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Ukraine-Krise
Wo der Krieg begann

Mehr als 6.500 Tote, 16.000 Verletzte und rund zwei Millionen Menschen, die ihre Heimat verloren haben: Mehr als ein Jahr ist es her, dass der Krieg in der Ostukraine begann. Zentrum der russlandtreuen Rebellen war damals Slowjansk, bis die ukrainische Armee die Stadt zurückeroberte. Heute herrscht dort Frieden, aber die Spuren des Krieges sind unübersehbar.

Von Gesine Dornblüth |
    Ein Mann sitzt am Stadtrand von Slowjansk vor seinem zerstörten Haus.
    Ein Mann sitzt am Stadtrand von Slowjansk vor seinem zerstörten Haus. (picture alliance / dpa / Andrey Stenin/RIA Novosti)
    Die Olympijskaja-Straße am Rand von Slowjansk. Es ist früh am Abend. Auf dem Spielplatz hinter den Hochhäusern toben Kinder. Anwohner sitzen auf Bänken und schwatzen. Spuren des Krieges sind erst auf den zweiten Blick zu sehen. Die Rentnerin Alexandra Andrejewna zeigt auf einen verkohlten Balkon im obersten Stock.
    "Unser Haus hat dreizehn Geschosse abbekommen. Das vierzehnte ist nicht explodiert, das haben Kinder gefunden. Es hat furchtbar gebrannt."
    Unerwünscht und verachtet
    Während der mehrwöchigen Herrschaft der Separatisten wurde Slowjansk von beiden Seiten beschossen: Von den Separatisten und von der ukrainischen Armee. Zivilisten starben, auch in der Olympijskaja-Straße. Als die ukrainische Armee die Stadt schließlich zurückeroberte, setzte sie verstärkt Artillerie ein. Die Rentnerin Alexandra Andrejewna glaubt, dass die ukrainische Armee absichtlich auf Wohnhäuser geschossen habe.
    "Wir in Slowjansk gelten als Aussätzige. Weil der Krieg hier seinen Anfang nahm. Die halten uns für Separatisten."
    Dabei sei ihr völlig egal, ob Ukrainer oder Russen in Slowjansk regierten, sagt die 80jährige. Fakt ist aber: Als die Separatisten mit dem Feldkommandeur Igor Girkin, genannt Strelkow, die Regierungsgebäude in Slowjansk besetzten, haben das zunächst viele Bewohner begrüßt.
    Die damalige Bürgermeisterin von Slowjansk, Nelja Schtepa, steht mittlerweile vor Gericht. Sie soll mit den Bewaffneten kollaboriert und zur Abspaltung der Region von der Ukraine aufgerufen haben. Ihr droht eine lebenslange Haftstrafe.
    Denis sitzt in einem Café in Slowjansk. Er ist Anfang 30 und Lokführer.
    "Mein Bruder lebt in der Westukraine. Er hat zu mir gesagt: Ihr seid Schuld am Krieg, ihr in Slowjansk. Weil ihr euch nicht gewehrt habt gegen die Separatisten. Der hat gut reden. Was soll man denn tun, wenn rund herum alles kracht. Ich habe den Kontakt zu ihm abgebrochen. Ich könnte mich nicht mit ihm an einen Tisch setzen."
    Denis sagt, auch er sympathisiere heute weder mit der einen, noch mit der anderen Seite. Aber wenn die Separatisten zurückkämen, würde er sich anpassen.
    Der neue Bürgermeister von Slowjansk heißt Oleg Zontow. Er schätzt, dass mehr als die Hälfte der Menschen in der Stadt so denken wie Denis.
    "Es gibt eine träge Masse von 50, 60 Prozent der Bevölkerung. In jedem Land. Diese Leute wollen Frieden und in Ruhe gelassen werden. Alles andere ist ihnen egal, auch, welche Regierung sie haben. Hauptsache, sie haben Arbeit und die Familie hat ihr Auskommen."
    Nur eine Stunde bis zum Krieg
    Das Problem ist, dass immer mehr Menschen in Slowjansk um ihr Auskommen bangen. Wegen des Krieges haben viele Betriebe zugemacht. In Slowjansk ging die Hälfte der Arbeitsplätze verloren. Mehrere Tausend Vertriebene sind zugezogen, belasten den Arbeitsmarkt zusätzlich. Investitionen müssten her, aber an die ist nicht zu denken, solange eine Autostunde entfernt Krieg herrscht und niemand weiß, ob die Front nicht wieder zurückkommt. Bürgermeister Zontow hat einen direkten Draht zu Präsident Poroschenko und zu Premierminister Jazenjuk. Bei ihnen wirbt er um Hilfe für Slowjansk.
    "Gerade heute kam eine gute Nachricht: Wir erhalten Geld aus dem Staatshaushalt, um fünf Straßen zu renovieren. "
    Tropfen auf den heißen Stein
    Es ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Stadt warnt mit Plakaten vor dem Separatismus. Zerstörte Häuser sind darauf zu sehen und die Parole: "Separatismus bringt Instabilität und Ruinen".
    Bürgermeister Zontow setzt zudem auf die aktive, proukrainische Minderheit in der Stadt. Zu ihr zählt Natalja Kirkatsch. Die Unternehmerin hat eine Hilfsorganisation gegründet, bringt Lebensmittel und Kleidung in die Gebiete, die immer noch von den Separatisten kontrolliert werden.
    "Für mich, für meine Familie ist die Ukraine unser Land. Ich kann mir nicht vorstellen, auf der anderen Seite zu leben. Wir sind froh, dass zumindest hier Frieden herrscht. Aber wir leiden mit den Menschen im anderen Teil der Ukraine."