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Ukraine
Neue Regierung gewählt

Auf Vorschlag von Präsident Wolodymyr Selenskyj hat das ukrainische Parlament den erst 35 Jahre alten Oleksij Hontscharuk zum neuen Regierungschef gewählt. Der Jurist ist nicht das einzige junge und politisch unerfahrene Kabinettsmitglied. Manche Experten sehen das kritisch.

Von Florian Kellermann |
Abgeordnete bei der ersten Sitzung des neuen ukrainischen parlaments.
Das ukrainische Parlament hat den von Präsident Wolodymyr Selenskyj vorgeschlagenen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs gebilligt (dpa / AP Photo / Efrem Lukatsky)
Der neue ukrainische Ministerpräsident hat einiges mit Präsident Selenskyj gemeinsam: Er ist jung, gerade einmal 35 Jahre alt. Und er hat vor seinem Amtsantritt kaum eine Rolle gespielt in der ukrainischen Politik.
Oleksjij Hontscharuk stellte sich im Parlament vor allem mit einem wirtschaftspolitischen Programm vor. Er wolle dafür sorgen, dass die Kredit-Zinsen sinken und so Investitionen leichter würden. Und er wolle die Monopole der Superreichen, der sogenannten Oligarchen aufbrechen:
"Sehr lange sind viele davon ausgegangen, sie könnten den Staat dazu missbrauchen, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern. Das werden wir beenden. Auch auf dem Energiesektor und bei Infrastrukturprojekten wird es Konkurrenz geben. Die Ukraine wird danach streben, sich so schnell wie möglich in den Energie-Markt der Europäischen Union zu integrieren."
Hontscharuk: Ein Jurist mit Erfahrung im Wirtschaftsrecht
Die wirtschaftliche und finanzpolitische Anbindung an den Westen betonte Hontscharuk immer wieder: Die Ukraine werde weiter mit dem Internationalen Währungsfonds zusammenarbeiten, sagte er.
Hontscharuk ist Jurist mit Erfahrung vor allem im Wirtschaftsrecht. Er engagierte sich für die Rechtssicherheit von Investoren. Ein wichtiges Thema in der Ukraine, wo Unternehmer immer wieder von Betrügern um ihr Eigentum gebracht werden, mit Hilfe korrupter Richter. Vor fünf Jahren wurde Hontscharuk Berater des damaligen Umweltministers. Die Nähe zu diesem Politiker werfen ihm seine Kritiker vor: Der Minister musste wegen eines Korruptionsskandals von seinem Amt zurücktreten. Später wurde Hontscharuk Leiter einer ukrainischen Denkfabrik für Wirtschaftsfragen, die von der EU finanziert wird.
Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach bei der ersten Parlamentssitzung:
"Jetzt kann unser Land endlich in den fünften Gang schalten und sich verändern. Ich freue mich, dass wir jetzt ein Parlament haben, das wirklich arbeiten will. Es wird sich nicht mit Populismus aufhalten, sondern reale Reformen umsetzen. Das erwarten die ukrainischen Bürger und die ganze zivilisierte Welt."
Selenskyj wiederholte die beiden zentralen Punkte seines Wahlkampfs: Er wolle den Krieg im Donezbecken beenden und die Korruption bekämpfen.
Der umstrittene Innenminister ist in seinem Amt geblieben
Im neuen Kabinett gibt es neben Ministerpräsident Hontscharuk weitere junge Politiker, die als prowestliche Reformer gelten können. In seinem Amt geblieben ist allerdings der umstrittene Innenminister Arsenij Awakow. Präsident Selenskyj begründete dies mit dessen Erfahrung. Doch Vertraute von Awakow sind in verschiedene Korruptionsskandale verstrickt. Darüber hinaus unterstützt Awakow eine Reihe ultranationalistischer Gruppierungen. Aus Selenskyjs Lager hieß es inoffiziell: Awakow müsse vorübergehend im Amt bleiben, weil er in der Polizei alle Fäden in der Hand halte.
Nicht alle Experten loben die neue ukrainische Regierung dafür, dass ihr so viele junge, unerfahrene Politiker angehören. So der Politologe Wolodmyr Wolja:
"Meiner Ansicht nach hat sich Selenskyj hier eine gehorsame Regierung zusammengestellt. Ein Kabinett, dass seine Anweisungen befolgt. So eine sogenannte Experten-Regierung hat auch den Vorteil, dass er sie leicht austauschen kann, wenn sie enttäuscht. Er kann die Verantwortung auf sie abwälzen."
Die meisten Ukrainer sind allerdings nach wie vor optimistisch. Fast zwei Drittel halten die Politik von Selenskyj, der inzwischen 100 Tage im Amt ist, für richtig. Dazu dürften wohl auch Selenskyjs Bemühungen beitragen, einen Gefangenenaustausch mit Russland zu erreichen. Über 120 Ukrainer, die von der Ukraine als politische Gefangene bezeichnet werden, sitzen in russischen Gefängnissen.
Die ersten Gesetze, die Selenskyj durchs Parlament bringen will, sollen die Aufrichtigkeit der neuen Regierenden unterstreichen. Er will ein Amtsenthebungsverfahren für den Präsidenten möglich machen. Außerdem sollen die Abgeordneten ihre Immunität verlieren.