Russland habe gerade in den vergangenen Wochen neue Kämpfer und schweres Gerät, zum Beispiel Raketenwerfer, in den Donbass gebracht, sagte Fücks im DLF. "Da baut sich eine Militärmacht auf, die für eine weitere Eskalation der Kämpfe gut ist."
Um die Lage in der Ukraine zu befrieden, müsse Moskau genau die entgegengesetzte Richtung einschlagen. "Man sollte den Willen der Ukrainer nicht unterschätzen, den Weg des Maidan fortzusetzen", sagte Fücks. "Das war ja sowohl eine Unabhängigkeitsrevolution gegenüber dem Vorherrschaftsanspruch Russlands. Es war aber auch eine demokratische und europäische Revolution, also der Wille aus der alten sowjetischen Ukraine ein modernes europäisches Land zu machen. Und das ist sehr stark in der Gesellschaft verankert."
Eine politische Lösung sei noch in weiter Ferne. Moskau müsse die politische Souveränität der Ukraine einschließlich ihrer Bündnisfreiheit akzeptieren. Die Ukraine benötige eine "massive politische Rückendeckung" des Westens. Die Regierung und die Zivilgesellschaft verstehe darunter auch die Lieferung von Waffen. Die Diskussion darüber beginne erst.
Das Interview in voller Länge:
Bettina Klein: Keine Ergebnisse in Minsk also, und vor sechs Stunden war das auch bereits der Fall. Zu diesem Zeitpunkt hat mein Kollege Peter Kapern mit dem Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, mit Ralf Fücks gesprochen, der sich derzeit auch in Minsk aufhält. Wir hatten da mehr oder weniger den gleichen Stand, wie wir ihn jetzt haben, deshalb hier noch einmal die grundsätzliche Einschätzung von Ralf Fücks bei diesem Stand der Verhandlungen!
Peter Kapern: Herr Fücks, Sie haben heute Abend an einer Podiumsdiskussion in Kiew teilgenommen. Wie erleben Sie die Stadt, wie erleben Sie die Menschen dort? Gibt es da Zuversicht mit Blick auf die Gespräche in Minsk?
Ralf Fücks: Es gibt schon eine hohe Spannung, das Gefühl, dass in Minsk darüber entschieden wird, ob es zumindest zu einer halbwegs stabilen Feuerpause kommt oder ob der Krieg eskalieren wird. Aber gleichzeitig haben wir in den Gesprächen, die wir heute geführt haben sowohl mit Regierungsvertretern, aber noch mehr mit NGOs, mit Intellektuellen, mit Publizisten, doch noch ein erstaunliches Selbstbewusstsein registriert, weit ab von jeder Panik. Ich glaube, man sollte den Willen der Ukrainer nicht nur unterschätzen, den Weg des Maidan fortzusetzen, und das war ja sowohl eine Unabhängigkeitsrevolution gegenüber dem Vorherrschaftsanspruch Russlands, es war aber auch eine demokratische und europäische Revolution, also der Wille, aus der alten sowjetischen Ukraine ein modernes europäisches Land zu machen. Und das ist doch sehr stark in der Gesellschaft verankert.
Russland hat systematisch aufgerüstet
Kapern: Dieses Selbstbewusstsein, dieser Wille, der kann natürlich brechen an dem, was sich da im Osten des Landes abspielt. Was steht da bei den Gesprächen in Minsk Ihrer Meinung nach gerade auf dem Spiel, welches Szenario sehen Sie auf die Ukraine, auf Europa zukommen, wenn die Gespräche scheitern?
Fücks: Dann muss man sich sicher auf eine Eskalation der militärischen Auseinandersetzung einstellen. Russland hat ja in den letzten Wochen – und zwar, seit dem in Minsk vereinbarten Waffenstillstand – systematisch aufgerüstet mit frischen Truppen, mit neuen Kämpfern, aber auch mit schwerem Gerät, zum Beispiel Raketenwerfern, die inzwischen über 50 Kilometer auf das ukrainische Territorium schießen können wie gestern in Kramatorsk. Also, da baut sich eine Militärmacht auf, die für eine weitere Eskalation der Kämpfe gut ist, deshalb muss man natürlich ein Interesse haben, dass es zumindest zu einer belastbaren Feuerpause kommt. Aber von einer politischen Lösung sehe ich uns noch weit entfernt, solange es keinen wirklichen Kurswechsel in Moskau gibt, also nicht akzeptiert wird die politische Souveränität der Ukraine einschließlich ihrer Bündnisfreiheit.
Kapern: Herr Fücks, für eine militärische Eskalation bedarf es zweier Seiten. Ist Kiew für eine Eskalation der Kämpfe überhaupt gerüstet, ist Kiew dazu in der Lage?
Fücks: Kiew ist eindeutig in der Verteidigungsposition, und es wird nicht stärker, sondern schwächer. Deshalb hören wir ja auch von nicht nur ukrainischen Politikern, sondern wir hören auch aus der Gesellschaft heraus, dass es auch eine militärische Stärkung braucht, Defensivwaffen, Hightech-Waffen, mit denen dann die russische Artillerie identifiziert werden kann. Die Ukraine wird nicht gewinnen über eine Eskalation des Krieges, so viel ist sicher, und deshalb braucht sie massive politische Rückendeckung des Westens und sie braucht zumindest auch die Androhung einer Verschärfung der Sanktionen, wenn Russland den Krieg sozusagen eskaliert. Weil, wir müssen auf diesen Druck mit Gegendruck auf Russland antworten und gleichzeitig natürlich mit dem Angebot: Wenn Russland zurückkehrt zu den Prinzipien der europäischen Friedensordnung, dann ist der Weg auch offen für eine Kooperation mit Europa.
Kiew in Verteidigungsposition
Kapern: Braucht Kiew, falls die Gespräche in Minsk scheitern, auch Waffen aus dem Westen?
Fücks: Ja, das ist jedenfalls das, was man hört aus der Ukraine selbst, sowohl aus der Regierung wie aus der Zivilgesellschaft.
Kapern: Aber welche Meinung dazu haben Sie?
Fücks: Ich glaube, dass es wenig Sinn macht, jetzt isoliert über Waffenlieferungen zu diskutieren, solange man sich nicht darüber verständigt hat, welche politischen Ziele wir gegenüber der Ukraine verfolgen, ob wir daran festhalten, dass die Ukraine Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, der europäischen Werte- und Staatengemeinschaft werden kann, und dann entsprechend eine umfassende Strategie zur politischen, finanziellen und auch militärischen Stabilisierung der Ukraine verfolgen. Aber solange nicht klar ist, für welche Ziele wir einstehen, macht es auch wenig Sinn, jetzt über Waffenlieferungen zu diskutieren. Zumal die Ukraine durchaus nicht so hilflos ist militärisch, wie es manchmal scheint. Sie hat eine eigene Rüstungsindustrie, sie verfügt auch über eine eigene Hightech-Industrie und sie verfügt auch über den Willen, sich zu verteidigen.
Reformkräfte in der Ukraine stärken
Kapern: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe: Solange der Ukraine nicht die Tür zur NATO geöffnet wird, muss das Land mit der Yogamatte unterm Arm klarkommen?
Fücks: Ich sehe eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine auf absehbare Zeit nicht. Worum es jetzt geht, ist die Perspektive der europäischen Integration offenzuhalten und das EU-Assoziationsabkommen mit der Ukraine nicht auf Eis zu legen. Das müssen wir machen, auch um die Reformkräfte in der Ukraine selbst zu stärken, die diese europäische Perspektive brauchen. Und ansonsten bin ich sehr dafür, dass man einem Staat, der in dem Zustand der Selbstverteidigung ist, nicht prinzipiell auch militärische Unterstützung verweigert, aber man muss sehr genau diskutieren, für welche Ziele, und welche Gegenreaktion wird das auslösen. Diese Diskussion ist noch lange nicht zu Ende.
Klein: Sagt Ralf Fücks, der Chef der Heinrich-Böll-Stiftung, der sich zurzeit ebenfalls in Minsk aufhält. Mit ihm sprach gestern Abend mein Kollege Peter Kapern über die Verhandlungen zur Ukraine, die zur Stunde immer noch andauern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.