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Ukraine
Momentaufnahmen zur politischen Stimmung

Trotz des im sogenannten Minsk-II-Abkommen vereinbarten Waffenabzugs wird im Osten der Ukraine wieder vermehrt geschossen. Und auch der Reformmotor in der Nach-Majdan-Zeit stottert. Besonders umstritten ist ein Gesetz zur Gleichstellung Homosexueller.

Von Jan Pallokat |
    Dem Krieg in der Ost-Ukraine wird international nur noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt; ausgestanden ist er nicht. In den letzten Tagen meldeten beide Konfliktparteien wieder mehr Angriffe; die Regierung in Kiew sprach von "Provokationen" der pro-russischen Kämpfer entlang der gesamten Front; die Rebellen ihrerseits bezichtigten das ukrainische Militär des Beschusses ihrer Hochburg Donezk. Tote auf Grund von Gefechten immerhin hat es schon lange nicht mehr gegeben. Die letzten ukrainischen Soldaten kamen demnach bei Minenexplosionen und Verkehrsunfällen ums Leben.
    Derweil bemühen sich die maßgeblichen Politiker in Kiew, Sonntagsreden Taten folgen zu lassen und das Land auf Westkurs zu halten. Doch auch das funktioniert nicht reibungslos.
    Ukrainisches Parlament letzte Woche: Es geht um ein Gesetzespaket, das EU-Regeln umsetzen soll, den Aufbau einer wirklich unabhängigen Staatsanwaltschaft etwa, oder, wie hier debattiert, ein Verbot von Diskriminierung am Arbeitsplatz. Niemand, referiert die Vorsitzende des Europa-Ausschusses, Iryna Geratschenko, darf künftig am Arbeitsplatz diskriminiert werden wegen seiner Religion, Hautfarbe, politischer Überzeugungen oder, - die Unruhe im Plenarsaal steigert sich an dieser Stelle zu offenem Unmut -, wegen seiner sexuellen Orientierung.
    Die Gleichstellung Homosexueller ist auch in EU-freundlichen Kreisen ein heikles Thema in einem in diesen Fragen durch und durch konservativen Land. Und so verfehlt das Anti-Diskriminierungs-Gesetz prompt in erster Lesung die nötige Mehrheit; Europapolitikerin Geratschenko wirbt dafür, es im zweiten Anlauf zu billigen:
    "Wir sind ein Land vieler Ethnien und Religionen, und deswegen muss bei uns ein jeder Bürger respektiert werden. Es ist einfach eine europäische Norm, dass ein Arbeitgeber Mitarbeiter nach ihrer Leistung zu beurteilen hat. Wir dürfen die Diskriminierung keines einzigen Ukrainers zulassen."
    Die EU hat dieses und andere Gesetze verknüpft mit der von vielen Ukrainern ersehnten Visa-freien Einreise in den europäischen Staatenclub. Die Regierung in Kiew belässt es indes oft dabei, auf solche EU-Vorgaben zu verweisen statt Gesetze inhaltlich zu begründen. Der Kiewer Politologe Witalij Bala hält die generelle Stilisierung des West-Kurses zu einer Frage von Sein oder Nicht-Sein für einen Fehler, statt zu emotionalisieren sollte die Politik mit Argumenten überzeugen.
    "Die Regierung müsste den Bürgern erklären, dass die EU neben der Freizügigkeit, der unternehmerischen Freiheit oder der ärztlichen Versorgung noch ein paar andere Dinge regelt, und wenn wir dahin wollen, müssen wir uns danach richten. Erklärte man dies vernünftig, es gäbe auch keine Probleme mit der Abstimmung. Denn die Ukrainer sind ein sehr tolerantes Volk, wenn man es ihnen nur nahebringen würde."
    So aber stehen sich nach wie vor das Ost- und das West-Lager unversöhnlich gegenüber. Bei den jüngsten Regionalwahlen etwa siegten vielerorts nicht Kandidaten, die durch inhaltliches Profil aufgefallen wären. In den großen Städten im eher pro-russischen Osten und Süden trugen so oft jene den Sieg davon, die schon zu Zeiten des Ex-Präsidenten Janukowitsch dessen treue und nicht selten korrupte Gefolgsleute waren. In 28 größeren Städten wird freilich erst am Sonntag in Stichwahlen über die Bürgermeisterwürde entschieden. In Kiew ist ein Sieg des Amtsinhabers Witalij Klitschko wahrscheinlich. Sein Herausforderer, ein früheres Mitglied des ultranationalen Rechten Sektors, holte in der ersten Runde nur knapp neun Prozent.