Die Botschaft der Militärs ist unmissverständlich: "Die Soldaten und Angestellten des Verteidigungsministeriums rufen den Oberkommandeur der Streitkräfte (den Präsidenten) auf, im Rahmen der aktuellen Gesetze dringende Schritte zu ergreifen, um die Situation im Land zu stabilisieren und Einverständnis in der Gesellschaft zu erreichen", heißt es in einer Erklärung auf der Internetseite des Verteidigungsministeriums. Darin werden "die Erstürmung öffentlicher Gebäude und die Versuche, die Regierung an der Erfüllung ihrer Aufgaben zu hindern", als inakzeptabel kritisiert. Die Soldaten und Angestellten warnten davor, dass eine Verschärfung der Konfrontation "die territoriale Integrität" der Ukraine bedrohe.
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen äußerte sich besorgt über ein mögliches Eingreifen des Militärs. "Das Militär der Ukraine genießt hohes Ansehen und muss neutral bleiben", schrieb Rasmussen im Nachrichtendienst Twitter. Er beobachte die Ereignisse mit großer Sorge
#Ukraine’s military is highly-respected and must remain neutral. I continue to follow developments with concern— AndersFogh Rasmussen (@AndersFoghR) January 31, 2014
Präsident Janukowitsch unterzeichnete derweil die vom Parlament beschlossene Rücknahme umstrittener Gesetze. Unter anderem war eine Amnestie für inhaftierte Demonstranten verabschiedet worden, doch dabei als Bedingung gesetzt, dass die Opposition binnen zwei Wochen sämtliche besetzte Gebäude räumen müsse. Zugleich setzte Janukowitsch die Einschränkung des Demonstrationsrechts außer Kraft.
Die Proteste in der Ukraine waren ausgebrochen, nachdem Präsident Janukowitsch Ende November auf Druck Russlands ein historisches Partnerschaftsabkommen mit der Europäischen Union auf Eis gelegt hatte. Das Militär hat sich aus dem Konflikt, in dem es bei Zusammenstößen bereits mehrere Todesopfer gab, bisher herausgehalten.
Klitschko auf Münchener Sicherheitskonferenz
Oppositionsführer Vitali Klitschko erklärte unterdessen, die Gefahr sei noch nie so groß gewesen, dass Janukowitsch "den Ausnahmezustand wirklich verhängt". Der Präsident "steht mit dem Rücken zur Wand - und ihm ist wirklich alles zuzutrauen", schrieb Klitschko in einem Gastbeitrag für die "Bild"-Zeitung. Janukowtisch meldete sich gestern zunächst krank, warf dann aber in einer Erklärung der Opposition vor, die Situation zu "vergiften", in dem sie aufgrund der "politischen Ambitionen" ihrer Führer zu weiteren Protesten aufriefen.
Klitschko wird am Nachmittag auf der Münchener Sicherheitskonferenz erwartet. Geplant seien Treffen unter anderem mit US-Außenminister John Kerry, Bundespräsident Joachim Gauck, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, teilte Klitschkos Partei Udar mit. Für morgen ist eine Rede des 42-Jährigen zur Lage in der früheren Sowjetrepublik vorgesehen.
US-Außenminister Kerry erklärte bei einem Gespräch mit Steinmeier in Berlin, die Zugeständnisse Janukowitschs seien immer noch nicht ausreichend. Die USA und Deutschland wollten helfen, dass die Ukraine die Menschenrechtsverletzungen überwinden und die Ukrainer ihre Würde wiederherstellen könnten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte Janukowitsch ungewöhnlich deutlich. Die bisherigen Zugeständnisse seien "nicht die Brücke, die wir brauchen, um eine friedliche Entwicklung voranzubringen", sagte sie nach einem Treffen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. "Es muss möglich sein, friedlich zu demonstrieren, es muss möglich sein, seine Meinung zu sagen und es gibt auch einen hohen Veränderungsbedarf in der Ukraine."
Berichte über Folter sowie Angriffe auf Ärzte
Acht Tage nach seinem Verschwinden wurde ein entführter Regierungsgegner schwer misshandelt gefunden. Seine Peiniger hätten ihn massiv gefoltert und einen Teil seines Ohrs abgeschnitten, berichtete der Aktivist Dmitro Bulatow im Fernsehen. Er wird in einem Krankenhaus behandelt. Der Sprecher des UN-Menschenrechtskommissars verlangte in Genf eine Untersuchung der berichteten Fälle von Folter und Entführungen in der Ukraine. Die EU-Außenbeauftragten Ashton erklärte: "Ich bin entsetzt angesichts der offensichtlichen Anzeichen von ausgedehnter Folter".
Menschenrechtler kritisierten indes, Polizeieinheiten hätten während der Straßenschlachten mit radikalen Regierungsgegnern absichtlich auch Journalisten und Ärzte angegriffen. Die Opposition beklagt zudem, dass etwa 30 Aktivisten verschleppt worden seien, angeblich von angeheuerten Schlägerbanden.