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Ukraine
Kulturschaffende protestieren gegen "Früchtchen" Janukowitsch

Unter den ukrainischen Kulturschaffenden hat Präsident Janukowitsch wenig Bewunderer. Sie befürchten, dass mit der Annäherung an Russland auch die künstlerische Freiheit leiden werde.

Von Ivan Gayvanovich und Mirko Schwanitz | 03.12.2013
    Erinnerungen an die Orangene Revolution im Jahr 2004 werden wach. Auch damals standen Tausende auf dem Maidan, protestierten gegen die Regierung. Und wie damals singen die Demonstranten auch heute mit Stolz die ukrainische Hymne. Seit die Polizei Demonstranten heftig attackierte, ist in Kiew fast eine halbe Million Menschen auf den Straßen. Unter ihnen auch der bekannte Schriftsteller Andrej Kurkov. Er ist überzeugt, dass es eng wird für Präsident Viktor Janukowitsch.
    "Vielleicht entscheidet er sich endlich, zurückzutreten, weil er die Situation nicht mehr kontrolliert. Ich denke, dass bestimmte Oligarchen jetzt großen Druck auf ihn ausüben und es schon bald eine Entscheidung geben wird."
    Für Kurkov sind die Proteste auch psychologisch sehr wichtig. Sie zeigten deutlich, dass sich die Ukrainer eher mit europäischen Werten als mit Russland verbunden sehen. Für ihn beweisen sie aber auch, dass das in Westeuropa verbreitete Klischee, alle Osteuropäer wollten nur wegen materieller Vorteile in die EU, nicht stimme.
    Europäische Klischees
    "Die einfachen Europäer lieben Klischees: Das Volk möchte nach Westen – denkend, dass es dort Sozialhilfe für nichts bekommen kann. Viele Leute denken so - in Deutschland, Großbritannien oder in Österreich. Als Hauptklischee für die ganze Nation stimmt das nicht."
    Viele ukrainische Kulturschaffende stellen sich wie Andrej Kurkov hinter die Protestierenden, unterstützen sie mit Reden, Lesungen, Konzerten – wie hier Irena Karpa, eine in der Ukraine sehr bekannte Punkrockerin. Sie rief von der Konzertbühne die Menschen offen dazu auf, die Regierung und den Präsidenten zu stürzen. Den Namen Janukowitsch nimmt Irena Karpa schon seit Jahren nicht in den Mund, als wäre er ein Virus, mit dem sie sich infizieren könnte. Sie nennt den ukrainischen Präsidenten nur "das Früchtchen":
    Regierungsgegner versammeln sich in der Nacht zum 2.12.2013 in Kiew
    Regierungsgegner versammeln sich in der Nacht zum 2.12.2013 in Kiew (dpa/pa)
    "Das Früchtchen hat einfach nicht bedacht, dass die Ukrainer inzwischen Erfahrung mit siegreichen Kämpfen haben. Auch bei der Orangenen Revolution kam das Früchtchen mit seinen gefälschten Wahlen nicht durch. Nein, wir zeigen der ganzen Welt, dass wir Europa näher sind. Dass wir dagegen kämpfen, wieder eine russische Kolonie zu werden."
    Sorge um Meinungsfreiheit
    Für Irena Karpa ist klar: Wenn sich die Ukraine Russland zuwendet, würde das Auswirkungen auch auf die Kulturszene ihres Landes haben. Ihre größte Sorge sei, dass dann wieder eine Zensur a la UDSSR herrschen könnte.
    "Wie jede beliebige andere Information ist auch die Kultur in solchen Systemen immer ein Opfer. Wir haben unsere Erfahrungen. Wir wissen, was das für die Kultur in der Sowjetunion hieß. Niemand durfte eine eigene Meinung haben, niemand konnte offen sagen, was er denkt oder fühlt."
    Mitten in der Menge auch ein anderer Künstler. Oleksandr Roitburd gilt als Begründer des ukrainischen Postmodernismus. Der Maler erklärt, was ihm die die jetzigen Demonstrationen bedeuten:
    "Für mich sind sie deshalb wichtig, weil ich mich nicht als Leibeigener von Mächtigen fühlen möchte. Ich möchte mich als Mensch fühlen, der Rechte hat. Und ich möchte mich nicht immer fragen müssen. Muss ich mich im Ausland meines ukrainischen Passes schämen? Oder kann ich stolz darauf sein. Im Moment kann ich wegen der Proteste sehr stolz sein."
    Doch weder Kurkov, noch Karpa oder Roitburd wissen, wie alles ausgehen wird. Russophile Kräfte drängen auf die Verhängung des Ausnahmezustandes. Und die Protestierenden, so scheint es, haben nicht wirklich einen gemeinsamen Aktionsplan. Aber wie auch immer die Proteste ausgehen, meint Andrej Kurkov, eines sei sicher – sie werden die Künstler für lange Zeit inspirieren. Mit Blick auf die vielen jungen Leute in der Menge zeigt er sich überzeugt: Auf lange Sicht gebe es für die Ukraine keinen anderen Weg, als den nach Europa.