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Ukraine-Krise
"Es gibt keine militärische Lösung dieses Konflikts"

Die ukrainische Führung feiert militärische Erfolge im Osten des Landes. Damit sei das Separatismus-Problem aber nicht politisch und damit nicht dauerhaft gelöst, sagte der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler im DLF.

Gernot Erler im Gespräch mit Silvia Engels |
    Porträt von Gernot Erler
    Der SPD-Politiker Gernot Erler ist Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit (dpa / Patrick Seeger)
    Es sei nachvollziehbar, dass der ukrainische Präsident Poroschenko nach der Rückeroberung mehrerer Städte nicht besonders daran interessiert sei, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, sagte Erler. Das heiße aber nicht, dass die Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland, Gespräche in einer Kontaktgruppe zu führen, nun nicht mehr gelte.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: Vertreter der Bundesregierung haben am Wochenende einmal mehr die Konfliktparteien der Ukraine aufgerufen, eine politische Lösung zu suchen. Doch möglicherweise ist das für den ukrainischen Präsidenten Poroschenko derzeit gar nicht mehr so attraktiv. Seine Armee meldete nämlich am Wochenende militärische Erfolge gegen die Separatisten im Osten des Landes.
    Mitgehört hat Gernot Erler von der SPD. Er ist Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Guten Morgen, Herr Erler.
    Gernot Erler: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
    Engels: Der ukrainische Präsident Poroschenko spricht von einem Wendepunkt und will die militärische Offensive fortsetzen. Wie sehen Sie das?
    Erler: Nachvollziehbar ist das schon, nachdem lange Zeit ja dieser Präsident auf irgendwelche militärischen Erfolge warten musste. Und dass jetzt, wo er diese wichtigen Städte Slawjansk und Kramatorsk unter Kontrolle gebracht hat und drei weitere ebenfalls und die Separatisten auf dem Rückzug sind, jetzt nicht besonders daran interessiert ist, an den Verhandlungstisch zu gehen, das kann man verstehen. Aber das heißt nicht, dass damit diese Vereinbarung vom letzten Mittwoch aus Berlin wegfällt oder ungültig wird, wo ja beide Seiten, die russische und die ukrainische, sich auf die Fortsetzung im Rahmen dieser Kontaktgruppe verpflichtet haben. Das heißt, der Westen wird jetzt gar nicht anders können, als Druck auf Poroschenko zu machen, tatsächlich diese Vereinbarung auch einzuhalten.
    Engels: Es kommen gerade Meldungen, wonach Außenminister Frank-Walter Steinmeier bestätigt hat, dass es am Sonntag in Kiew doch ein Treffen der sogenannten Kontaktgruppe aus Vertretern der Ukraine, Russland und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gab. Wissen Sie da Näheres zu?
    Erler: Ja! Es hat ein Treffen gegeben, eigentlich zur Vorbereitung dieses Kontaktgruppen-Gesprächs. Nur ist eben das nicht zu einem Ergebnis gekommen.
    Engels: Ist es denn klug von Präsident Poroschenko, jetzt diese Verhandlungen erst einmal etwas auf die lange Bank zu schieben und damit ja auch Russland wieder etwas gegen sich aufzubringen?
    "Es gibt keine militärische Lösung dieses Konfliktes"
    Erler: Na ja, die Situation erinnert mich so ein bisschen an den 20. Februar, als die drei Außenminister des Weimarer Dreiecks, also von Deutschland, Frankreich und Polen, in Kiew eine Vereinbarung, ein Agreement für das weitere Vorgehen geschlossen haben, und dann ist sozusagen die politische Entwicklung derartig schnell darüber hinweggegangen, dass das nachher nicht umgesetzt wurde.
    Ich hoffe, dass das jetzt hier so nicht ist, denn eins steht für mich fest: Es gibt keine militärische Lösung dieses Konflikts. Es kann jetzt sein, dass die ukrainische Armee im Vormarsch ist und dass es jetzt vielleicht auch gelingt, Donezk und Luhansk, obwohl das riesige Städte sind, abzuriegeln. Aber damit ist das Problem des Separatismus politisch nicht gelöst und damit nicht dauerhaft gelöst, sondern ist zunächst einmal nur die Wiederherstellung der Rechte der politischen Kontrolle durch die Ukraine wieder da. Aber damit ist das politische Problem des Separatismus nicht gelöst und das ist immer unsere Haltung gewesen, das ist auch immer die deutsche Position gewesen und daran wird sich auch durch die militärischen Erfolge von Poroschenko nichts ändern.
    Engels: Übt denn die Bundesregierung konkret Druck auf Poroschenko aus, jetzt schnell dennoch den Verhandlungsweg wieder einzuschlagen?
    Erler: Dazu war jetzt bisher noch gar nicht so viel Gelegenheit. Eigentlich sollte am Wochenende hier ein offizielles Treffen mit allen Beteiligten unter Leitung der OSZE und auch mit dem russischen Botschafter vor Ort stattfinden. Dazu ist es jetzt in der kompletten Form nicht gekommen. Das heißt, jetzt erst kann das damit losgehen, dass man Poroschenko auffordert, diesen politischen Strang, der ja das Ziel hat, wieder zu einer Waffenruhe zu kommen, nicht aufzugeben und auch nicht zu lange zu verschieben.
    "Ich würde jetzt nicht sofort über Druckmaßnahmen nachdenken"
    Engels: Könnten Sie sich auch vorstellen, die Komponente zu spielen, dass die Ukraine ja sehr stark von westlichen Geldern abhängt und auf diese Art und Weise Poroschenko zu drängen?
    Erler: Ich würde jetzt nicht sofort über Druckmaßnahmen nachdenken, aber das ist natürlich auch nicht meine Aufgabe, so etwas zu entscheiden, sondern da müssen jetzt vor allen Dingen die Länder, die sich hier besonders beteiligt haben in Europa – das ist vor allen Dingen Deutschland und Frankreich -, die ja auch in der Telefondiplomatie hier immer sowohl mit Russland als auch der Ukraine in Verbindung stehen, ihre Entscheidungen treffen.
    Engels: Wie wird denn Ihrer Ansicht nach umgekehrt Moskau nun auf Kiews Verzögerung von Verhandlungen reagieren?
    Erler: Das ist durch die Äußerungen von Außenminister Lawrow am Wochenende schon deutlich geworden. Dort ist man natürlich durchaus ungehalten darüber, dass jetzt diese Zusage bisher nicht eingehalten worden ist, oder dass es jetzt jedenfalls nicht zu einer konkreten Arbeit der Kontaktgruppe gekommen ist, und natürlich pocht man dort auf diese Verabredungen vom 2. Juli bei dem Außenministertreffen in Berlin, und das ist auch wiederum nachvollziehbar, weil natürlich jetzt aus russischer Sicht eine nicht weitere Vorgehensweise militärischer Art gegen die Separatisten wichtig wäre, weil – das ist in dem Beitrag zuvor schon angedeutet worden – es zunehmend Ungehaltenheit und Proteste gibt vonseiten der Separatisten, die sagen, wir werden zu wenig von Moskau unterstützt, und das bringt natürlich auch Wladimir Putin als russischen Präsidenten in eine unangenehme Lage, aus der ihm jetzt Verhandlungen über eine Waffenruhe durchaus heraushelfen würden.
    Engels: Das heißt, es steht zu befürchten, dass Russland aufgrund dessen die Separatisten wieder weiter stärken würde?
    Erler: Ja da bin ich mir auch nicht so sicher, wie weit hier Moskau im Augenblick gehen würde, zumal es jetzt auch nicht so einfach ist, das zu tun. Dass, sage ich mal, die Waffenlieferungen nicht von einem Tag auf den anderen aufhören, zumal die Separatisten ja das selber organisieren und dabei auch daran interessiert sind, das ist vielleicht klar, aber die Frage ist ja, ob darüber hinaus jetzt Russland sich zu einer aktiven Unterstützung in dieser prekären Lage für die Separatisten entscheiden würde. Dafür gibt es jedenfalls im Moment keine Anzeichen.
    Engels: Aber in den vergangenen Wochen und Monaten war das ja relativ von vielen Korrespondenten belegt, dass es diese Unterstützung gibt. Könnte die sich noch einmal verstärken?
    Erler: Na ja, die Frage ist ja, wie schnell jetzt das weitere Vorgehen der ukrainischen Sicherheitskräfte erfolgreich ist. Das ging ja jetzt übers Wochenende sehr rasch mit der Aufgabe von diesen fünf wichtigen, bisher unter Kontrolle der Separatisten stehenden Städte, und jetzt ist die Devise zurück nach Donezk und nach Horliwka. Das ist ein anderer Ort, wo sich die Separatisten zurückziehen. Und wenn es natürlich der ukrainischen Armee gelingt, jetzt diese beiden Rückzugsgebiete abzuriegeln, dann ist das natürlich auch nicht mehr so einfach mit dem Nachfluss von Ausrüstung und von Waffen.
    Engels: Und das schwächt dann möglicherweise auch die Druckmittel, die Russland in diesem Konflikt einsetzt?
    Erler: Das ist durchaus vorstellbar.
    Engels: Gernot Erler war das. Er ist der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Und dazu passt die Meldung, die uns erreicht, dass sich Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister, in der Mongolei geäußert hat, dass die Ukraine gut beraten sei, ihre Gespräche unter Kontaktaufnahme auch mit Repräsentanten der Separatisten fortzusetzen. Diese Meldung erreicht uns gerade. Vielen Dank für das Interview, Herr Erler.
    Erler: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.