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Ukraine-Krise
Erler fordert Signale aus Russland

Die Bestrebungen der Separatisten für eine Abspaltung der Ostukraine seien nur mit Russlands Hilfe zu beschwichtigen, sagte Gernot Erler, Russlandbeauftragter der Bundesregierung, im Deutschlandfunk. Es müsse Signale aus Moskau geben, "dass es keine weiteren Annexionen gibt".

Gernot Erler im Gespräch mit Bettina Klein |
    Gernot Erler (SPD), Koordinator für die Zusammenarbeit mit Russland
    Gernot Erler (SPD), Koordinator für die Zusammenarbeit mit Russland (dpa / picture-alliance / Patrick Seeger)
    Gleichzeitig müssten die Verhandlungen weitergeführt werden. Erler sprach sich für weitere Runde Tische aus, die er unter der Führung von Wolfgang Ischinger, dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, als erfolgreich erachtet. In elf Regionen im Osten der Ukraine wollen die Separatisten einen eigenständigen Staat. errichten. "Davon sind wir noch weit entfernt, aber man muss die Bestrebungen ernst nehmen", sagte Erler.
    Präsidentenwahl als Chance
    Für Kiew sei das "deutliche Wahlergebnis" für den neuen Präsidenten Petro Poroschenko eine Chance, "dass ein Anfang für eine breit anerkannte Regierung gemacht worden ist". Die kommenden Tage seien sehr wichtig für eine Aussöhnung, denn bei den Gedenkfeiern zum "D-Day" in der Normandie am 6. Juni könne Poroschenko mit Russlands Präsident Wladimir Putin zusammenkommen.
    Russlands Hilfe auch bei neuem Entführungsfall gefragt
    Die neuerliche Entführung einer Gruppe von OSZE-Mitarbeitern nannte Erler eine "schlimme Entwicklung", es bliebe ein Gefühl von Hilflosigkeit. "Auch hier sind wir abhängig von der Unterstützung russischer Seite", sagte Erler. Denn auch bei der ersten Geiselnahme habe die Einflussnahme Russlands im Hintergrund eine große Rolle gespielt.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Weiterhin keine Spur von den verschwundenen Mitarbeitern der OSZE. Bereits ein zweites Team wurde ja entführt oder gefangen genommen.
    Am Telefon ist Gernot Erler (SPD), Koordinator für die Zusammenarbeit mit Russland und den Staaten der östlichen Partnerschaft. Guten Morgen, Herr Erler.
    Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Sie kommen gerade zurück von einer Reise in der Ukraine. Wo genau waren Sie?
    Erler: Ich war nur in Kiew. Ich wollte eigentlich auch nach Donezk, aber das war nicht vertretbar.
    Klein: Was konnten Sie dort erreichen in Kiew?
    Versuchen, die Lage zu verstehen
    Erler: Erreichen ist vielleicht zu viel gesagt. Ich habe versucht, die Lage zu verstehen, jetzt unmittelbar nach dem ja eigentlich ermutigenden Akt der Wahl des neuen Präsidenten Petro Poroschenko, und habe dort insgesamt zwölf Gespräche geführt mit Regierungsvertretern, mit alleine fünf verschiedenen Abgeordneten verschiedener Fraktionen und Fraktionsvorsitzenden, und dann mit Vertretern der Zivilgesellschaft und natürlich auch mit der OSZE und mit der deutschen Wirtschaft und mit Vertretern von Think Tanks.
    Klein: Was haben Sie jetzt verstanden, was Sie vorher noch nicht verstanden hatten?
    Erler: Ich denke, dass wir erst in dieser Woche erfahren werden, wie das mit der Arbeit von Petro Poroschenko hier läuft. Das Gute ist tatsächlich bei dieser Wahl – und das spiegelt sich auch in den Gesprächen -, dass doch alle das Gefühl haben, dass jetzt ein Anfang gemacht worden ist dafür, eine breite anerkannte Regierung in Kiew zu haben. Die bisherige Konstellation hat ja keine Zustimmung im Osten des Landes gefunden, aber das deutliche Wahlergebnis ist eine Chance, und nun wird man sehen, ob Poroschenko seine Ziele einer Vereinigung sozusagen der Ukraine, einer Aussöhnung, einer politischen Lösung voranbringen kann, und da sind die nächsten Tage sehr wichtig. Er wird ja am Mittwoch in Polen mit Obama zusammentreffen, er hätte am 6., am Freitag, dann in der Normandie die Chance, auch mit Putin zusammenzukommen, und alle erwarten, dass jetzt diese Woche Aufschlüsse über die weiteren Schritte bringen wird.
    Klein: Soviel zum Zeitplan dieser Woche und zu den Erwartungen. Was wir bisher verstanden haben, Herr Erler, ist doch aber, dass Poroschenko eben gerade nicht in der Ostukraine von den Separatisten dort anerkannt wird.
    Kein Zweifel an Wahlergebnis
    Erler: Na ja, die Separatisten in der Ostukraine haben Probleme mit der Kiewer Regierung, die sie als nicht legitim gewählt ansehen, und benutzen das als Argument. Das können sie natürlich gegenüber dem Präsidenten nicht, der mit 55 Prozent im Land gewählt worden ist, und dass diese Wahl doch mit den Schwierigkeiten, die verbunden waren da im Osten, wo ein Teil der Bürger nicht wählen konnte, aber gut und internationalen Standards gemäß durchgeführt worden sind, dazu hat sich auch die OSZE positiv geäußert. Da kann kein Zweifel an dieser Wahl sein.
    Klein: Herr Erler, Problem ist vielleicht ein hübsches Wort, wenn man sich anschaut, dass das, was in der Ostukraine passiert, von Kiew inzwischen Krieg genannt wird und in jedem Falle es heftige militärische Auseinandersetzungen gibt mit Todesopfern jeden und jeden Tag. Sehen Sie einen Weg, wie das in den Griff zu bekommen ist?
    Erler: Es kann eigentlich nur funktionieren, wenn die russische Seite aktiv wird und wenn die Signale gibt gegenüber den Separatisten, dass das Land nicht vor hat, weitere Annexionen vorzunehmen, dass also die ganzen Bestrebungen, sich loszulösen aus der Ukraine und Mitglied im Verband der Russischen Föderation zu werden, keine Chancen haben, und wenn die russische Seite – und solche Signale hat es ja schon gegeben – auch bereit ist, an den Verhandlungstisch auf den verschiedenen Ebenen zu gehen.
    Wir haben Äußerungen aus russischer Seite, dass man diesen Prozess der Runden Tische innerhalb der Ukraine fortsetzen will, und es hat ja unmittelbar nach der Wahl von Poroschenko auch durch den russischen Außenminister Lawrow doch Hinweise gegeben, dass es eine Dialogbereitschaft gibt mit dem neuen Präsidenten.
    Klein: Um da kurz noch einzuhaken: Sie sprachen von Runden Tischen. Wir haben gerade im Bericht gehört, dass unklar ist, ob das Mandat verlängert wird. Das Auswärtige Amt sage dazu nichts. Können Sie uns da heute Morgen weiterhelfen?
    Erler: Ich habe auch nur diese Information, dass rein formal gesehen dieses Mandat am Wahltag, am 25.5. ausgelaufen worden ist. Aber ich habe auch eben diese Information, dass es auch auf russischer Seite durchaus Bestrebungen gibt oder Unterstützung gäbe für eine weitere Runde von diesen Runden Tischen, und nach der hervorragenden Arbeit, die Wolfgang Ischinger da in den vergangenen drei Runden Tischen geleistet hat, scheint es auch dann Bestrebungen zu geben, ihn weiter zu beauftragen.
    Klein: Wer entscheidet das jetzt, ob und wie das weitergeht?
    Erler: Das entscheiden die Teilnehmer an dem Runden Tisch und natürlich auch die OSZE, die ja sozusagen Vermittler von diesen Runden Tischen ist.
    Klein: Und Sie gehen davon aus, dass Russland einverstanden ist und damit ein wichtiger Spieler mit am Tisch sitzt und man sich da in diesem Forum weiter verständigen wird?
    Erler: Etwas Gegenteiliges ist mir nicht bekannt.
    Klein: Bleiben wir mal kurz bei der OSZE, Herr Erler. Ich habe es angedeutet: Ein zweites Team von Mitarbeitern der OSZE ist weiterhin entführt, verschollen. Auch die OSZE-Mission selbst – wir konnten das am Samstag auch hören vom stellvertretenden Leiter, hat keinen Kontakt. Die OSZE ist uns seit Monaten als ein Schlüsselspieler vorgestellt worden, der ganz, ganz wichtig in der Vermittlung in diesem Konflikt ist. Inzwischen werden Mitarbeitergruppen entführt, ohne dass irgendjemand etwas machen kann. Illustriert das vielleicht besonders eindrücklich und tragisch auch die Ohnmacht und die Einflusslosigkeit der OSZE im Augenblick?
    Erler: Russland spielt eine wichtige Rolle
    Erler: Dass das tatsächlich eine schlimme Entwicklung ist und wenn natürlich auch so ein Gefühl von Hilflosigkeit entsteht, dass man dafür Verständnis haben muss, das ist richtig.
    Ich habe mit zwei OSZE-Botschaftern vor Ort längere Gespräche geführt. Ich hatte den Eindruck, dass dort eine Menge passiert und dass alles gemacht wird, um diese neuen Betroffenen frei zu bekommen, dass aber die Lage so kompliziert ist, dass man im Grunde genommen gar keine Details in die Öffentlichkeit bringt. Dazu kommt, dass man, wenn man ehrlich ist, sagen muss, dass man im Grunde genommen auch wieder von der Unterstützung hier der russischen Seite abhängig ist. Russland hat ja schon bei dem ersten Geiselfall dann am Ende die Wende gebracht und hat hier eingewirkt auf die Separatisten, doch die Betroffenen frei zu lassen, und es ist jetzt wieder so. Russland wird jetzt aktiv und das spielt im Hintergrund eine große Rolle.
    Klein: Ist denn für Sie erkennbar, welche Rolle Russland in der Tat im Moment spielt? Das heißt: Ist das, was wir im Osten der Ukraine sehen, gegenwärtig komplett gesteuert von Moskau, oder hat Wladimir Putin die Leute, die dort kämpfen, auch nicht mehr unter Kontrolle, oder überhaupt nie unter Kontrolle gehabt?
    Erler: Wir müssen aufpassen, dass wir da uns nicht ein zu einfaches Bild machen. Ich bin schon beeindruckt von dieser Eigenbewegung vor Ort, die da entsteht, die auch in eine dramatische Richtung geht. Inzwischen träumen ja die Separatisten da nicht etwa nur von einer Volksrepublik Lugansk, von einer Volksrepublik Donezk, die unter Umständen später nach Russland kommen, sondern es geht um elf Regionen inzwischen. Das ist praktisch die ganze östliche und südliche Ukraine, die zu einem Staat Novorossiya zusammengeschlossen werden soll. Das wäre fast schon ein Staat, der selber lebensfähig wäre, der bräuchte eigentlich gar nicht den Anschluss an Russland. Ich meine, die treten jetzt inzwischen immer auf, diese Separatisten, mit der Landkarte von diesen elf Regionen im Hintergrund.
    Das ist sicher eine Eigenentwicklung, die man ernst nehmen muss, die nicht zu unterschätzen ist, und wo ich einen direkten Einfluss von Russland nicht sehe. Da sehe ich eher innerrussische Leute wie Alexander Dugin – das ist so ein Theoretiker von einer Eurasischen Idee -, der schon lange aktiv ist. Solche Personen sind da aktiv, aber nicht die russische Regierung.
    Klein: Sie sagen, da ist durchaus möglich, dass sich da ein eigenständiger Staat bildet, der sich nun auch wiederum von der Ukraine abspaltet?
    Erler: Davon sind wir zum Glück noch weit entfernt. Aber ich meine, man muss diese Bestrebungen ernst nehmen, und ich habe auch mit Politikern von der Partei der Regionen, also der Janukowytsch-Partei oder der ehemaligen Janukowytsch-Partei gesprochen, die mich auch gewarnt haben und gesagt haben, was da abläuft, passiert, das muss man ernst nehmen, und das ist eine Eigenentwicklung.
    Klein: Herr Erler, der Ukraine ist im Jahr 1994 im Budapester Memorandum die territoriale Integrität zugesichert worden von der Staatengemeinschaft, im Gegenzug dafür, dass die Atombomben abgeliefert worden sind. Die westliche Staatengemeinschaft hat die Annexion, die Abspaltung der Krim hingenommen und wird das auch hinnehmen, wenn sich im Osten der Ukraine ein eigener Staat bildet?
    Erler: Die westliche Staatengemeinschaft ist natürlich verpflichtet, die Ukraine zu unterstützen, dass diese territoriale Integrität erreicht werden kann, und deswegen erinnern wir ja die russische Seite immer wieder, dass es eine russische Unterschrift unter diesem Budapester Memorandum von 1994 gibt und dass Russland drei Jahre später noch mal einen eigenen Freundschafts- und Kooperationsvertrag mit der Ukraine geschlossen hat, wo diese Garantie für die territoriale Integrität und Souveränität des Landes wiederholt wird. Das heißt, einer der Unterzeichner spielt ja hier eine ganz wichtige Rolle. Die anderen von dem Budapester Memorandum waren die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien. Insofern hat die Ukraine einen Anspruch hier darauf, dass der Westen jetzt in dieser Situation hilft und die Ukraine unterstützt.
    Klein: Und hilft inwiefern?
    Erler: Nur politische Lösung möglich
    Erler: Ja! Ich meine, wir sehen keine andere Möglichkeit als eine politische Lösung. Mit "wir" meine ich jetzt mal eigentlich der ganze Westen. Es gibt ja nur sehr vereinzelte Stimmen, wenn ich mal in die Vereinigten Staaten schaue. Da gibt es sicher auch den einen oder anderen, der für Waffenlieferungen an die Ukraine plädiert wie Senator McCain. Aber sonst sehe ich eigentlich einen großen Konsens, dass es nur eine politische Lösung geben kann, und ich glaube, die Bemühungen der Bundesregierung sind doch sehr sichtbar geworden, sich hier über eine Kontaktgruppe oder über Runde Tische einer solchen politischen Lösung zu nähern, und wir hören auch nicht auf, an die russische Seite zu appellieren, dieser Verantwortung und auch dieser Verpflichtung, dieser völkerrechtlichen gültigen Verpflichtung aus diesen Verträgen nachzukommen.
    Klein: Herr Erler, wir werden das Gespräch an anderer Stelle sicherlich noch fortsetzen und werden die Ergebnisse Ihrer Bemühungen auch abwarten müssen. – Das war Gernot Erler, der Koordinator für die Zusammenarbeit mit Russland, heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Erler.
    Erler: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.