
Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich die Deutschlandkorrespondentin der "Rossiskaja Gazeta", Anna Rose, einer Zeitung, die 1990 von der russischen Regierung gegründet wurde. Schönen guten Morgen, Frau Rose!
Anna Rose: Guten Morgen!
Barenberg: Frau Rose, die USA, Europa, die NATO, alle sind sich im Grunde einig: Russland bricht auf der Krim das Völkerrecht, verletzt das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine – ein Handstreich also. Wie bewerten Sie den Kurs und das Vorgehen von Präsident Putin?
Rose: Ich möchte erst mal bei Ihrer Einschätzung ansetzen, dass Russland das Völkerrecht bricht. Das könnte man zum Beispiel auch vom Staatsstreich in Kiew sagen, und zwar, das ist leider die verbreitete Meinung in Russland, dass der Westen das nicht unterschätzt hat, dass diese Regierung, die jetzt dort herrscht, auch als illegitim in Russland bewertet wird, und dass vielleicht die Absetzung von Janukowitsch dazu geführt hat zu der Situation, die sich jetzt auf der Krim installiert hat. Es ist wahrscheinlich die Rolle oder wahrscheinlich auch der Fehler des Westens, dass es zu der Situation gekommen ist. So ist die jetzige Einschätzung in Russland, zumal die Russen die Taktik des Westens insgesamt negativ bewerten, weil der Westen jede Gelegenheit nutzte, an die Grenzen von Russland-Nähe zu kommen, und man hat das absolut unterschätzt, dass die Russen diesen Zustand nicht mögen, einfach tatenlos zuzusehen, wie der Westen einfach seine Sache macht, ohne Russland in die Besprechungen einzubeziehen. Man denkt, das wird schon. Und diese Herabsetzung, die ist eigentlich tief, die verletzt die Russen tief, die sitzt tief bei ihnen in der Seele und die wirft verschiedene Fragen auf. Und die führt auch zur Konfrontation. Ferner könnte man auch sagen, dass die Krim ein Gebiet war, was schon seit dem 18. Jahrhundert, seit der Zeit von Katharina der Großen zu Russland gehörte. Krim ist eine ruhmreiche Region, zum Beispiel Sewastopol war im krimschen Krieg als der Heldenstaat herausgekommen, und das ist tief verbunden mit dem russischen Ruhm, mit der russischen Geschichte. Und die Russen betrachten die Krim als ihr eigenes Territorium, ob man das will oder nicht. Und das unterschätzt der Westen auch.
Barenberg: Und das, Frau Rose, rechtfertigt eine militärische Aggression?
Rose: Als Aggression betrachtet man das auch nicht. Wenn ich dann so höre, was meine Kollegen in Russland sagen, dass ist eigentlich nicht die Aggression, das ist die Bewegung außerhalb oder aus dem Volk selbst hervorgegangen ist, und zwar die Russen auf der Krim haben das angefangen ohne Unterstützung oder die Premiere oder anfängliche Unterstützung, und jetzt ist es leider so, dass die Regierung in Kiew sich nicht besonders gemäßigt verhalten hat. Die Regierung in Kiew hat als Erstes die russische Sprache abgesetzt, als Regionalsprache, ihre Bedeutung gesenkt. Und diese Aktionen in dieser sehr scharfen Situation führten tatsächlich zur Spaltung zwischen den Ukrainern und den Russen in der Ukraine.
Barenberg: In Moskau wird ja gesagt, dass das Leben russischer Staatsbürger in Gefahr sei auf der Krim. Können Sie das nachvollziehen? Weder unsere Korrespondenten noch die politischen Beobachter, mit denen wir sprechen, haben irgendwelche Anhaltspunkte, irgendwelche Anzeichen dafür, dass das stimmt.
Rose: Ich weiß nicht, wo Ihre Korrespondenten sich aufhalten. Ich habe Freunde, die in der Ukraine geboren sind, die da auch Verwandte haben. Ich habe mit denen gesprochen, und es wird tatsächlich erzählt, dass besonders in der Westukraine die Russen bedroht werden, dass dort die Häuser angezündet werden, zum Beispiel das Haus eines Bürgermeisters einer Stadt wurde angezündet. Und solche Aktionen finden hier und dort, ab und zu statt. Natürlich ist es nicht so zu betrachten, dass die russische Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes verdrängt ist. Aber man hat schon Angst, es gibt einige Scharfmacher in der Ukraine, wie man weiß. Sie sind auch jetzt in der Opposition, sie sind jetzt an der Regierung, und leider ist es so, dass weitere Aktionen nicht auszuschließen sind.
"Leute auf der Krim möchten selbst zu Russland gehören"
Barenberg: Frau Rose, wenn ich Sie kurz unterbrechen darf. Sollte das stimmen, was Sie berichten beispielsweise von dem Bürgermeister. Wäre es dann nicht die Aufgabe der ukrainischen Sicherheitskräfte, da für Ruhe und Ordnung zu sorgen? Was rechtfertigt, noch mal gefragt, den Einsatz von russischen Soldaten, die dort hingeflogen werden?
Rose: Ich will im Einzelnen auch nicht die Situation bewerten. Das ist ja auch nicht meine Rolle. Ich bin ja auch kein Politologe oder kein Geschichtswissenschaftler. Ich sehe die Situation so, wie sie die russische Bevölkerung sieht, und zwar, die russische Bevölkerung unterstützt ihren Präsidenten. Es ist nicht so, wie hier im Westen immer gemeint wird beziehungsweise dargestellt wird, dass da ein Diktator, den muss man mäßigen, und dahinter steht eine friedliche Bevölkerung, die nach Demokratie strebt. Putin versteht schon, dass hinter ihm die Bevölkerung steht. Und die Bevölkerung rechtfertigt diesen Eingriff oder diese Intervention damit, dass die Krim immer schon zu Russland gehört, dass die Leute auf der Krim selbst zu Russland gehören möchten und dass Russland in der Situation sie unterstützt.
"Die russische Bevölkerung will überhaupt kein Blutvergießen"
Barenberg: Jetzt gibt es erste Vermittlungsangebote, Gesprächsangebote von westlicher Seite, vonseiten der USA, der Industrienationen, der Europäischen Union. Es soll eine Kontaktgruppe eingerichtet werden. Wie ist das in Ihrer Einschätzung. Wird sich Wladimir Putin darauf einlassen und beispielsweise als Geste vorher die russischen Soldaten auf der Krim wieder in ihre Kasernen zurückrufen?
Rose: Ja, ich denke, das ist ja eine sehr gute Lösung, dass wäre tatsächlich einen Schritt auf Russland, auf Putin zu – und das ist ja eine Wertschätzung der Größe Russlands, und das ist Respekt gegenüber dem Land, dass man tatsächlich auf der gleichen Augenhöhe mit dem Land sprechen will. Und ich möchte hoffen, dass tatsächlich das dazu führt, dass die Situation sich deeskaliert. Ich möchte da hinzufügen, dass die russische Bevölkerung überhaupt keinen Krieg möchte. Es gibt überall eine sehr große Angst vor einem dritten Weltkrieg, davon spricht man tatsächlich in Russland. Die russische Bevölkerung will überhaupt kein Blutvergießen. Und das spürt die russische Regierung, das spürt Putin, und ich denke, dass er auch nicht dafür ist, dass das dort auf der Krim zu irgendwelchen Gefechten führt. Ich glaube, dass die Aussichten einer friedlichen Lösung sehr groß sind.
Barenberg: Sagt die Deutschlandkorrespondentin der russischen Zeitung "Rossiskaja Gazeta" heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Anne Rose, danke für das Gespräch!
Rose: Ja, gerne!
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