Der ukrainische Skeleton-Pilot Vladyslav Heraskevych hat die Entscheidung des Internationalen Olympische Komitees (IOC), russische und belarussische Sportler als neutrale Athleten an den Olympischen Spielen in Paris teilnehmen zu lassen, harsch kritisiert. Das IOC hatte Anfang Dezember Einzelsportlern beider Länder unter Auflagen die Starterlaubnis für die Sommerspiele 2024 erteilt.
Sportlerinnen und Sportler dürfen nur unter neutraler Flagge individuell bei den Spielen antreten. Damit dürfen die Sportlerinnen und Sportler weiter nur unter neutraler Flagge individuell bei den Spielen antreten. Es seien auf ukrainischer Seite im Vorfeld der Entscheidung zu viele Fehler gemacht worden, haderte Heraskevych. "Wir hätten mehr tun müssen", sagte der ukrainische Skeleton-Pilot. Besonders das Nationale Olympische Komitee der Ukraine, sei zu passiv gewesen.
"Wir machen die russische Propaganda stärker"
Er appellierte auch an die Athleten in der ganzen Welt, sich deutlicher zu äußern. "Viele sind zu still. Ich wünsche mir mehr Meinungsäußerungen von Athleten aus der ganzen Welt, sodass sie beim IOC hören, wovor wir Angst haben. Davor, dass unser Sport für Propaganda benutzt wird. Wir machen die russische Propaganda stärker", kritisierte der zweifache Olympia-Teilnehmer für die Ukraine.
Die Erlaubnis für die Olympia-Teilnahme gilt nach Angaben des IOC allerdings nicht für Athleten, die den russischen Krieg gegen die Ukraine "aktiv unterstützen". Ebenso wird die Teilnahme Sportlern verboten, die dem russischen oder belarussischen Militär oder Sicherheitsdiensten der beiden Länder angehören.
"Das IOC gefährdet sein Geschäftsmodell"
Die Idee eines Olympia-Boykotts der Ukraine, sei nicht wirklich zielführend, sagte er. "Das ist keine Option, weil wir die Chance aufgeben, dort zu sprechen, diese Plattform zu haben." Man müsse den Druck auf das IOC erhöhen und bei den Olympischen Spielen protestieren, schlug er vor. Auch die Zuschauer und Sponsoren nahm er in die Pflicht. Das IOC kann nicht existieren ohne Sportler oder Sponsoren", sagte er. Olympia und das IOC sei aber vor allem ein Geschäftsmodell ist. "Und wenn kein Geld mehr im IOC ist, können sie auch nichts machen, weil sie nichts haben. "Für das IOC ist es sehr wichtig, sein Image zu bewahren. Aber mit solchen Entscheidungen gefährden sie es, das werden sie vielleicht nicht in diesem Moment spüren, aber vielleicht irgendwann später."
Das Interview im Wortlaut
Matthias Friebe: Sind Sie geschockt oder hat sich der Schock über die Entscheidung etwas gesetzt?
Vladyslav Heraskevych: Ich würde sagen, ich bin nicht geschockt. Ich bin überrascht, weil vor zwei Wochen das IOC angekündigt hat, dass die Entscheidung im März kommt. Ich war nur davon überrascht, dass es so schnell kam. Am Tag davor hatten wir noch ein Treffen mit der IOC-Athletenkommission. Thomas Bach war da und am nächsten Tag hatten wir die Entscheidung und russische Athleten waren zurück. Ich war überrascht, aber nicht geschockt, weil man in den letzten anderthalb Jahren sehen konnte, dass sie diese Entscheidung vorbereiten. Bei Gipfeln und anderen Meetings haben sie immer gesagt, dass man Athleten, die quasi zur Regierung gehören nicht zulassen wird. Geschockt kann man von dieser Entscheidung jetzt nicht sein.
Friebe: Hat der ukrainische Druck das IOC nicht erreicht?
Heraskevych: Ja, so sieht es aus. Definitiv haben wir auf ukrainischer Seite Fehler gemacht, besonders unser Nationales Olympisches Komitee. Sie haben nicht genug gearbeitet, würde ich sagen. Ich denke auch, es gab zu wenig Kommunikation mit den afrikanischen und asiatischen nationalen Olympischen Komitees. Wir hätten mehr tun müssen.
Friebe: Haben Sie manchmal den Wunsch, dass es ein Machtwort von Präsident Selenskij gibt?
Heraskevych: Nein, auf keinen Fall. Ich möchte nicht, dass unser Präsident sich in diese Dinge einmischt. Das IOC oder das nationale Olympische Komitee sind keine Regierungsorganisationen. Selenskij sollte mit anderen Regierungen sprechen, nicht mit dem IOC. Ich wünsche mir deutlichere Aussagen von Sportlern. Es gibt zwar einige starke Athleten, aber viele sind zu still. Ich wünsche mir auch mehr Meinungsäußerungen von Athleten aus der ganzen Welt, sodass sie beim IOC hören, wovor wir Angst haben. Davor, dass unser Sport für Propaganda benutzt wird. Wir machen die russische Propaganda stärker, das macht mir Angst. Ich möchte nicht, dass sich die Regierungen da einbringen. Das nationale Olympische Komitee sollte besser im IOC repräsentiert sein.
Friebe: Welche Optionen haben Sie noch? Bleibt nicht am Ende nur ein Boykott in Paris?
Heraskevych: Die Idee eines Boykotts mag ich nicht wirklich. Das IOC hat gesagt, sie erlauben es allen Athleten zu starten, die es im internationalen Qualifikationssystem schaffen, nach Paris zu kommen. Es gibt einige Kriterien für sie, aber die sind noch nicht ganz klar. Wird das IOC die Athleten noch einmal überprüfen oder nicht. Wenn ja, wer wird das machen? Aktuell haben sie gesagt, dass drei Athleten aus Belarus und acht russische Athleten die Qualifikation geschafft hätten. Unter denen sind beispielweise im Ringen Sportler, die mit Putin im Luschniki-Stadion die Krim-Annexion gefeiert haben, also Menschen, die aktiv den Krieg unterstützen. Und wenn unsere Ringer nicht hinfahren, diese Kriegsunterstützer aber schon, dann sind sie ja Teil der weltweiten Gemeinschaft und wir sind draußen. Das ist keine Option, weil wir die Chance aufgeben, dort zu sprechen, diese Plattform zu haben. Das ist nicht richtig.
Friebe: Das ist ein Dilemma für Sie. Welche Möglichkeiten haben Sie?
Heraskevych: Eine Option ist, die Arbeit fortzusetzen und den Druck auf das IOC aufrecht zu erhalten. Wir sollten auch verstehen, dass Frankreich die Spiele organisiert oder klarer formuliert die französischen Steuerzahler. Die französische Bevölkerung bezahlt für die Spiele. Wir sollten versuchen, sie zu erreichen und ihnen klarzumachen, dass ihre Steuern dazu benutzt werden könnten, Werbung für Russland und den Krieg zu machen. Das macht sie in einer Art zu Komplizen. Wir sollten den Druck hier erhöhen. Und die zweite Möglichkeit ist: bei den Olympischen Spielen zu protestieren. Auch das ist ein Option.
Friebe: Was ist mit Ringen oder Teakwondo. Das sind Sportarten, in denen es zu direkten Kämpfen zwischen einem Ukrainer und einem Russen kommen kann. Haben Sie Angst vor solchen Momenten?
Heraskevych: Ja, auf jeden Fall. Im Teakwondo gibt es Vladislav Larin. Es gibt Beweise, ich habe sie selbst gesehen, wie er in einem Video aufruft, für das russische Militär zu spenden. Der unterstützt den Krieg auf jeden Fall aktiv, er nutzt seine Bekanntheit als Olympionike, um zu Spenden aufzurufen. Stellen Sie sich vor, ein ukrainischer Teakwondo-Kämpfer müsste gegen ihn antreten. Ich kann gar nicht beschreiben, was man da fühlt, weil der andere für den Tod seines Bruders, seiner Schwester oder seiner Freunde verantwortlich ist. Das ist verrückt, das ist absoluter Wahnsinn.
Friebe: Müssen Sie am Ende einsehen, dass das IOC am längeren Hebel sitzt und sie dem IOC quasi ausgeliefert sind?
Heraskevych: Ja, wir sollten aber auch verstehen, dass das IOC auch abhängig ist von Zuschauern oder Sponsoren. Das IOC kann nicht existieren ohne Sportler oder Sponsoren. Wir können viel über die Werte des IOC reden, aber es ist doch klar, dass es vor allem ein Geschäftsmodell ist. Und wenn kein Geld mehr im IOC ist, können sie auch nichts machen, weil sie nichts haben. Ich denke, wir können noch viele Dinge machen, vor, bei und nach den Spielen. Für das IOC ist es sehr wichtig, sein Image zu bewahren. Aber mit solchen Entscheidungen gefährden sie es, das werden sie vielleicht nicht in diesem Moment spüren, aber vielleicht irgendwann später.
Friebe: Können Sie sich vorstellen, wie das aussehen wird in Paris bei Olympia?
Heraskevych: Jetzt gerade nicht. Nein. Wir kennen noch zu wenige Details, das IOC hat noch nichts zur Eröffnungsfeier gesagt zum Beispiel, also ob die russischen neutralen Athleten dabei sein dürfen oder nicht. Es gibt noch viele offenen Fragen. Definitiv wird es seltsam werden und es wird nicht im Geist von Freiheit, Frieden und Einheit sein, was das IOC ja sehen will. Im letzten Communique steht das drin, dass die Wettbewerbe in diesem Geist sein sollen und auch die Athleten einen Brief unterzeichnen sollen, dass sie im Geist des Friedens antreten. Das heißt aber auch, dass IOC setzt die ukrainischen Sportler unter Druck, freundlich zu den russischen neutralen Athleten zu sein. Für mich ist es heute noch nicht vorstellbar, wie unsere Athleten da im Geist des Friedens antreten können.
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