Archiv

Ukraine
Lemberg - Zentrum der Hoffnung

Ob und unter welchen Bedingungen die Menschen im Osten der Ukraine ihre Stimme abgeben werden können, ist noch ungewiss. Wahlbüros werden von Separatisten belagert oder blockiert. Viele Menschen fliehen daher. Das spürt man auch in Lemberg in der Westukraine, das schon immer als eine Oase der Freiheit galt.

    Blick auf die Stadt Lviv, ehemals Lemberg, im Westen der Ukraine
    Blick auf die Stadt Lviv, ehemals Lemberg, im Westen der Ukraine (dpa / picture alliance / Lyseiko)
    Sie sind verschwunden – die zahlreichen Straßensperren aus alten Lkw-Reifen, Sandsäcken und Stacheldraht. Nichts erinnert am Ortseingang von Lviv mehr an die brutalen Auseinandersetzungen, die sich hier noch vor ein paar Monaten abspielten. Tief im Westen der Ukraine herrscht heute eine ganz andere Realität.
    Bei plus 25 Grad und strahlend blauem Himmel flanieren die Menschen auf dem Marktplatz der Stadt. Die zahlreichen Cafes sind gut besucht. Es herrscht ausgelassene Stimmung.
    Am Brunnen gegenüber dem Rathaus posiert eine Gruppe Lemberger Abiturienten. Dutzende Erinnerungsfotos werden geschossen. Die Klasse feiert ihre Abschlussprüfungen. Die Jungen und Mädchen scherzen, lachen – die ganze Szenerie wirkt sonderbar. Ganz so als würde das Land keineswegs in einer tiefen Krise stecken.
    Bizarr oder? Nein meint spontan die 17-jährige Anastasia, gleichgültig wie die Stadt im Verlauf der Geschichte auch immer hieß, ob Lemberg, Lwow oder eben Lviv – sie sei stets etwas besonderes gewesen:
    "Lemberg war schon immer eine Oase der Freiheit in der Ukraine. Das ergab sich auch aus der geschichtlichen Entwicklung und Zugehörigkeit, mal zu Polen, mal zu Österreich-Ungarn. Dann wurden wir von Russland beherrscht. Aber niemand kann uns unseren Freiheitsgeist wegnehmen. Ich freue mich, wenn hier Menschen aus dem Osten kommen und sehen, dass niemand auf sie schießt, wenn sie Russisch sprechen."
    Die Anführer der Separatisten im Osten des Landes seien da zwar ganz anderer Auffassung, doch auch das werde sich ändern, sagt die Abiturientin im Brustton der Überzeugung. Kontakte mit Gleichaltrigen ob in Donezk, Luhansk oder Slawiansk würden dafür schon sorgen. Dem Internet sei dank.
    "Sie müssen im Osten für ihr Land einstehen"
    "Ich denke, es ist nötig und sehr wichtig, die Vorurteile auszuräumen und die negativen Vorstellungen von Lemberg zu beseitigen. In den letzten zwei Wochen habe ich viele Jugendliche aus dem Osten der Ukraine kennengelernt. Sie fühlen sich schrecklich dort. Sie sagen, wenn Russland sie einnimmt, dann werden sie nach Lemberg kommen. Aber ich denke, sie sollten im Osten bleiben. Dort ist ihr Platz, dort müssen sie für ihr Land einstehen."
    Wunschvorstellungen, die nicht unbedingt der Realität entsprechen. Immer mehr Menschen, erzählt Sofia Fedyna, Dozentin für internationale Beziehungen an der Universität von Lviv, würden den Osten verlassen. Aus Angst vor den schwer bewaffneten Separatisten und aus Sorge vor einem Zusammenbruch der dortigen Wirtschaft.
    Seit Beginn der Krise sind nach Angaben der Vereinten Nationen rund 10.000 Menschen zu Flüchtlingen geworden. Und viele von ihnen, meint Sofia Fedyna, würden nicht etwa in Kiew Schutz suchen, sondern eben im Westen des Landes. Darunter in Lviv. Den Trend stoppen, davon ist die Politologin fest überzeugt, könne nur ein neuer Präsident. Auch deshalb wären die anstehenden Wahlen so wichtig.
    In Lviv – scheint die Entscheidung bereits fest zu stehen. Petro Poroschenko – der milliardenschwere Süßwarenhersteller und Politiker – so ist immer wieder zu hören - werde das Rennen machen. Und vielleicht der gesamten Ukraine den westlichen Modus vivendi des Landes einhauchen. Eine schöne Vorstellung, sagen die Menschen in Lviv. Die einzig richtige.