"Sie hat die Erwartung geäußert, dass die russische Regierung sich klar zu den Genfer Vereinbarungen bekennt und dass sie auch an ihrer Umsetzung mitarbeitet", so Seibert. Russland solle die bewaffneten Separatisten öffentlich auffordern, sich gewaltlos zu verhalten und die Waffen niederzulegen. Der Regierungssprecher warf Russland vor, bislang keine der Zusagen aus Genf eingehalten zu haben. "Nichts davon ist bisher geschehen." Auch Deutschland sei bei einer Zuspitzung des Konflikts zu weiteren Sanktionen bereit. "Da möge sich keiner täuschen. Diese Bereitschaft besteht weiterhin", sagte Seibert.
Die USA warfen Moskau eine gezielte Destabilisierung der Ukraine vor. Russland versuche derzeit mit allen Mitteln, den demokratischen Prozess im Nachbarland zu behindern, sagte US-Außenminister John Kerry. Zwar behaupte Russland, an einer Stabilisierung der Lage interessiert zu sein. Dies sei aber nur eine Täuschung. In Wahrheit habe Russland mit Provokationen und Drohungen die Instabilität in der ehemaligen Sowjetrepublik vergrößert. Die Zeit für einen Kurswechsel laufe nun aber ab.
US-Präsident Barack Obama will im Laufe des Tages mit EU-Regierungschefs über deutlich schärfere Sanktionen gegen Russland beraten. Russland dagegen will im Falle weiterer Gewalt in der Ukraine den Weltsicherheitsrat einschalten. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf dem Westen geopolitische Machtspiele vor. Es gehe der EU und den USA nur darum, die Ukraine in ihren Einflussbereich zu ziehen, aber nicht um die Interessen der Menschen in dem Land, sagte Lawrow der Nachrichtenagentur Interfax. Europäer und US-Amerikaner seien entschlossen, ihr "Revolutionsprojekt" in der Ex-Sowjetrepublik um jeden Preis zu Ende zu führen. Moskau sei weiterhin bereit, zur Deeskalation der Lage beizutragen. Russland hat allerdings an der Ostgrenze zur Ukraine ein Großmanöver begonnen. Reporter berichten von Explosionen am Flughafen in Kramatorsk.
Säbelrasseln und Deutungshoheit
Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk unterstellt Russland auch deswegen, einen dritten Weltkrieg beginnen zu wollen. Die Versuche Russlands, einen Konflikt in seinem Nachbarland vom Zaun zu brechen, werde zu einer militärischen Auseinandersetzung in Europa führen. "Kiew befindet sich in einem fürchterlichen Dilemma", sagte Sicherheitsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Deutschlandfunk. Die Übergangsregierung müsse einerseits offensiv gegen prorussische Separatisten vorgehen und provoziere so andererseits eine weitere Eskalation. Der Konflikt bedrohe auch das Sicherheitsgefühl im Nachbarland Polen: Der frühere polnische Botschafter Janusz Reiter sagte im Deutschlandfunk, die gegenwärtige Situation sei "ein Einschnitt in der Geschichte Polens seit 1989".
Fast auf Ramschniveau
Angesichts der anhaltenden Spannungen hat die Ratingagentur Standard & Poor's die Kreditwürdigkeit Russlands um eine Stufe gesenkt - sie liegt nun knapp über Ramschniveau. Die Bonität der Russischen Föderation werde nun mit BBB- bewertet, teilte die Ratingagentur mit. Standard & Poor's begründete den Schritt mit dem enormen Kapitalabfluss aus Russland im ersten Quartal dieses Jahres. Die "angespannte geopolitische Lage zwischen Russland und der Ukraine" könne einen zusätzlichen Abzug ausländischen Kapitals bedeuten, erklärte das Unternehmen. Sollte Russland mit weiteren Sanktionen belegt werden, sei eine erneute Herabstufung der Kreditwürdigkeit möglich.
Russlands Präsident Wladimir Putin verwies bereits auf die Gefahr, dass Kredite teurer werden könnten. Ganz davon abgesehen, seien Sanktionen kein Mittel der Außenpolitik, kritisierte der Kreml-Chef. USA und die EU haben wegen der Haltung Moskaus im Ukraine-Konflikt gezielt einige Russen mit Einreiseverboten belegt und deren Konten eingefroren. Im ersten Quartal ist das russische Wirtschaftswachstum um 0,8 Prozent zurückgegangen. Nach der Annexion der Krim im März zogen Investoren rund 70 Milliarden Dollar aus Russland ab.