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Ukraine-Krise
NATO-Hilfe beruhigt das Baltikum

Der frühere lettische Wirtschaftsminister Krišjanis Karinš hält die angekündigte NATO-Truppenverstärkung an den Ostgrenzen des Bündnisses für richtig. Vor allem die Bevölkerung in den baltischen Staaten müsse sehen, dass sie sich auf die NATO verlassen könne, sagte der heutige Europaabgeordnete im DLF.

Krišjanis Karinš im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Vor dem NATO-Hauptquartier in Brüssel wehen viele Fahnen
    NATO-Hauptquartier in Brüssel ( picture alliance / dpa / Julien Warnand)
    Jürgen Liminski: Beruhigen Sie die Pläne der NATO?
    Krisjanis Karins: Ja natürlich! Nicht nur die Menschen in Lettland, sondern auch in Estland und Litauen. Wir warten jetzt seit einem Monat, seit der Unruhe in der Krim, dass die NATO ihre Präsenz verstärkt in unserer Region.
    Jürgen Liminski: Die Ankündigung der NATO verschärft die Lage, und das vor dem Treffen der Außenminister morgen. Ist denn der Zeitpunkt der Ankündigung nicht etwas unglücklich gewählt? Hätte man nicht noch einen Tag warten können? Sie warten ja schon monatelang, wie Sie sagen.
    Karins: Es ist ganz klar: Das, was Putin und Russland jetzt weiter machen, das ist eigentlich unabhängig davon, was wir im Westen machen. Wir können den jetzt nicht weiter ärgern. Bis jetzt sieht man, dass alles, was wir im Westen gemacht haben, trifft Putin scheinbar gar nicht.
    Liminski: Moskau zeigt sich unbeeindruckt, glauben Sie. In den baltischen Staaten, auch in Lettland leben viele Russen. Die bloße Existenz dieser Russen könnte Moskau nach der Kreml-Doktrin dazu verleiten, ähnlich wie in der Ostukraine und auf der Krim Separatisten zu bewaffnen und für Unruhe zu sorgen. Ist da die Ankündigung der NATO nicht doch kontraproduktiv?
    Karins: Nein, es ist eigentlich das Gegenteil. Was man von draußen verstehen muss: Seit Jahren versucht Putins Regierung, öfter Unruhe in unser Land einzubringen, was ihm bis jetzt nicht gelungen ist. Aber das, was in unseren Ländern, in den baltischen Ländern wichtig ist, ist, dass unsere Bevölkerung versteht, dass wir unseren europäischen und NATO-Partnern wirklich vertrauen können.
    Liminski: Sie fühlen sich sicher als NATO-Mitglied. Sie vertrauen darauf und sagen, diese Präsenz, die verstärkte Präsenz ist auch ein Vertrauensbeweis. Soll denn die Ukraine in die NATO aufgenommen werden?
    Karins: Das ist ein bisschen eine andere Frage, was überhaupt in der Ukraine weiter passieren wird. Es ist jetzt ungefähr einen Monat her, seitdem sie eine Revolution dort gehabt haben. Das war nicht eine Revolution gegen die Russen, das war eine Revolution gegen die Korruption der Regierung. Es wird jetzt besonders von der russischen Seite, was die sagen, als eine faschistische Revolution gegen die russischen Bürger angesehen, aber das Problem des Kreml ist, dass die nicht akzeptieren möchten, dass die Ukraine ein eigenes Volk sind.
    Die sagen, dass die alle Slawen sind, die sind genau dasselbe wie die Russen, aber das ist es natürlich nicht. Wenn die Ukraine in der Zukunft ein Mitglied der Europäischen Union sein wollte und könnte und auch ein Mitglied der NATO sein wollte und könnte, das ist eine Frage der Zukunft. Aber die Frage von heute ist, ob die Ukraine ihre Unabhängigkeit halten kann und ob sie als vereintes Land bleiben kann, ob der Kreml das zulässt.
    Liminski: Sie waren Wirtschaftsminister von Lettland. Kann man mit Wirtschaftssanktionen die Russen zum Einlenken bewegen?
    Karins: Das glaube ich überhaupt nicht. Die Armut der Bevölkerung Russlands scheint, nie eine große Sorge irgendeiner Regierung gewesen zu sein, in der Vergangenheit nicht und wahrscheinlich in der Zukunft auch nicht. Wenn die einen Gegner haben, was die jetzt sagen, die Faschisten aus dem Westen, aus Europa und aus den Vereinigten Staaten, gegen die die kämpfen müssen, wenn es heißt, dass die Wirtschaft Russland sinken würde, das ist noch ein Zeichen, dass die Feinde es gemacht haben, und das ist eine Machtpolitik, was viele von uns glaubten oder hofften in Europa vorbei war. Leider ist es immer noch lebendig im Kreml und das einzige am Ende, wie ich es sehe, was den anhalten kann, ist das Verständnis, es könnte auch eine Machtreaktion sein, nicht nur eine wirtschaftliche.
    Liminski: Würden Sie die russische Politik im Moment als imperialistisch bezeichnen?
    Karins: Die Politik Putins ist von unserem Standpunkt her imperialistisch, aber eigentlich ist es ein Versuch, seine eigene Macht zu behalten, weil wahrscheinlich was dem Kreml große Sorgen macht ist, dass irgendeine Revolution wie in Maidan auch in Moskau und St. Petersburg passieren könnte. Erinnern Sie sich: Es war vor ein paar Jahren, es gab Hunderttausende von Menschen monatelang auf den Straßen in Moskau und St. Petersburg, die gegen die Korruption in Russland waren, genau wie die Menschen in Kiew.
    Aber Putin und seine Regierung, die haben viele Regeln angenommen, dass es jetzt illegal ist, auf der Straße zu sein, es ist illegal, Proteste zu machen, die Leiter verließen die Organisationen, viele sind im Gefängnis. Die Regierung hat Angst vor ihren eigenen Völkern und das ist ein autoritärer Staat, das ist nicht ein demokratischer Staat. In der Demokratie, wenn die Regierung spürt, dass die Menschen an die Regierung nicht glauben, die wechseln die Regierung, wie zum Beispiel in Frankreich es jetzt passiert. Hollande versucht, irgendetwas zu machen, damit seine Bevölkerung mit dem zufrieden wäre. In Russland ist die Antwort, wenn die Menschen unzufrieden sind, Aggression gegen einen Gegner, und leider sind wir im Westen alle dieser Gegner geworden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.