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Ukraine-Krise
"Russen legen viel Wert auf Symbole"

Petro Poroschenko wurde als ukrainischer Präsident ins Amt eingeführt - und der russische Botschafter war dabei. Dies sei zwar "keine besondere Demutsgeste, aber trotzdem ein Zeichen", sagte CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder im DLF.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 07.06.2014
    Philipp Mißfelder, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion
    Philipp Mißfelder, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion (dpa / picture-alliance / Soeren Stache)
    Die Begegnung Poroschenkos und Putins sei sogar das wichtigere Signal gewesen, so Mißfelder. Die beiden Staatschefs hatten sich gestern am Rande der Gedenkfeiern zur Alliierten-Landung in der Normandie vor 70 Jahren in Frankreich getroffen.
    Dass auch Bundespräsident Joachim Gauck zu der Amtseinführung fährt, zeigt Mißfelder zufolge Moskau, wie wichtig Deutschland die neue Regierung ist. Berlin unterstütze Kiew mit "Worten und Taten".

    Das Interview voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Heute wird in der Ukraine der neue Präsident Poroschenko vereidigt. Und gestern hat er mit dem russischen Präsidenten Putin in Frankreich immerhin am Rande des D-Days kurz geredet. Sie beide wollen, das war die Botschaft, das Blutvergießen stoppen. Allerdings haben sie noch nicht gesagt, wie sie das machen wollen - jeweils der andere soll etwas tun. Auch ansonsten wurde in Frankreich viel miteinander geredet, allerdings gab es dann hin und wieder Begleiterscheinungen dieses Redens, was dann aufhorchen lässt. Über all das wollen wir jetzt sprechen mit Philipp Mißfelder, dem außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Zunächst einmal guten Morgen!
    Philipp Missfelder: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Mißfelder, was muss bei Ihnen eigentlich passieren, damit Sie jemandem, den Sie treffen, nicht die Hand geben?
    Mißfelder: Tja, das ist zunächst einmal zwischenmenschlich ja eine der gravierendsten Sachen, die passieren kann. Und dass, wenn man so was gesehen hat von gestern, dann zuckt man ja zusammen und denkt, auf der Ebene muss es doch eigentlich möglich sein, auch formal vernünftig miteinander umzugehen. Insofern ist das befremdlich.
    Zurheide: Mein 87-jähriger Vater, den will ich ausnahmsweise hier mal einführen, der hat die Bilder gesehen und ich sprach gestern Abend mit ihm darüber. Er sagt, eigentlich sind das Attitüden aus dem Kindergarten. Hat er da so unrecht?
    Mißfelder: Ja, Kindergarten, das würde ich mir jetzt nicht zu eigen machen, aber es ist so, das versteht ja keiner mehr. Denn die normalen Umgangsformen sind eben andere.
    Zurheide: Kommen wir von solchen Dingen in der Tat weg. Gerade angesichts der Toten und der Erinnerung an das, was da in der Normandie passiert ist, dieses schreckliche Leid, was am Ende passiert ist, um die Befreiung voranzutreiben. Welches Vermächtnis ergibt sich daraus und auch damit welche Verpflichtung derjenigen, die da gestern gesessen haben?
    Mißfelder: Also jetzt angenommen, dass weder die Amerikaner noch die EU geplant hatten, Russland zu integrieren - denn bei G7 gab es ja keine neue Einladung -, muss man eins sehen: Unsere gemeinsame Geschichte mit Russland geht eben so weit, dass man ja nicht sagen kann bei so einer Feierlichkeit, Russland darf nicht kommen. Und das war ja der Anlass des Treffens, dass man den russischen Präsidenten nicht wieder ausladen konnte. Insofern ist das eigentlich ein ganz gutes Beispiel dafür, dass, selbst wenn ein Isolationskurs gefahren ist vorher - und schauen Sie sich an, das Sankt-Petersburg-Forum ist noch nicht lange her, und auch in Amerika ist dazu aufgerufen worden, dass keine Vorstandsvorsitzenden dorthin fahren sollen. Jetzt ist es so, dass dieses Beispiel der Normandielandung zeigt, dass unsere gemeinsame Geschichte so weit geht, dass es immer wieder Anknüpfungspunkte gibt. Und das ist ja eigentlich eher ein gutes Beispiel. Aber in diesen Tagen kann man wenig voraussagen, deswegen bin ich mit wertenden Attributen relativ vorsichtig.
    "Dialog suchen, bevor Gesprächskanäle zugehen"
    Zurheide: Auf der anderen Seite, Sie selbst haben ja auch ein Zeichen gesetzt. Sie haben sich ja mit Putin getroffen, sind dafür intern zum Teil auch heftig kritisiert worden. Also Sie sagen, wir müssen auf jeden Fall immer reden, wenn sich eine Chance bietet?
    Mißfelder: Definitiv. Und das erwarte ich auch von allen. Und ich glaube auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung in unserem Land das auch erwartet. Und Sie sprechen ja den Geburtstag von Gerhard Schröder an: Gerhard Schröder hat an dem Abend auch die Möglichkeit genutzt, auf den russischen Präsidenten einzuwirken. Und ich bin immer der Meinung, dass man diesen Dialog suchen sollte, bevor Gesprächskanäle zugehen. Denn wer weiß, wofür man sie noch braucht, und wir sind in einer Situation, wo die Geschichte uns eben zusammengebracht hat, aber eben auch wir kulturell und wirtschaftlich so verflochten sind, dass es in unserem Interesse ist, auch miteinander in Kontakt zu bleiben.
    Zurheide: Was muss jetzt in der Ukraine passieren? Wir haben heute die Amtseinführung von Poroschenko - immerhin, es wird ein russischer Gesandter dabei sein, ein Botschafter. Ist das ein Zeichen der Entspannung? Wie werten Sie das?
    Mißfelder: Die Russen legen ja sehr viel Wert auf Symbole, und die Russen sind ja auch schwermütig in ihrer Literatur und auch in Gesten generell. Und deswegen ist es natürlich jetzt keine besondere Demutsgeste oder in irgendeiner Form ein Anerkenntnis, dass ein Gesandter geschickt wird. Es ist natürlich trotzdem ein Zeichen. Und dass auch der Präsident Putin sich gestern mit Präsident Poroschenko getroffen hat, ist eigentlich natürlich das wichtiger Signal als der Gesandte heute, der nach Kiew fahren wird. Aber eins ist den Russen natürlich auch klar geworden: Dadurch, dass unser Bundespräsident auch zur Amtseinführung fährt, ist, glaube ich, den Russen auch deutlich gezeigt worden, wie sehr wir diese neue Regierung unterstützen wollen, und nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten, was dann sich nachher auch durch Hilfsmaßnahmen ausdrücken muss, denn die Ukraine ist eine sehr teure Angelegenheit, und da werden wir noch konkret sagen müssen, wie geht es mit der wirtschaftlichen Perspektive weiter, wie geht es mit der Währung weiter, wie geht es mit dem Gas weiter.
    "Manches schon außer Kontrolle geraten"
    Zurheide: Darüber wollen wir reden. Ich will aber vorher noch mal fragen, hat Putin denn wirklich den Schlüssel im Osten der Ukraine so sehr in der Hand, wie wir das so immer unterstellen, oder sind ihm da die Zauberlehrlinge schon aus der Hand geglitten, die er möglicherweise ins Werk gesetzt hat?
    Mißfelder: Dieses Beispiel ist gar nicht so schlecht. Ich kann mir gut vorstellen, dass manches schon außer Kontrolle geraten ist. Aber es sind eben die Geister, die gerufen worden sind, auf beiden Seiten, weil die Entfesselung der Gewalt, die stattgefunden hat, die konnte natürlich nicht konsequenzenlos bleiben und hat leider bis dato ja schon viele Opfer gefordert.
    Zurheide: Das heißt aber auch, die ukrainische Regierung, da sind wir uns auch einig, hat eine Menge Fehler gemacht, kapitale sogar?
    Mißfelder: Die neue ukrainische Regierung ist natürlich in einer Situation, wo sie, ja auch am Anfang, nicht viele Handlungsspielräume hatte, deshalb möchte ich sie dafür gar nicht kritisieren, aber wenn man sich das anschaut, was Frank-Walter Steinmeier, Wladyslaw Sikorski und Fabius einst unterschrieben hatten mit Janukowitsch, dann wäre es für diesen Prozess eine "geordnete" Übergabe von Janukowitschs Macht zu machen, ja fürs Land wahrscheinlich der bessere Weg gewesen. Aber das ist Wunschdenken, das ist jetzt auch schon mehrere Monate her. Das Abkommen ist damals nicht akzeptiert worden und hat dann zu dieser Eskalationsschwere aber sicherlich mit beigetragen.
    "Russland muss auch ein Interesse an der Stabilisierung haben"
    Zurheide: Jetzt haben Sie schon angesprochen, dass der Westen natürlich im Moment die Ukraine unterstützen wird, unterstützen muss, nicht zuletzt aus Eigeninteressen, Stichwort Gas, Sie haben es auch angesprochen. Was muss denn da eigentlich passieren aus Ihrer Sicht? Und dürfen wir jetzt für die Fehler von anderen bezahlen?
    Mißfelder: Es ist so: Es ist in unserem vitalen Interesse, dass wir mit der Ukraine und mit Russland uns in dieser Frage einigen wollen. Die Ukraine ist nach wie vor ein wichtiges Transitland. Es gibt zwar Northstream, also die Pipeline, die durch die Nordsee führt, die natürlich uns auch versorgen kann, aber trotzdem: Wir haben ja auch ein großes Interesse daran, dass die Gaslieferung in die Ukraine weiter geht, weil sonst der wirtschaftliche Kollaps dieser Volkswirtschaft nicht abzuwenden wäre, und das ist definitiv etwas, was ich weder Russland, sofern es auch in deren Interesse ist, noch wir uns leisten können und wollen. Russland aus wirtschaftlichen Gründen, weil Russland sehr stark auf die ukrainische Wirtschaft auch abgestimmt ist und verschränkt ist, wir natürlich aus moralischen Gründen. Man kann nicht zuerst die Maidan-Bewegung unterstützen und dann wirtschaftlich nicht auch Ja zu ihnen sagen. Insofern ist das schon eine Frage, was sind wir bereit, langfristig für die Ukraine und auch jährlich aufzuwenden, und eben, obwohl es kein EU-Mitglied ist, obwohl es kein Euro-Mitglied ist - das ist für uns der große Unterschied auch zu Griechenland. Und der weitere Punkt ist natürlich, dass wir an der Stelle sehen müssen, Russlands Interessen selbst können natürlich auch nicht so ablaufen, dass nur wir bezahlen, sondern Russland muss auch ein Interesse an der Stabilisierung haben.
    Zurheide: Letzter Punkt: Muss die Ukraine in die NATO oder möglicherweise sogar in die EU oder gibt es da irgendwo auch eine Haltelinie, wo Sie sagen, da sind auch durchaus berechtigte Interessen von Russland, wo man einfach den fairen Ausgleich zwischen beiden Seiten finden müsste?
    Mißfelder: Poroschenko hat ja gestern gesagt, sein Ziel ist die Mitgliedschaft in der EU. Da ist man natürlich als EU-Politiker oder als Politiker in der EU natürlich etwas - ja, da stockt einem etwas der Atem, weil ich will natürlich, EU-Perspektive für die Ukraine hin oder her - es ist natürlich schon ein Gedanke, der ja - die EU stößt ja auch bei der Möglichkeit, die da zu integrieren, an ihre Grenzen. Insofern, da ist hier in Berlin natürlich sehr, sehr viel Skepsis. Also, es gibt ja schon Skepsis gegenüber Moldau, die ich sehr unterstütze, beispielsweise. Also ich unterstütze die Regierung in Kischinau, aber ich sehe hier bei vielen Kollegen, dass sie Zweifel daran haben, ob es richtig wäre, Moldau schnell in die EU aufzunehmen. Da wäre es bei der Ukraine natürlich, die viel, viel größer ist und auch viel problematischer natürlich eine größere Herausforderung. Aber was die NATO angeht, ist es so, wir dürfen auch nicht unterschätzen, dass eine weitere NATO-Erweiterung in Moskau als Provokation gesehen werden würde. Und die Frage ist eben, was wollen wir? Wollen wir jetzt einen Ausgleich wiederherstellen oder da eben nicht.
    Zurheide: Sie plädieren eher für den Ausgleich?
    Mißfelder: Ich plädiere selbstverständlich für den Ausgleich, denn ich glaube, dass Deutschlands Rolle in Europa, ähnlich wie Frankreichs Rolle gegenüber Russland ja darin auch besteht, einen Interessenausgleich immer auszubalancieren, dass sowohl das, was uns wichtig ist, berücksichtigt wird, aber dass auch russische Sicherheitsinteressen, die zum Teil sehr, sehr emotional geprägt sind - das können wir uns gar nicht vorstellen, weil dort ein Denken teilweise vorherrscht, was vielleicht gar nicht aus dem 20., sondern eher aus dem 19. Jahrhundert kommt. Und das ist eine Sache, die man nicht unterschätzen darf.
    Zurheide: Das war Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Wir haben dieses Interview kurz vor dieser Sendung aufgenommen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.