Rutte solle sich zudem die Frage stellen, ob er die Menschen überzeugt hat, sagte der CSU-Europapolitiker. Weber sprach von einer Niederlage für die niederländische Regierung. Sie habe in Brüssel für den Vertrag mit der Ukraine geworben. Zudem sei das Verfahren bereits durch das eigene Parlament gebilligt worden. Nun hätten die Populisten ihr Spiel gespielt. Weber forderte die etablierte Politik auf, für ihre Pläne mehr zu werben. Es müsse Schluss sein mit der Politik in den Brüsseler Hinterzimmer. Notwendig sei eine Demokratisierung der europäischen Entscheidungen. Der CSU-Politiker Weber unterstrich, das Abkommen mit der Ukraine sei extrem wichtig und existenziell für Kiew.
Assoziierungsabkommen mit der Ukraine
Das Abkommen (als pdf beim auswärtigen Dienst der EU) enthält mehrere Ziele. Es dreht sich zum einen um staats- und gesellschaftspolitische Fragen zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, gemeinsamer Sicherheitspolitik und Verhinderung von Korruption, um Standards anzugleichen. Vor allem aber soll es die Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Ukraine regeln und dabei Zölle, Steuern und Abgaben harmonisieren.
Der zentrale Teil des Abkommens ist die Schaffung einer Freihandelszone, einen Beitritt zur EU sieht es nicht vor. Der frühere Präsident Wiktor Janukowytsch setzte das Abkommen am 21. November 2013 aus, was als Auslöser für die Maidan-Proteste gilt, mittlerweile hat es Ministerpräsident Arseni Jazenjuk unterschrieben.
Alle anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben das Abkommen bereits ratifiziert, auch die niederländische Regierung hatte den Vertrag unterzeichnet, beide Kammern des Parlaments hatten zugestimmt. Die Volksbefragung wurde dadurch möglich, dass sich 300.000 Niederländer für sie ausgesprochen hatten.
Das Abkommen (als pdf beim auswärtigen Dienst der EU) enthält mehrere Ziele. Es dreht sich zum einen um staats- und gesellschaftspolitische Fragen zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, gemeinsamer Sicherheitspolitik und Verhinderung von Korruption, um Standards anzugleichen. Vor allem aber soll es die Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Ukraine regeln und dabei Zölle, Steuern und Abgaben harmonisieren.
Der zentrale Teil des Abkommens ist die Schaffung einer Freihandelszone, einen Beitritt zur EU sieht es nicht vor. Der frühere Präsident Wiktor Janukowytsch setzte das Abkommen am 21. November 2013 aus, was als Auslöser für die Maidan-Proteste gilt, mittlerweile hat es Ministerpräsident Arseni Jazenjuk unterschrieben.
Alle anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben das Abkommen bereits ratifiziert, auch die niederländische Regierung hatte den Vertrag unterzeichnet, beide Kammern des Parlaments hatten zugestimmt. Die Volksbefragung wurde dadurch möglich, dass sich 300.000 Niederländer für sie ausgesprochen hatten.
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Halb Europa schaute gestern Richtung Den Haag, denn um 21 Uhr schlossen die Wahllokale für die Volksabstimmung. Die Frage lautete: Soll das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine ratifiziert werden oder nicht? Das Ergebnis fiel eindeutig aus, ich habe es gerade eben schon erwähnt.
Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Manfred Weber von der CSU. Er ist Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Weber.
"Ein ernst zu nehmendes Votum"
Manfred Weber: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Weber, die Niederländer haben ja bereits 2005 gegen den EU-Verfassungsvertrag gestimmt und damit Europa in eine schwere Krise gestürzt, zusammen mit den Franzosen, muss man sagen. Jetzt erneut ein Nein. Sind die Niederländer schlechte Europäer?
Weber: Nein, das ist nicht die Frage. Die Frage ist, wir haben jetzt ein Ergebnis und das ist zunächst mal ernst zu nehmen. Die Bürger haben gesprochen, auch wenn die Wahlbeteiligung sehr gering war. Es ist ein Votum der niederländischen Bürger, das ist jetzt ernst zu nehmen. Und es liegt jetzt an der niederländischen Regierung, konkrete Vorschläge zu machen, wie sie mit dem Ergebnis umzugehen gedenkt, und dann entsprechende Antworten darauf zu geben. Und wie Sie es im Vorbericht auch deutlich gemacht haben: Jenseits der konkreten Sachentscheidung, die wir jetzt zu bearbeiten haben, steht dahinter der Umgang mit Populismus, weil es wurde nicht die Frage beantwortet von den Bürgern im Kern, sondern, wie der Vorbericht es deutlich macht, die Populisten haben ihr Spiel gespielt.
Heckmann: Da kommen wir gleich noch mal näher drauf. Aber man muss ja festhalten, das ist ja jetzt nicht nur ein Problem der Niederländer, sondern ein europäisches Problem. Jean-Claude Juncker, der hatte im Vorfeld der Abstimmung gesagt, bei einem Nein drohe Europa eine kontinentale Krise. Sind wir jetzt schon mitten drin in dieser kontinentalen Krise?
Weber: Die niederländische Regierung ist jetzt am Zug. Wir brauchen Vorschläge der dortigen Verantwortlichen. Übrigens in erster Linie sehe ich das als eine große Niederlage der niederländischen Regierung an, weil sie ja in Brüssel für diesen Vertrag geworben hat, auch für diesen Vertrag bereits abgestimmt hat, und auch die Verfahren in den Niederlanden im Parlament sind bereits abgeschlossen gewesen, und jetzt sagt das eigene Volk Nein dazu. Insofern muss sich Mark Rutte die Frage stellen, ob er genug überzeugt hat, ob er genug die Menschen gewonnen hat für das, was er persönlich für richtig gehalten hat.
"Wir müssen Europa demokratisieren"
Heckmann: Was hat er falsch gemacht?
Weber: Ganz grundsätzlich haben wir schon das Problem, das erleben wir jetzt ja auch in Großbritannien, dass alle diejenigen in der Wirtschaft, in den gesellschaftlichen Organisationen und auch in den politischen Parteien oder in den Gewerkschaften, alle die, die in den Hinterzimmern sagen, Europa ist richtig und auch alternativlos, dass die zu wenig rausgehen und das den Menschen auch erklären und das den Menschen auch beschreiben, warum das notwendig ist. Ganz konkret an dem Beispiel der Niederlande ist doch offensichtlich, dass stärker EU-Fragen grundsätzlich, auch die Migrationsprobleme, die Sorgen, die die Menschen hatten, jetzt vermischt wurden mit der Ukraine, wo es um ein Handelsabkommen ging, das im Interesse der Niederlande ist. Insofern müssen wir, müssen die Eliten, wenn ich es so sagen darf, all diejenigen, die Verantwortung tragen, rausgehen und das den Leuten erklären. Es muss Schluss sein der Brüsseler Hinterzimmer, dass diejenigen, die dort verhandeln in den Brüsseler Zimmern, Abkommen schließen und das den Menschen aber nicht erklären. Wir müssen Europa demokratisieren und transparenter gestalten.
Heckmann: Sie sagen, die Europabefürworter müssen rausgehen und Europa besser erklären. Aber ist das nicht vielleicht auch ein Teil des Problems, dass die etablierte Politik sozusagen nicht zur Kenntnis nehmen will, es gibt einfach in der Bevölkerung in vielen verschiedenen europäischen Ländern große Kräfte, große Bewegungen, die sagen, Nein, dieses Europa wollen wir so nicht?
Weber: Ich verstehe das und auch für diese Enttäuschung habe ich Verständnis. Ich stelle nur als Europapolitiker die Gegenfrage: Von welchem Europa reden wir denn eigentlich? Weil wenn ich mir zum Beispiel die Migrationsfrage anschaue, dann hat die EU-Kommission gemeinsam mit dem Europäischen Parlament bereits vor einem Jahr einen umfassenden Plan der Lastenverteilung, der Grenzsicherung, der Partnerschaft mit Afrika, mit der Türkei vorgelegt, und es hat ein Jahr nationalen Egoismus bedurft, nationalem Streiten zwischen Regierungen in Europa im Europäischen Rat, bis man sich endlich vor ein paar Tagen zu einem gemeinsamen Weg durchgerungen hat.
"Wir in Brüssel nehmen die Sorgen der Menschen ernst"
Heckmann: Und die Umverteilung der Flüchtlinge funktioniert bis heute nicht!
Weber: Ja, genau. Das ist aber das Europa der nationalen Egoismen, das hier scheitert, und nicht das Europa, wenn wir uns demokratisch zusammensetzen und mit europäischen Institutionen handeln. Und das ist beim Europa der Erweiterung das gleiche, weil das ist ja bei der Ukraine mitgeschwungen, dass die Menschen sagen, wir wollen mit der Erweiterung vorsichtig sein. Ich darf daran erinnern, dass Jean-Claude Juncker, der Kommissionspräsident, in seiner Regierungserklärung klar gemacht hat, in den nächsten fünf Jahren gibt es keine Erweiterung der Europäischen Union. Das heißt, die Kommission nimmt die Sorgen, wir in Brüssel nehmen die Sorgen der Menschen ernst. Es geht aber darum, das natürlich auch zu vermitteln.
Heckmann: Sie sehen die nationalen Egoismen als einen Grund für diesen Hass, für diese Wut auf Europa. Müssen Sie aber nicht erkennen, dass immer mehr Menschen in Europa den Eindruck haben, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird und dass das einfach nicht akzeptiert wird?
Weber: Deswegen brauchen wir die Demokratisierung der europäischen Entscheidungen. Ich bin seit Jahren Europapolitiker und ich habe viel Verständnis dafür, dass die Menschen sagen, wir können ja in Brüssel nicht mitentscheiden. Die letzte Europawahl war doch für mich ein großer Meilenstein, weil wir erstmals mit Spitzenkandidaten angetreten sind, dass die Menschen entscheiden, wer Europa regiert, und nicht die Staats- und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen entscheiden, wer Europa regiert. Wir müssen das in die Hand der Menschen geben, die großen Entscheidungen unseres Kontinents, und nicht so tun, als könnten das die Nationalstaaten entscheiden. Wir brauchen gemeinsame Antworten, das ist offensichtlich, und dafür muss geworben werden.
Heckmann: Sie glauben wirklich, dass mehr Demokratie, auch mehr Mehrheitsentscheidungen diejenigen überzeugen würde, die jetzt mit Nein gestimmt haben, die doch eigentlich eher sagen, nein, wir wollen unsere nationale Politik selber bestimmen und eben nicht dominiert werden und fremdbestimmt werden sozusagen aus Brüssel?
"Wir wollen für dieses Europa werben"
Weber: Was heißt fremdbestimmt? Herr Heckmann, die Grundsatzfrage ist, wer kann heute Themen entscheiden? Nehmen wir zum Beispiel die Fragestellung, ob wir Datenschutz im Internet organisieren können, und die Frage, ob Datenschutz bei Google und Facebook organisiert werden kann, da wird Ihnen jeder niederländische Bürger und viele deutsche Bürger sagen, das kann ein einzelner Nationalstaat gegen einen weltweiten Google-Konzern nicht mehr durchsetzen. Wenn aber 500 Millionen Menschen gemeinsam das entscheiden, dann können wir für Europa Datenschutz durchsetzen. Das sind die Realitäten unserer Welt. Ich will, dass viele Entscheidungsabläufe möglichst regional, möglichst national entschieden werden, aber es gibt heute Aufgaben in einer globalisierten Welt, die wir besser gemeinsam entscheiden und dafür muss man sich hinstellen, dafür muss man werben, dafür muss man argumentieren und die Menschen werden dann auch mitgehen. Ich bin überzeugt davon. Aber wir brauchen einen Aufbruch, der deutlich macht, wir wollen für dieses Europa werben, weil es notwendig ist, um die Interessen der Bürger durchzusetzen.
Heckmann: Der Chef der britischen EU-Skeptiker und Gegner, Farage, der war ja in den Niederlanden gestern am Tag der Abstimmung. Für ihn ist das Ergebnis eine gute Nachricht. Denken Sie, dass die EU-Gegner in Großbritannien jetzt wenige Wochen, wenige Monate vor der Abstimmung auf der Insel Auftrieb erhalten?
Weber: Es ist eine britische Entscheidung, genauso wie es gestern eine niederländische Entscheidung war. Natürlich geht es in Großbritannien um mehr, nämlich um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, und im Wahlkampf gilt es auch dort, dass all diejenigen, die die Vorzüge der Partnerschaft sehen, die deutlich machen, dass wenn Großbritannien alleine in einer globalisierten Welt steht, wenn Großbritannien beispielsweise alleine einen Handelsvertrag mit den USA aushandeln muss, Schlagwort TTIP, dass man dann schwächer ist, weil man weniger Wirtschaftskraft hat. All diese Argumente müssen jetzt umso engagierter in den Wahlkampf eingebracht werden. Die Lektion der Niederlande ist: Wir müssen klarer und überzeugender und selbstbewusster für das werben, was wir für richtig halten.
Heckmann: Im Moment geht der Trend eher ein bisschen in die andere Richtung, hat man den Eindruck. Was ist denn jetzt mit dem Assoziierungsabkommen mit der Ukraine selbst? Ist das jetzt Geschichte, oder wird das einfach dann doch umgesetzt, ein bisschen abgeändert und dann doch in die Tat umgesetzt, so wie das mit dem Verfassungsentwurf ja im Prinzip de facto auch passiert war, und wäre das dann nicht wieder Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner, die sagen, na ja, die Europäer, die machen sowieso was sie wollen, egal was wir sagen?
Weber: Zunächst darf man schon darauf verweisen, dass 27 weitere Staaten der Europäischen Union den Ukraine-Freihandelsvertrag mit ihren demokratischen Regelungen akzeptiert haben und angenommen haben.
"Die Niederlande muss jetzt einen Vorschlag liefern"
Heckmann: Aber es müssen ihn ja alle akzeptieren.
Weber: Genau. Wir reden aber über ein Land. Insofern darf man schon auch in die Waagschale bringen, dass andere Staaten mit ihren Spielregeln, wie sie zu einem Ergebnis kommen, entsprechend Ja gesagt haben. Und jetzt muss man schauen, wie man rechtlich mit der Situation umgeht. Die Niederlande ist jetzt in der Pflicht, einen Vorschlag zu liefern. Das ist ein konsultatives Verfahren gewesen. Es ist Aufgabe jetzt der niederländischen Regierung, konkrete Vorschläge auf den Tisch zu legen.
Heckmann: Das heißt, Sie sehen schon noch Möglichkeiten, dieses Abkommen mit der Ukraine in die Tat umzusetzen?
Weber: Das Abkommen mit der Ukraine ist extrem wichtig. Ich stehe, wir in der EVP stehen nach wie vor zu diesem Abkommen, weil es für die Zukunft der Ukraine existenziell ist. Wir wollen für die Ukraine die gleiche Chance bekommen, wie sie andere Staaten im Osten hatten, dass sie wirtschaftlich aufholen können, dass sie eine Perspektive bekommen, dass die Menschen dort eine Zukunft haben und dass nicht neue Migrationsströme entstehen, dass die Menschen nicht ihre Heimat verlassen müssen. Deswegen stehen wir zu dem Abkommen und jetzt geht es darum, die Besorgnis, die Ängste, die in den Niederlanden zum Ausdruck gekommen sind, aufzunehmen und ins Verfahren einzubringen.
Heckmann: Das sind alles gute Argumente aus Ihrer Sicht. Aber trotzdem noch mal nachgehakt: Wenn die Menschen jetzt das Gefühl haben, dass dieses Abkommen dann doch umgesetzt wird, trotz dieser Abstimmung in den Niederlanden, bekräftigt man nicht dann die Stimmung dort, dass die Leute denken, das interessiert überhaupt gar nicht, welche Meinung wir zum Ausdruck bringen?
Weber: Die Frage, was jetzt zu tun ist, ist nicht Aufgabe jetzt des Europapolitikers, das zu klären. Ich möchte die Sorgen ernst nehmen und eine der Sorgen, die ich hier angesprochen habe, ist die Sorge, dass die Leute mit der Ukraine verbunden haben, da kommt ja dann schon die nächste Erweiterung der Europäischen Union, schon wieder ein neues Mitgliedsland dazu. Das war eine der Sorgen, die da sind. Deswegen ist mir wichtig klarzustellen, wir wollen bis 2019, so lange bin ich gewählt im Parlament und dann entscheiden die Menschen neu, bis dahin gibt es keine Erweiterung, Punkt, Schluss, Aus! Solche Zusagen müssen wir machen. Die Sorgen ernst nehmen, das ist der beste Kampf gegen die Populisten.
Heckmann: Der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber war das von der CSU, live hier im Deutschlandfunk. Herr Weber, ich danke Ihnen für Ihre Zeit!
Weber: Ich bedanke mich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.