, gleichzeitig aber erleben wir jetzt, wie die Krim-Tataren und die Medschlis-Führer direkt mit Strafverfahren bedroht werden. Diese neue russische 'Wirklichkeit' auf der Krim verträgt sich überhaupt nicht mit den Absichtserklärungen der russischen Führung nach guten Beziehungen mit den Krim-Tataren. Jetzt fangen die Repressionen an. Die Krim-Tataren sollen eingeschüchtert werden."
Sergej Aksjonov, moskautreuer neuer Regierungschef der Krim, hat schon zuvor ein entsprechendes Signal gesetzt: Die Krim-Tataren, so wird er zitiert, seien dabei innerethnische Konflikte auf der Halbinsel zu schüren. Wenn ihnen der Anschluss an Russland nicht passe, stünde es ihnen frei die Krim jederzeit zu verlassen.