In der Obersten Rada in Kiew stimmten 194 Abgeordnete am Dienstag für einen Rücktritt des prowestlichen Politikers. Für eine Abwahl waren 226 Stimmen nötig. Präsident Poroschenko hatte zuvor sowohl den Rücktritt Jazenjuks und des Generalstaatsanwalts Viktor Schokin gefordert. Beiden wird seit längerem vorgeworfen, Reformen in dem Land zu verschleppen und zu wenig gegen die Korruption zu tun. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters hat der Generalstaatsanwalt seinen Rücktritt bereits angeboten.
Die Ukraine hat große finanzielle Probleme, im Osten des Landes herrscht weiter der Konflikt mit prorussischen Separatisten. Jazenjuk warb im Parlament für seinen Kurs. "Zum ersten Mal in den vergangenen zwei Jahren gab es im dritten und vierten Quartal ein Wirtschaftswachstum", sagte er in einem etwa 50 Minuten langen Rechenschaftsbericht. Rücktrittsforderungen wies er zurück.
"Fehler sind zahlreicher als die Errungenschaften"
Präsident Petro Poroschenko hatte zuvor den Rücktritt Jazenjuks gefordert. Poroschenko und Jazenjuk sind zwar beide prowestlich, ihre Meinungsverschiedenheiten waren zuletzt aber immer deutlicher zutage getreten. "Die Regierung hat viel getan, um das Land zu retten, die Wirtschaftslage zu stabilisieren und Reformen zu starten. Doch die Gesellschaft hat klar entschieden, dass die Fehler zahlreicher als die Errungenschaften sind", sagte Poroschenko in einer Ansprache an die Nation. "Um das Vertrauen wiederherzustellen, reicht die Therapie nicht länger, es bedarf der Chirurgie." Die Ukraine sei in einer "Sackgasse", sagte der Staatschef.
Der Präsident schloss aber vorgezogene Neuwahlen aus, vielmehr müsse die regierende prowestliche Koalition eine neue Regierung bilden. Jazenjuk hatte allerdings erst kürzlich selbst damit gedroht, mit seinem gesamten Kabinett zurückzutreten. Sollte das Parlament eine Änderung der Regierungsmannschaft beschließen wollen, "dann treten wir geschlossen zurück", sagte er. Nun kann er mit seinem Kabinett vorerst im Amt bleiben. Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass Jazenjuk nun doch die Regierung umbildet, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.
Vorwürfe gegen Regierungschef und Generalstaatsanwalt
Jazenjuk war Anfang 2014 einer der Anführer der Protestbewegung gegen den prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Der 41-jährige frühere Banker kündigte nach seinem Amtsantritt strenge Sparmaßnahmen und Schritte gegen die Oligarchen an. In den letzten Monaten wurde er aber dafür kritisiert, die versprochenen Reformen nicht umzusetzen, weil er die Macht der Oligarchen nicht anzutasten wage. Im Dezember wurde ihm zudem vorgeworfen, im Gegenzug für einen Auftrag zur Umrüstung der Atomkraftwerke Schmiergeld von der tschechischen Firma Skoda angenommen zu haben.
In Umfragen unterstützten zuletzt 70 Prozent der Bürger seine Entlassung. Vor dem Parlament in Kiew protestierten am Dienstag bei nasskaltem Wetter Hunderte gegen die Politik von Jazenjuk. Die Regierung hat bei Wählern unter anderem massiv an Rückhalt verloren, weil sie unter dem Druck des IWF die Energiekosten erhöhte. Ein Rücktritt der Regierung hätte aber die Auszahlung eines Kredits von 35,8 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds (IWF) gefährden können.
Dem Generalstaatsanwalt Schokin wird vorgeworfen, nichts gegen die verbreitete Korruption zu tun und in gewissen Fällen sogar die Ermittlungen zu hintertreiben. Im Juli wurden bei einer Razzia bei zwei ranghohen Staatsanwälten große Mengen Diamanten und Bargeld gefunden. Erst am Montag trat einer von Schokins Stellvertretern aus Protest zurück.
Tote bei Gefechten im Osten der Ukraine
Am Dienstag teilte die ukrainische Armee mit, dass bei Kämpfen in der Ostukraine drei Soldaten getötet worden seien. Weitere sieben wurden den Angaben zufolge binnen 24 Stunden verletzt. Die heftigsten Kämpfe habe es am Montag in dem Dorf Saitsewe gegeben, das rund 30 Kilometer nördlich der von Rebellen kontrollierten Großstadt Donezk liegt. Es war die höchste Zahl an Todesopfern für die Armee an einem Tag seit dem 14. November, als fünf Soldaten ums Leben kamen.
Armeesprecher Alexander Motusjanyk klagte, dass die Separatisten bei jedem dritten Angriff schwere Waffen einsetzen würden, die nach dem Minsker Waffenstillstandsabkommen jedoch verboten seien. Die Rebellen werfen den Regierungstruppen ihrerseits vor, nahezu täglich die ein Jahr alte Waffenruhe zu verletzen. Am Dienstag seien Armeegeschosse sowohl in Saitsewe als auch in westlichen Vororten von Donezk eingeschlagen. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hatten sich vor einigen Tagen besorgt über Anzeichen für eine Eskalation der Gewalt geäußert. Seit Beginn des Konflikts im April 2014 wurden mehr als 9000 Soldaten und Zivilisten getötet.
(nch/tzi)